Schlechter Schlaf beeinflusst das Gehirn, die Gefäße und den Stoffwechsel. Aber was genau passiert da eigentlich – und können Ärzte bald durch Schlafmangel entstandene Schäden mit einem Bluttest nachweisen?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Langfristig erhöht chronischer Schlafmangel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, arterielle Hypertonie, Typ-2-Diabetes und Übergewicht. Auch Depression und Angststörungen treten häufiger auf. Schlechter Schlaf kann zudem das Hormongleichgewicht stören, vor allem durch die stärkere Freisetzung von Cortisol. Das Risiko für Alzheimer und für andere neurologische Krankheiten ist ebenfalls erhöht – das zeigen vor allem epidemiologische Studien. Auf der Suche nach den konkreten Pathomechanismen graben Wissenschaftler immer tiefer, mit Erfolg.
Nach Hinweisen, dass Schlafmangel zu neurologischen Schäden im Bereich des Hippocampus führen kann, hat eine Arbeitsgruppe Veränderungen in der Expression von Genen und damit im Proteom, der Gesamtheit aller Proteine, untersucht.
Grundlage der Studie war ein Mausmodell für Schlaflosigkeit. Die Forscher extrahierten Proteine aus den Hippocampi. Massenspektrometrische Proteom-Analysen zeigten, dass die Expression von 164 Proteinen im Hippocampus der Mäuse nach Schlafentzug signifikant verändert war. Um die Zahl der relevanten Proteine weiter einzugrenzen, suchten sie nach Molekülen, die mit schlechteren Ergebnissen bei Orientierungstests im Labyrinth assoziiert waren. Als Kontrolle zogen sie Tiere ohne Schlafentzug heran.
Dieser Ansatz half, Pleiotrophin (PTN) zu identifizieren: ein Wachstumsfaktor, der bei verschiedenen biologischen Prozessen eine Rolle spielt, beispielsweise der Zellproliferation, der Zellmigration und der Angiogenese. Das Protein wird unter anderem im Nervensystem exprimiert. Es ist außerdem mit der Reparatur von Gewebe und dem Tumorwachstum assoziiert.
Mit einer RNA-Analyse identifizierten Wissenschaftler Details: Schlafmangel verringert die Sekretion von PTN. Über Teilschritte kommt es zur Aktivierung des MAPK-Signalwegs, was weiter zur Apoptose von Neuronen führt. „Unsere Studie hat einen neuen Mechanismus aufgedeckt, durch den Schlaf die Gehirnfunktion schützt“, so die Forscher. Sie spekulieren, PTN könne sich zur Labordiagnostik von Schlafstörungen eignen.
Nur erklären Moleküle wie PTN nicht, warum schlechter Schlaf kardiovaskuläre Risiken erhöht. Eine Studie bringt auch hier Licht ins Dunkel. Ziel der Arbeit war, die Veränderungen im menschlichen Blutserum nach nächtlichem Schlafentzug zu untersuchen.
Die Forscher schlossen acht gesunde Frauen zwischen 22 und 57 Jahren in ihre Studie ein. Von den Teilnehmerinnen wurden regelmäßig Blutproben genommen – nach sechs Stunden erholsamer Nachtruhe und nach sechs Stunden Schlafentzug in der folgenden Nacht. Alle Proben wurden mit gekoppelter Analytik per Hochdruckflüssigkeitschromatographie (HPLC) und Massenspektrometrie (MS) analysiert. Verschiedene Datenbanken kamen zum Einsatz, um Proteine zu identifizieren.
Insgesamt umfasste die Analyse 793 Proteine, von denen sich 494 identifizieren ließen. Nach sechs Stunden Schlafentzug fanden die Wissenschaftler Unterschiede bei der Expression von 66 Proteinen. Zum Teil gab es Übereinstimmungen mit dem Proteom von Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe.
Die Forscher konnten biologische Funktionen wie eine veränderte Gerinnung und Thrombozytenfunktion, eine gestörte Lipid- und Immunfunktion und Zellproliferation mit den Veränderungen der Proteinstruktur in Zusammenhang bringen. Manche der Unterschiede waren laut Datenbanken mit höheren Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, pulmonale arterielle Hypertonie, Thrombosen oder neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson assoziiert. Andere Proteine verändern das Lipid- und Cholesterinprofil sowie den Transport dieser Moleküle, das Immunsystem und inflammatorische Reaktionen.
Die Ergebnisse liefern erste Hinweise auf pathophysiologische Mechanismen – nicht mehr, nicht weniger. Größere Studien mit Frauen und Männern verschiedenen Alters, aber auch mit längerem Schlafentzug oder mit Patienten, die erwiesenermaßen Schlafstörungen haben, sind erforderlich, um Resultate dieser kleinen Pilotstudie zu überprüfen. Bestenfalls bestätigt sich die Hoffnung vieler Ärzte, anhand von Biomarkern Schlafstörungen ohne großen Aufwand nachzuweisen – mit ELISA anstelle der technisch aufwändigen HPLC/MS.
Bildquelle: Anni Spratt, unsplash