PSA-Screening ist sinnlos – so lautet schon länger die Kritik. Doch jetzt soll es sogar schuld sein, dass der Krebs sich ausbreitet. Wie Forscher darauf kommen und was Biopsien damit zu tun haben, lest ihr hier.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Mehr als 65.000 Patienten werden jedes Jahr in Deutschland mit einem Prostatakarzinom (PCA) diagnostiziert. Es stellt die häufigste Krebsart und zweithäufigste Krebstodesursache bei Männern dar. Ein PSA-Screening gilt aufgrund des unklaren Gesamtnutzens in der Bevölkerung als umstritten. Auf Wunsch des Patienten kann jedoch der Wert als IGeL-Leistung erhoben werden. Bei konkretem Verdacht z. B. bei erhöhtem PSA in Folge oder bei pathologischer DRU, wird eine Diagnostik mittels TRUS- oder MRT-Sonofusions-Biopsie durchgeführt.
Die CAP-Studie untersuchte nun, ob ein einmaliges PSA-Screening die PCA-spezifische Mortalität reduzieren kann. Andere Forscher gehen sogar davon aus, dass TRUS-Biopsien zur Progression des Tumors beitragen und somit die positiven Effekte des Screenings beeinflussen könnten. Doch welche Rolle spielen disseminierende Tumorzellen?
Ein im August diesen Jahres von Goldstein et. al. veröffentlichter Kommentar auf den im Juni erschienenen zweiten Teil der CAP-Studie hat für Aufmerksamkeit gesorgt. In der Studie selbst untersuchten Martin et al., ob eine einzelne Einladung zum PSA-Screening die PCA-spezifische Mortalität senkt. Die RCT schloss 415.357 Männer zwischen 50 und 69 Jahren ein. Die Interventionsgruppe erhielt einmalig eine Einladung zum PSA-Screening, die Kontrollgruppe erhielt keine. Eine weitere diagnostische Abklärung mit TRUS-Biopsie erfolgte bei einem PSA über 3 ng/dl. Im Median lag das Follow-up bei einem Zeitraum von über 15 Jahren.
Es zeigte sich eine erhöhte Detektion von low-grade Karzinomen in der Interventionsgruppe, dies galt nicht für intermediate- oder high-grade Karzinome. Insgesamt konnte in der Studie die PCA spezifische Mortalität in der Interventionsgruppe nur geringgradig gesenkt werden (RR=0,97).
Nach Veröffentlichung der Studie zweifelten andere Forscher den geringen Unterschied zwischen der Interventions- und Kontrollkohorte an (hier und hier). Goldstein et al. merkten an, dass Biopsien zu im Blut zirkulierenden Tumorzellen führen, die später zu einem Progress und höherer Mortalität beitragen und somit die positiven Effekte der Frühdetektion aufheben könnten. Im Kommentar wurde sich auf die Studienergebnissen bei Mammakarzinomen bezogen: In der 2023 von Kameyama et al veröffentlichten Studie wird davon ausgegangen, dass Biopsien von östrogenpositiven Mammakarzinomen prämetastasische Veränderungen hervorrufe. Biopsien verletzen das Tumorgewebe und das umliegende Stroma. Dies führe zu verlängerter Wundheilung und Ausschüttung von prämetastasischen Makrophagen und letztendlich zur Dissemination von Tumorzellen und zur Angiogenese. Die durch Gewebeverletzungen ausgelöste Inflammation bewirke eine Immunsuppression, die ideal für die Umgebung zum Tumorwachstum sei. Goldstein et al. vermuteten, dass der Effekt bei Prostatabiopsien verstärkt wäre, da hier mehr Gewebe verletzt würde und bei Patienten unter Active Surveillance mehrere Biopsien durchgeführt würden.
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Bereits in den 90er Jahren kam der Verdacht auf, dass TRUS-Biopsien zur Dissemination von Tumorzellen beitragen. Jedoch wurde später gezeigt, dass die Instrumente, die zur Detektion verwendet wurden, nicht verlässlich waren. Der Kommentar von Goldsteine et al. bezog sich auf zwei weitere Studien, die die Auswirkung von zirkulierenden Tumorzellen (CTC) auf das Risiko eines Progresses thematisierten.
Eine 2009 von Morgan et al. veröffentlichte Studie untersuchte das Vorhandensein von CTC im Knochenmark vor und nach radikaler Prostatektomie (RP) auf das Risiko eines Progresses. Es nahmen 569 Patienten, die eine RP erhielten und 34 karzinomfreie Männer als Vergleichsgruppe mit einem PSA < 2,5 ng/ml, teil. Aus der ersten Gruppe wurde eine Kohorte mit 98 Patienten bestimmt, die eine komplette Remission nach RP erreichten. Insgesamt zeigten sich bei 72 % der Patienten Tumorzellen vor der RP im Blut. Eine Korrelation mit dem Tumorgrad, Gleason-Score oder präoperativen PSA zeigte sich nicht. Bei 86 % der Patienten in Remission, die im Verlauf einen Progress erlitten, zeigten sich CTC nach RP im Knochenmark. Die Forschenden sahen in den CTC einen Präindikator für die Tumorprogression.
Ein anderer Ansatz wurde in der 2020 von Joose et al. veröffentlichten Studie erprobt. Das CellSearch®-System detektiert CTC direkt aus dem Blut. Es wurde untersucht, inwiefern sich das Vorhandensein von CTC nach TRUS-Biopsien veränderte und das Outcome des PCA beeinflusste. In der Studie nahmen 115 Männer teil, die einen PSA > 4 ng/dl oder einen pathologischen Tastbefund aufwiesen. Der Untersuchungszeitraum fand zwischen August 2012 und Januar 2016 statt. Eine Blutentnahme erfolgte jeweils vor und 30 Minuten nach der TRUS-Biopsie. Als Outcome wurde ein progressfreies Überleben definiert. Alter, der Gleason-Score, die Höhe des PSA-Wertes sowie die Art der Therapie wurden als Kovariablen bestimmt.
Vor der Biopsie zeigten sich bei 21 Männern CTC im Blut, nach der Biopsie bei 34. Insgesamt blieben 54 negativ, 25 wurden positiv, 12 wurden negativ und 9 blieben positiv. Laut der Autoren sei der Zusammenhang zwischen der Intervention und der Häufigkeit von CTC hochsignifikant. Eine Assoziation zwischen Karzinomstatus und CTC zeigte sich nicht. Nach dem histologischen Befund wurden Patienten die bereits zum Zeitpunkt der Diagnose Metastasen aufwiesen, ausgeschlossen. Patienten mit einem PCA in der Biopsie erhielten eine PE, eine Strahlentherapie oder ein Active Surveillance.
Nach 41 Monaten wurde eine Follow-up Studie mit den PCA-positiven Patienten durchgeführt. Patienten mit CTC nach Biopsie zeigten ein signifikant höheres Risiko, einen Progress zu erleiden. Die Kovariablen hatten statistisch keinen Einfluss auf das Outcome. Das Vorhandensein von CTC vor der Intervention wirkte sich nicht auf den Progress aus. Laut der Autoren sei dies ein Hinweis für die Spezifität des CellSearch®-Systems. Unklar blieb, ob die Zellen selbst für den Progress verantwortlich sind, CTC selbst ein Zeichen für vermehrte Gewebeverletzung und Entzündung sind oder aggressivere Tumoren häufiger CTC freisetzen. Die Autoren vermuten, dass die Kovarianten einen höheren Effekt hätten, wäre das Follow-up länger gelaufen.
Zusammenfassend erbrachte der zweite Teil der CAP-Studie keine aussagekräftige Evidenz, dass ein einmaliges PSA-Screening die PCA-spezifische Mortalität senken konnte. Es gibt Hinweise, dass die Diagnostik und die operative Therapie mit der Ausschüttung von CTC assoziiert sind und das Vorhandensein von CTC das Risiko für einen Karzinomprogress und somit die Mortalität beeinflusst. Eine Empfehlung zur Änderung der Standarddiagnostik empfehlen die Autoren nicht. Insbesondere Forschung mit genomischer Charakterisierung und Erfassung des Metastasierungspotential der CTC durch genomische Sequenzierung sei in Zukunft notwendig.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash