Im Kampf um den Sinn und Unsinn von Globuli werden oft diejenigen vergessen, die sie verordnen. Die Rede ist von homöopathisch tätigen Ärzten. Wer genauer hinschaut, merkt: Sie gönnen sich bei der Abrechnung auch gerne selbst ein Zückerchen.
Wir kennen das: Arzneimittel, die von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden wollen, müssen ihre Wirkung nachweisen. In vielen Fällen ist sogar ein doppelter Wirknachweis notwendig, nämlich bei der EMA und nachher nochmal beim IQWiG.
Es sei denn… man hat es irgendwie geschafft, doch erstattet zu werden – ohne jede Evidenz. Dieses kleine gallische Dorf sind die Homöopathika, die sich standhaft gegen entsprechende Vorgaben wehren. Folgerichtig konstatiert das BfArM im Jahr 2023: „Bislang wurde jedoch kein homöopathisches Arzneimittel durch das BfArM zugelassen, bei dem sich der Antragsteller auf eine Studie berufen hätte.“
Warum sind die Homöopathika dann nach wie vor GKV-Leistung? Einen Hinweis gab 2019 Jörg Windeler, damaliger Leiter des IQWiG: „Es ist einfach ein Mittel der Kundenbindung. Homöopathie ist beliebt, und die Kunden gehen eher zu der Kasse, die Homöopathie bezahlt.“ Dieses Laissez-faire ist teuer. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Arzneimittelkosten.
Taucht man ein wenig tiefer in die Welt der homöopathischen Medizin ein, tun sich weitere Graubereiche auf. Sie betreffen die Arzthonorare, die im Rahmen der Therapie berechnet werden.
Zur Rekapitulation: Die normale Honorarabrechnung von Kassenärzten erfolgt nach strengen Regeln. Um Betrug auszuschließen, unterliegt sie einer Plausibilitätsprüfung durch die KV. Unter anderem werden die Zeitprofile gecheckt, um zu gewährleisten, dass der Behandler die Anzahl seiner Untersuchungen korrekt abrechnet. Zudem gibt es Honorarbudgets. Werden diese überschritten, erhält man nur noch eine anteilige Bezahlung seiner Leistungen.
Bei homöopathischen Leistungen bieten sich Ärzten andere Optionen. Ein beliebter Weg ist die Abrechnung, die der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) seinen Mitgliedern ermöglicht. In diesem Fall bleiben die Plausibilitätsprüfung der KVen außen vor. Desweiteren laufen die Leistungen extrabudgetär – davon kann mancher Hausarzt nur träumen. Möglich wird das, weil der DZVhÄ mit vielen GKV-Kassen Selektivverträge abgeschlossen hat. Zu diesem Zweck hat der DZVhÄ sogar eine eigene Managementgesellschaft gegründet, die MGL Managementgesellschaft für Gesundheitsleistungen mbH.
Zugang zur Teilnahme an diesen Selektivverträgen erhält man über ein „Homöopathie-Diplom“, das der DZVhÄ nach 6-wöchiger Ausbildung erteilt. Dafür müssen die angehenden Globuli-Therapeuten rund 3.000 Euro hinblättern. Diese Ausgabe lohnt sich. Ärzte, die das Homöopathie-Diplom erworben haben, können am Selektivvertrag teilnehmen. In diesem Fall zahlen die Krankenkassen feste Honorare außerhalb des heiß umkämpften KV-Topfs. Dafür müssen nur einige Regeln eingehalten werden: ein Zeitrahmen von mindestens 60 Minuten für eine homöopathische Erstanamnese, von mindestens 30 Minuten für die Folgeanamnese. Dass diese Zeitansätze von der DZVhÄ bzw. der von ihr beauftragten Abrechnungsgesellschaft streng kontrolliert werden, ist nicht erkennbar.
Diese im deutschen Gesundheitswesen einmalig lasche Konstruktion ist ein mögliches Einfallstor für Missbrauch und Honorarbetrug. Bei der Dauer der Anamnesen lässt sich ohne Plausibilitätsprüfung leicht schummeln. Wenn ein Gespräch statt 60 nur 45 Minuten dauert, wäre das ein Effizienzgewinn, den man gerne mitnimmt. Theoretisch könnte ein Behandler auch die homöopathische Erstanamnese und das „schulmedizinische“ Gespräch parallel führen. Die schulmedizinische Leistung könnte dann über die KV abgerechnet werden, die homöopathische Leistung noch einmal über den DZVhÄ-Weg. Ein strukturierter Abgleich der Abrechnungsdaten findet nach unseren Recherchen nicht statt.
Quelle: https://www.kvsh.de/praxis/vertraege/homoeopathie/ikk-classic
Wir wollten vom DZVhÄ per Redaktionsanfrage wissen, ob ihm dieses Problem bekannt ist, und wie er sicherstellt, dass alles korrekt abläuft. Der Verband blieb still – eine Taktik, die er wohl seit Jahren ausübt. Laut wird der DZVhÄ nur, wenn er Angriffe auf sein Geschäftsmodell vermutet. Dann teilt er auch gerne gegen Journalisten aus.
Es wäre interessant zu erfahren, welches Honorarvolumen in Deutschland über die Selektivverträge des DZVhÄ abgerechnet wird. Diese Zahlen sind im Gespinst des deutschen Gesundheitswesens leider nur schwer zu ermitteln. Für die Erstanamnese bei GKV-Patienten erhält der Behandler 97 Euro. Wenn jedes der rund 7.000 Mitglieder des DZVhÄ an 200 Arbeitstagen im Jahr eine Erstanamnese vornimmt, würden die GKVen ein Honorarvolumen von mehr als 130 Mio. Euro im Jahr zahlen. Folgeananamnesen und sogenannte „Repertorisationen“ sind da noch nicht drin, so dass schnell auch 200 Mio. Euro auf der Uhr stehen könnten. Diese Zahlen sind zugegebenermaßen spekulativ. Der DZVhÄ könnte aber schnell zu ihrer Aufklärung beitragen – wenn er denn wollte.
Gesundheitspolitiker scheinen diese verborgenen Kosten der Homöopathie zu ignorieren. Sie weisen gerne auf die "nur" rund 22 Mio. Euro Arzneikittelkosten für Globuli & Co. hin und vertagen das Problem. Die Frage ist nur, wie lange wir uns das angesichts der Milliardenlücken im Gesundheitssystem noch leisten können.
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