Brustkrebspatientinnen stehen oft vor einer schwierigen Entscheidung: Sollten sie sich auch die andere Brust abnehmen lassen, um Tumor- und Sterberisiko zu senken? Eine Studie hat das jetzt untersucht.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
2013 machte Angelina Jolie ihre Entscheidung öffentlich: Sie hatte sich wegen eines erhöhten Risikos für Brustkrebs beide Brüste amputieren lassen. Auch viele Frauen mit Brustkrebs in einer Brust entscheiden sich dafür, vorsorglich beide Brüste entfernen zu lassen – also für eine bilaterale Mastektomie. Sie hoffen, dadurch zu verhindern, dass auch in der zweiten Brust ein Tumor auftritt und so das Risiko, an Brustkrebs zu sterben zu verringern. Bisherige Studien haben gezeigt, dass die Entfernung der gesunden Brust das Risiko eines Tumors in der zweiten Brust tatsächlich verringert. Allerdings konnte bisher nicht eindeutig gezeigt werden, dass eine bilaterale Mastektomie auch das Sterberisiko reduziert.
In einer neuen, groß angelegten Langzeitstudie mit einem Follow-Up-Zeitraum von bis zu 20 Jahren hat ein Forscherteam aus Kanada nun untersucht, ob eine bilaterale Mastektomie bei Frauen mit Brustkrebs im Stadium 0 bis III in einer Brust das Risiko eines Tumors in der zweiten Brust und das Sterberisiko verringern kann. Ihre Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift JAMA Oncology erschienen.
Die Wissenschaftler um Letztautor Steven A. Narod vom Women‘s College Research Institute am Women’s College Hospital in Toronto (Kanada) verwendeten für ihre Analyse Daten aus der Datenbank des Surveillance, Epidemiology and End Results (SEER)-Programms. Dieses umfasste 661.270 Frauen mit Brustkrebs in einer Brust, die über einen Zeitraum von 20 Jahren nachverfolgt worden waren. Ihr mittleres Alter betrug 58,7 Jahre (Standardabweichung 11,3 Jahre).
Hieraus wählten die Forscher Frauen aus, die in den Jahren 2000 bis 2019 eine Brustkrebs-Diagnose (invasives Karzinom oder duktales Carcinoma in situ) erhalten hatten. Sie generierten drei gleich große Gruppen, bei denen entweder nur der Tumor, die betroffene Brust oder beide Brüste entfernt worden waren. Die Gruppen wurden dabei nach soziodemographischen Merkmalen und klinischen Merkmalen der Brustkrebserkrankung wie Alter bei Diagnose, histologischem Subtyp oder Östrogenrezeptor-Status gematcht. Jede Gruppe umfasste 36.028 Frauen. Die Wissenschaftler verglichen die drei Gruppen über den Follow-Up-Zeitraum von 20 Jahren bezüglich Brustkrebs in der zweiten Brust und Sterberate.
In der Gruppe, in der nur der Tumor entfernt worden war, trat im Follow-Up-Zeitraum 766 Mal Brustkrebs in der zweiten Brust auf, bei Entfernung einer Brust war dies 728 Mal und bei Entfernung beider Brüste 97 Mal der Fall. Dementsprechend betrug das Risiko für Brustkrebs in der zweiten Brust über den 20-Jahres-Zeitraum in der Gruppe mit Entfernung des Tumors 7,8 %, bei Entfernung einer Brust 6,1 % und bei Entfernung beider Brüste 0,7 %.
Über die Gruppen hinweg lag die Sterblichkeit an Brustkrebs über einen Zeitraum von 15 Jahren bei 32,1 %, wenn in der zweiten Brust ein Tumor aufgetreten war und bei 14,5 %, wenn dies nicht der Fall war. „Dies zeigt, dass das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, beim Auftreten eines Tumors in der zweiten Brust signifikant erhöht ist“, schreiben die Autoren.
Dabei starben in der Gruppe mit Entfernung des Tumors 3.077 Frauen (8,54 %) an Brustkrebs, in der Gruppe mit Entfernung einer Brust 3.269 Frauen (9,07 %) und in der Gruppe mit Entfernung beider Brüste 3.062 Frauen (8,50 %). Die Sterberate unterschied sich also in den drei Gruppen nicht.
Gruppe
Tumorrisiko in der zweiten Brust über den 20-Jahres-Zeitraum
Sterberisiko über den 20-Jahres-Zeitraum
Entfernung des Tumors
7,8
16,3
Entfernung einer Brust
6,1
16,7
Entfernung beider Brüste
0,7
„Frauen, denen beide Brüste entfernt worden waren, hatten also ein deutlich geringeres Risiko für einen Tumor in der zweiten Brust. Allerdings unterschied sich ihre Sterblichkeit nicht von der bei Frauen, denen nur der Tumor oder nur die betroffene Brust entfernt worden war“, resümieren die Autoren.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich nun daraus? Sollten sich Frauen mit Brustkrebs vorsorglich beide Brüste entfernen lassen oder ist dies nicht sinnvoll? Oder ist es nur in bestimmten Fällen ratsam?
„Es gibt keine pauschalen Empfehlungen, ob bei einer Frau mit Brustkrebs eine bilaterale Mastektomie durchgeführt werden sollte oder nicht“, sagt Prof. Wolfgang Janni. Er ist Ärztlicher Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Ulm und Sprecher der Kommission Mamma der Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Onkologie e. V. (AGO). „Dies ist immer eine individuelle Entscheidung und es gibt dabei keine einfachen Antworten. Wichtig ist immer eine individuelle Beratung in einem auf Brustkrebs spezialisierten Zentrum.“ Dabei müsse sorgfältig zwischen Mehrwert und Risiken beider Alternativen abgewogen werden.
„Die Komplexität ist bei dieser Entscheidung hoch“, betont Janni. „Auf der einen Seite spielt dabei das Risiko, einen weiteren Tumor zu entwickeln, eine wichtige Rolle. Dieses hängt vor allem von genetischen und familiären Risikofaktoren, aber auch von weiteren Faktoren ab. Auf der anderen Seite müssen auch die Risiken einer Operation berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist das eigene Körperbild und Empfinden der Frau von Bedeutung.“
Im individuellen Fall gebe es schon eine medizinische Einschätzung, ob eine Amputation der zweiten Brust von der Tendenz her sinnvoll sei – etwa, wenn ein hohes Risiko für ein invasives Karzinom besteht. „Wir informieren die Frauen gut, beraten sie jedoch zurückhaltend und nondirektiv – denn letztlich muss jede Frau die Entscheidung für sich selbst treffen“, erläutert Janni. So könne es sein, dass sich eine Frau nach der Beratung entscheide, ihre Brust zu behalten, auch wenn sie sich der Risiken bewusst sei. „Das ist dann absolut in Ordnung“, sagt Janni. „Eine gute Alternative ist in diesem Fall die Teilnahme an intensiven Vorsorgeprogrammen, die es zum Glück in Deutschland gibt.“
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Quelle:
Giannakeas et al. Bilateral Mastectomy and Breast Cancer Mortality. JAMA Oncol, 2024. doi: 10.1001/jamaoncol.2024.2212
Bildquelle: JESSIE ABRAHAM, unsplash