Was müssen angehende Mediziner mitbringen, um später gute Ärzte zu werden? Diese Frage ist fast so alt wie der Arztberuf selbst. Ein sozial-kommunikativer Eignungstest soll nun die Antwort liefern.
Das Abitur ist in der Tasche – dennoch hat nicht jeder Studiosus die Fähigkeit, „irgendwas mit Menschen“ zu machen. Das ist völlig unproblematisch, gibt es doch eine nahezu unüberblickbare Menge an Berufsfeldern – und viele Wege der Glückseligkeit. Trotzdem sind gute Noten immer noch ein beliebtes Kriterium für Jugendliche, um sich für Medizin oder Zahnmedizin zu entscheiden. Ob ihre sozialen und kommunikativen Skills dafür ausreichen, zeigt sich dann früher oder später. So kommt zum schlechtesten Zeitpunkt, vielleicht nach der Approbation, die bittere Erkenntnis, dass der Umgang mit Menschen unangenehm, gar problematisch ist.
Genau deshalb haben Ärzte und Psychologen der Universität Heidelberg einen Test entwickelt, der die interaktionelle Kompetenz in der Medizin, kurz IKM, bei Bewerbern für einen der begehrten Medizin-Studienplätze prüft. Ziel ist, empathisch-emotionalen Fähigkeiten für den späteren Arztberuf auf die Probe zu stellen.
Zur interaktionellen Kompetenz in der Medizin gehören folgende Aspekte:
Insgesamt ist interaktionelle Kompetenz ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Arzt-Patienten-Beziehung, da sie Vertrauen schafft, die Therapietreue fördert und zur Zufriedenheit beiträgt.
„Medizinstudienplätze werden immer begrenzt bleiben. Aus Patientensicht ist es wichtig, dass wir bei der Auswahl der Studierenden zuverlässig Personen identifizieren, die später gut, gerne und für möglichst weite Teile ihres Berufslebens als Ärztinnen und Ärzte praktisch tätig sind“, sagt Prof. Dr. Hans-Christoph Friederich, Studiendekan an der Medizinischen Fakultät Heidelberg zu dem neu entwickelten Test.
Bereits seit dem Wintersemester 2023/2024 nutzt die Medizinische Fakultät Heidelberg den Test zur Vergabe von fünf Prozent aller Studienplätze nach Vorauswahl über den Test für Medizinische Studiengänge (TMS).
Bei den Tests müssen sich Bewerber in realistischen Gesprächen mit erfahrenen Schauspiel-Patienten beweisen. Das sind beispielsweise Lebensstil-Beratungen zum Rauchen oder zum Essverhalten. Die Gespräche werden auf Video aufgezeichnet und ausgewertet; auch die Schauspiel-Patienten geben eine Einschätzung zum Verlauf des Tests ab.
Um den Test zu validieren, haben Forscher aus Heidelberg im Jahr 2021 genau 70 Medizin-Erstsemester-Studenten eingeladen, am Test freiwillig teilzunehmen. Die Ergebnisse veröffentlichten sie in Advances in Health Sciences Education. Ein Ergebnis dieser kleinen Studie war, dass Probanden, die im Test nach objektiven Kriterien gut abgeschnitten hatten, auch in der subjektiven Einschätzung der Schauspieler gut waren. Die „Patienten“ fühlten sich bei den im Test als gut Eingestuften besonders wohl.
„Unsere Schauspiel-Patienten können ärztliches Verhalten gut beurteilen, denn sie haben schon an zahlreichen vergleichbaren Simulationen teilgenommen. Dass ihre Einschätzung mit dem Ergebnis des IKM-Tests so gut übereinstimmt, ist daher ein wichtiges Indiz für die Güte unseres Tests“, sagt Prof. Sabine Herpertz. Sie ist ärztliche Direktorin der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg.
Das Abschneiden im IKM-Test war unabhängig von Resultaten des „Mediziner-Tests“, der u. a. fachliches Wissen und Fähigkeiten wie Logik oder räumliches Vorstellungsvermögen abfragt. Daraus könne man folgern, dass ihr IKM Kompetenzen für die ärztliche Praxis evaluiere, die unabhängig von der medizinisch-fachlichen Eignung seien, so die Autoren.
Zukünftig wollen sie unter anderem die Pilotkohorten weiter beobachten. „Wir planen, den IKM weiter zu validieren, indem wir den Erfolg von Studierenden, die über das IKM-Verfahren ausgewählt wurden, in den kommenden Jahren und sogar über das Studium hinaus, in den ersten Jahren des Berufslebens, untersuchen“, schreiben die Autoren.
Der IKM wird bereits als Auswahlkriterium eingesetzt, wenn auch in geringem Umfang. Weitere Daten sind erforderlich; 70 Teilnehmer sind eine recht überschaubare Kohorte. Doch ein Ergebnis überrascht schon jetzt: Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Teilnehmer beim IKM besonders gut abschnitten, die bereits Erfahrung im Gesundheitsbereich gemacht hatten und dort schon mehr als sechs Monate gearbeitet hatten. Daraus schlussfolgern die Autoren, dass „die soziale Kompetenz mit längerer Berufserfahrung steigt“. Sie ist, sollten größere Studien zu ähnlichen Resultaten kommen, nicht nur Anlage ist, sondern in gewissem Maße erlernbar.
Das heißt aber im Umkehrschluss: Womöglich schließt der IKM Menschen aus, die ihre sozial-kommunikative Kompetenz zu Beginn ihres Studiums in entsprechend jungen Jahren eben „noch“ nicht entwickelt haben – und vielleicht schon durch das Pflegepraktikum ihre Skills optimieren.
Quelle:
Fleck, L. et al. Interactional competencies in medical student admission– what makes a “good medical doctor”? Adv in Health Sci Educ. 2024. doi: 10.1007/s10459-024-10348-w
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