Xylit als gesunde Alternative zu Zucker? Denkste! Zwar bietet der Zuckeraustauschstoff gerade für Diabetiker einige Vorteile. Für Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen könnte Xylit aber gefährlich werden.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Zuckeraustauschstoffe wie Xylit, auch bekannt als Birkenzucker, werden häufig als gesunde Alternativen zu herkömmlichem Zucker beworben. Sie finden sich in vielen Lebensmitteln und Getränken, die Menschen dabei helfen sollen, ihren Zuckerkonsum zu reduzieren und gleichzeitig gesundheitliche Vorteile zu nutzen. Auch in den Apotheken werden mit Xylit gesüßte Kaugummis, Zahnpasten und sogar Xylit in Pulverform angeboten und speziell Diabetikern zum Süßen empfohlen. In den letzten Jahren sind jedoch Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Süßstoffes, der sich hinter der E-Nummer 967 verbirgt, aufgekommen – insbesondere im Zusammenhang mit kardiovaskulären Risiken. Ist das von den meisten Konsumenten als natürlich empfundene Süßungsmittel vielleicht doch gefährlicher, als man lange Zeit vermutete?
Chemisch gesehen ist Xylit ein fünfwertiger Alkohol, der in der Natur in geringen Mengen in vielen Früchten und Gemüsesorten vorkommt. Es wird sogar als Nebenprodukt im menschlichen Glukosestoffwechsel gebildet. Die Bezeichnung Birkenzucker trägt er, weil er von seinem Entdecker Emil Fischer im Jahr 1890 aus Birkenholzspäne isoliert wurde – heutzutage wird Xylit aus landwirtschaftlichen Reststoffen wie Zuckerrohrfasern, Maiskolbenresten, Getreidekleien und Stroh recht aufwändig industriell hergestellt.
Unbestritten hat Xylit zahlreiche Vorteile im Vergleich zu raffiniertem Zucker, wie etwa den deutlich geringeren Kaloriengehalt. Xylit enthält etwa 40 % weniger Kalorien als herkömmlicher Haushaltszucker (Saccharose). Ebenso liegt der glykämische Index (GI) von Xylit bei etwa 7, während der von Zucker bei etwa 60 bis 70 liegt. Xylit beeinflusst den Blutzuckerspiegel also nur minimal, was es zu einer geeigneten Alternative für Diabetiker macht.
Einer der größten Vorteile von Xylit ist seine karieshemmende Wirkung. Es hemmt das Wachstum von Karies-verursachenden Bakterien (insbesondere Streptococcus mutans), indem es deren Stoffwechsel stört. Dadurch wird weniger Säure produziert, was die Zahnhärtung fördert, und Karies vorbeugt. Aus diesem Grund wird Xylit auch häufig in Zahnpasta und zuckerfreien Kaugummis verwendet.
Zu guter Letzt ist er im Gegensatz zu anderen Zuckeralkoholen wie Sorbit oder Maltit in der Regel gut verträglich und führt weniger häufig zu gastrointestinalen Beschwerden wie Blähungen oder Durchfall, sofern es in moderaten Mengen bis circa 30 g am Tag konsumiert wird. Etwas weniger bekannt, aber dennoch interessant: Xylit kann auch zur Vorbeugung gegen eine Mittelohrentzündung eingesetzt werden.
Da das alles richtig gut klingt, wurde Xylit in der Vergangenheit häufig empfohlen, und meist auch den Menschen ans Herz gelegt, die an Diabetes leiden, oder allgemein Gewicht reduzieren wollen. Doch leider bleibt es dabei: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Eine Studie der Cleveland Clinic, veröffentlicht im European Heart Journal, hat kürzlich erhebliche Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Xylit aufgeworfen. Die Forscher untersuchten den Zusammenhang zwischen erhöhten Xylit-Werten im Blut und dem Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse. Sie fanden eine erhöhte Thrombozytenaktivität und eine erhöhte Inzidenz für kardiovaskuläre Ereignisse.
In dieser Studie wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt, um die Wirkung von Xylit auf das Blut und das Risiko für Blutgerinnsel zu verstehen: Bei der ersten Untersuchung, einer ungezielten Metabolomik-Studie, wurden Blutproben von 1.157 Personen, die sich freiwillig für Herzuntersuchungen gemeldet hatten, analysiert. Diese Personen mussten vorher über Nacht nüchtern bleiben. Die Forscher suchten in diesen Proben breit nach verschiedenen Metaboliten, um zu sehen, welche davon mit einem erhöhten Risiko für Herzprobleme verbunden sein könnten.
Eine zweite Gruppe von 2.149 Personen wurde untersucht, um die Ergebnisse der ersten Gruppe zu bestätigen. Dabei wurde die Flüssigchromatographie-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) verwendet, um die genaue Menge bestimmter Stoffe im Blut zu messen. Zusätzlich wurden Versuche mit menschlichen Thrombozyten und Tiermodellen durchgeführt, um herauszufinden, wie Xylit die Blutgerinnung beeinflusst. Schließlich tranken zehn gesunde Freiwillige ein mit 30g Xylit gesüßtes Getränk. Vor und nach dem Trinken wurde ihr Blut untersucht, um zu sehen, wie Xylit ihre Thrombozyten beeinflusst.
Die Forscher entnahmen den Probanden Blutproben sowohl vor als auch 30 Minuten nach der Einnahme des gesüßten Getränks. Zu Beginn lag die Xylit-Konzentration im Plasma bei 0,3 µM. Nach einer halben Stunde stieg dieser Wert jedoch um etwa das Tausendfache auf 312 µM an. Diese Zunahme ging einher mit einer deutlichen Steigerung der Thrombozytenaktivität, insbesondere bei den Teilnehmern, die die höchsten Xylit-Plasmaspiegel aufwiesen. Nach vier bis sechs Stunden kehrten die Xylit-Werte wieder zu den Ausgangswerten zurück. Eine erhöhte Thrombozytenaktivität erhöht das Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln, was das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle steigert.
In den beiden analysierten Gruppen hatten Personen im obersten Drittel der Xylit-Plasmaspiegel ein um 57 % höheres Risiko, innerhalb von drei Jahren ein schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, verglichen mit jenen im untersten Drittel.
Die Studie der Cleveland Clinic legt nahe, dass Xylit – obwohl es als gesunde Alternative zu Zucker betrachtet wird – potenziell gesundheitsschädliche Auswirkungen haben kann, insbesondere für Personen mit bereits erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Diese Ergebnisse erfordern eine sorgfältige Abwägung des Einsatzes von Xylit in Lebensmitteln und die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen, um die Langzeitwirkungen besser zu verstehen.
Für Ärzte und Pharmazeuten ist es wichtig, Patienten über die möglichen Risiken von Xylit aufzuklären, insbesondere wenn diese aufgrund ihrer medizinischen Vorgeschichte bereits anfällig für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind. Während der Ersatz von Zucker durch Xylit natürlich auch einige Vorteile bietet, sollte sein Konsum in Maßen erfolgen, und alternative Süßungsmittel sollten im Bedarfsfall in Betracht gezogen werden.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Süße Vorteile: Xylit ist eine kalorienarme Zuckeralternative mit einem niedrigen glykämischen Index, was es besonders für Diabetiker geeignet macht und es hat karieshemmende Eigenschaften.
Saure Risiken: Neuere Studien weisen auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko durch Xylit hin, insbesondere durch eine gesteigerte Thrombozytenaktivität, die das Risiko für Blutgerinnsel und damit für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen kann.
Lieber nicht zu viel! Xylit sollte vorsichtig und in Maßen konsumiert werden, insbesondere bei Personen mit bestehendem kardiovaskulären Risiko. Eine sorgfältige Abwägung und Aufklärung durch medizinisches Personal ist notwendig.
Quellen:
Witkowski et al. Xylitol is prothrombotic and associated with cardiovascular risk. Eur Heart J, 2024. doi: 10.1093/eurheartj/ehae244.
Söderling & Hietala-Lenkkeri. Xylitol and Erythritol Decrease Adherence of Polysaccharide-Producing Oral Streptococci. Curr Microbiol, 2010. doi: 10.1007/s00284-009-9496-6
Azarpazhooh et al. Xylitol for preventing acute otitis media in children up to 12 years of age. Cochrane Database of Systematic Reviews, 2016.doi: 10.1002/14651858.CD007095.pub3
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