Der populäre Body Mass Index steht vor allem wegen der fehlenden Berücksichtigung des Viszeralfettanteils in der Kritik. Ist der Body Roundness Index die bessere Richtschnur für gesunde Körperproportionen?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Seit 150 Jahren sucht die Wissenschaft nach der Zauberformel für das ideale Körpergewicht. Herausgekommen sind dabei eine Reihe von Indizes, die bis heute um Anerkennung ringen. Lange galt der von Pierre Paul Broca (1824–1880) entwickelte Broca-Index (BI) als richtungsweisend: Körpergröße in Zentimetern minus 100 ergeben das „Sollgewicht“. Davon 10 (♂) bzw. 15 (♀) Prozent abgezogen und man ist beim „Idealgewicht“. Der BI gilt heute als „vintage“, ist aber als Pi-mal-Daumen-Richtschnur für Otto-Normal-Bürger durchaus eine greifbare und kein mathematisches Talent erfordernde Option, die zudem mit dem prominenten Body Mass Index (BMI) gut harmoniert. So hat beispielsweise eine 1,70 m große Person ein Broca-Sollgewicht von 70 kg, was einem BMI von 24,2 entspricht. Die zugehörigen Broca-Idealgewichte liegen bei 63 kg (♂) bzw. 59,5 kg (♀) entsprechend BMI-Werten von 21,8 (♂ empfohlen: 20–25) bzw. 20,7 (♀ empfohlen 19–24).
Gegenwärtig ist der BMI, das Verhältnis vom Körpergewicht zum Quadrat der Körpergröße, am populärsten. Der Weisheit letzter Schluss ist der BMI aber nicht – schon gar nicht für sportlich Aktive mit überdurchschnittlichem Muskelanteil. Wie hoch der BMI im Idealfall sein sollte, wird kontrovers diskutiert. Aktuell wird Frauen ein Wert von 19 bis 24 und Männern zwischen 20 und 25 empfohlen. Statistisch soll das die höchste Lebenserwartung bescheren. Allerdings gelten diese Werte nur für mittlere Lebensbereiche. Für die Jugend und das Alter, für sehr große und sehr kleine Menschen, aber auch für bestimmte Sportler-Gruppen sagt die Statistik anderes.
Die besonderen Knackpunkte:
Das ganze Dilemma wird deutlich, wenn man sich einen austrainierten Athleten anschaut. Sein hoher Anteil schweren Muskelgewebes und wenig Körperfett verleihen ihm einen höheren, womöglich dem Übergewichtsbereich zugeordneten BMI. Dagegen weisen „Couchpotatoes“ mit unterentwickelter Muskulatur, aber relativ hohem Anteil an gesundheitsgefährdendem Eingeweidefett bisweilen ideale BMI-Werte auf. Solche „Tofis“ (thin outside, fat inside) wiegen sich in trügerischer Sicherheit. Denn das äußerlich unsichtbare, um die Bauchorgane eingelagerte Fett ist bekanntermaßen ein stoffwechselaktiver Entzündungsmotor, der zahlreichen Krankheiten Vorschub leistet. Das Hauptmanko des BMI besteht somit darin, dass er keinerlei Informationen über den Gesamtfettanteil, das Verhältnis von fettfreier zu Fettmasse (einschließlich fettfreiem Muskulaturanteil) sowie den als bedeutender Risikofaktor identifizierten Viszeralfettanteil liefert.
Die nicht in den BMI einfließende Körperzusammensetzung im Verbund mit dem weltweit mehr und mehr anwachsenden Problem der Viszeralfett-getragenen Adipositasentwicklung befeuert die Suche nach einem als Risikoprädiktor tauglichen Index.
Mit dem „Taille-Hüfte-Verhältnis (Waist to Hip Ratio WHR) in Kombination mit der Bauchumfangsmessung (BU) gibt es BMI-Alternativen, die vor allem durch ihre einfache Bestimmbarkeit punkten. Doch trotz Korrelationsstudien, die einem „Apfeltyp“ (androide Adipositas, hoher Bauchfettanteil) mit WHR > 1,0 (♂) bzw. > 0,85 (♀) und/oder einem BU ab 94/102 cm (♂) bzw. 80/88 cm (♀) erhöhte/stark erhöhte Risiken für Diabetes, kardiovaskuläre und kanzeröse Folgeerkrankungen zuschreiben, finden auch diese Indices keine durchschlagende Anerkennung. Gleiches gilt für die Waist to Height Ratio und den Body Adiposity Index – beide ohne Berücksichtigung des Körpergewichts berechnet – sowie den moderneren A Body Shape Index, der aus Taillenumfang, Körpergroße und BMI auf (für Nicht-Mathematiker) schwer nachvollziehbaren Pfaden abgeleitet wird.
Trotz dieser insbesondere für Laien verwirrenden Vielfalt an über mathematische Formeln errechenbarer Kennzahlen, ist ein überzeugender Indikator, der verlässliche Informationen über die Körperfettverteilung zu gesundheitlichen Risiken in Beziehung setzt, nicht gefunden. Kürzlich hat nun eine Forschungsgruppe der medizinischen Fakultät der Universität Peking einen bereits 2013 entwickelten Index im Hinblick auf seine Eignung als Risikoprädiktor ins Visier genommen.
Bislang lief der sogenannte Body Roundness Index (BRI) weitgehend unter dem Radar. Womöglich liegt das (auch) an den schwer zu durchdringenden, auf Körpermodellierungen basierenden Rechenoperationen. Entwickelt wurde das Ganze von einer Arbeitsgruppe am Center for Quantitative Obesity Research der Montclair State University New Jersey unter Leitung der Mathematik-Prof. Diana Maria Thomas. Ziel der Arbeit war es, aus zwei oder drei leicht messbaren anthropometrischen Daten (Körpergröße und Taillen- und/oder Hüftumfang) mittels mathematischer Modellrechnung sowohl den individuellen Gesamtkörperfettanteil als auch den Viszeralfettanteil zu bestimmen und daraus eine Risikobewertung für Adipositas-bedingte Folgeerkrankungen ableiten zu können.
Thomas und ihre Kollegen modellierten die menschliche Körperform als Ellipse, die den Körperumfang im Verhältnis zur Körpergröße als sogenannte Body Roundness erfasst. Das Ergebnis und somit ein Index für die „Körperrundheit“ ist ein dimensionsloser, als Exzentrizität bezeichnet Wert, aus dem sich – so die Studienautoren – auch der Gesamt- sowie der Viszeralfettanteil vorhersagen lassen.
Body Roundness Index (BRI). Modifiziert nach https://bri-calculator.online/
„Wir wenden die Exzentrizität an, um einen einfachen numerischen Quantifizierer der Körperrundheit zu entwickeln: den Body Roundness Index (BRI). Wir haben die Exzentrizität auch angewendet, um den Gesamtkörperfettanteil und den Viszeralfettanteil vorherzusagen“, schreiben die Autoren. Die Exzentrizität kann Werte zwischen 0 und 1 einnehmen, wobei 0 ein Kreis und 1 ein zur vertikalen Linie geschlossenes Oval beschreibt, was selbstredend auf einen menschlichen Körper nie zutrifft. Da dessen Exzentrizität zwischen 0,95 und 1 liegt, unterscheiden sich selbst sehr unterschiedliche Körperformen nur im Nachkommastellenbereich, was sehr unkomfortabel ist. Daher extrapolierten die Autoren die Exzentrizität auf Werte zwischen 1 (sehr schlank) und 20 (sehr rund). Für diese 20er Skala prägte das Thomas-Team den Begriff Body Roundness Index (BRI).
Wer sich in die Tiefen der Mathematik stürzen und mit der Herleitung der zur BRI-Berechnung verwendeten Formel befassen möchte, sei auf die Arbeiten von Thomas et al. verwiesen. Wer nur einen Kalkulator zur BRI-Berechnung sucht, finden ihn hier oder hier. Die Formel lautet:
BRI = 364,2 - 365,5 × √ (1 - [Taillenumfang in cm / 2π]2 / [0.5 × Körpergröße in cm]2)
Hinweis: Entgegen einiger Darstellungen im Netz ist der BRI nicht identische mit dem A Body Shape-Index (ABSI), der unter Einbeziehung des BMI aus Körpergröße und Taillenumfang berechnet wird. In die BRI-Berechnung hingegen fließt das Körpergewicht gar nicht ein.
Wenngleich sich der BRI in einigen klinischen Studien als besserer Indikator zur Einschätzung verschiedener Krankheitsrisiken – darunter kardiovaskuläre (z. B. hier) und metabolische Erkrankungen (hier, hier) Nierenerkrankungen (hier) und Krebs (hier) – erwies als der BMI und weitere anthropometrischen Indikatoren, fristet er doch weitgehend ein Schattendasein. Genannte Forschungsgruppe aus Peking hat ihn nun wieder ans Licht geholt, um eine ihrer Ansicht nach markante Datenlücke – nämlich die Korrelation zwischen BRI und Gesamtsterblichkeit innerhalb einer nationalen Population – zu schließen.
Dass die durch Erhöhung des Viszeralfettanteils dominierte Körperfülle in der Regel in höherem Alter zunimmt, dass Frauen davon aufgrund der postmenopausalen Hormonumstellungen stärker betroffen sind, dass die Ethnie (Genetik) und sozioökonomische Faktoren eine Rolle spielen, sind keine erst durch den BRI gewonnenen Erkenntnisse. Dass der Viszeralfettanteil einen unabhängigen Risikofaktor für kardiovaskuläre, metabolische und kanzeröse Erkrankungen darstellt, ist durch zahlreiche Studien untermauert (z. B. hier, hier, hier). In der BRI-Bestimmung sehen die chinesischen Studienautoren um Xiaoqian Zhang eine verlässliche Methode, den Anteil des pathogenen Viszeralfetts körpergewichtsunabhängig in die Risikoabwägung einfließen zu lassen.
Die erstmals für eine nationale Kohorte in einem longitudinalen Ansatz erfasste, statistisch signifikante Korrelation zwischen BRI/Viszeralfettanteil und der Gesamtmortalität in jedem Lebensalter stützt den Ansatz, zur Krankheitsprävention stärker die individuelle Fettverteilung im Auge zu haben anstatt sich auf das Körpergewicht respektive den BMI zu fokussieren. Ob die BRI-Erfassung in der praktischen Umsetzung ein besseres Werkzeug zur individuellen Risikoabschätzung, Formulierung adäquater Verhaltensempfehlungen und Verlaufskontrolle therapeutischer Maßnahmen ist als BMI, WHR, BU und Co. bleibt fraglich.
Für ärztlich betreute Risikopatienten steht mit klinischen Methoden der Viszeralfettbestimmung, gegebenenfalls unter Einsatz bildgebender Verfahren eine ungleich verlässlichere Methode zur Verfügung. Die Kostenfrage sei hier einmal ausgeblendet. Und was ist mit dem Normalbürger, der seine Gesundheit im Auge hat? Ergibt es Sinn, ihn davon zu überzeugen, den morgendlichen Gang auf die Waage durch Maßband und BRI-Rechner zu ersetzten? Das darf angezweifelt werden. Die Kilos auf der Waage sind trotz des Mankos fehlender Viszeralfett-Informationen etwas Konkretes und keine abstrakte Zahl, deren Berechnung man ohne „höhere Mathematik“ kaum durchdringt. Zudem ist die „Beschönigungs-Bias“ beim Messen von Körpergröße („Zehenspitzenstand“) und Taillenumfangsmessung („Bauch einziehen“) um einiges höher. Übermäßig viel Muskelmasse, die dem BMI seine Aussagekraft raubt, betrifft nur einen Kreis von körperlich sehr aktiven Menschen, die ohnehin in der Regel wenig Probleme mit zu viel Viszeralfett aufweisen. Die Suche nach einer verlässlichen anthropometrischen Kennzahl für Krankheits- und Sterberisiken wird wohl weitergehen, ob sinnhaft oder nicht.
Kritik am BMI: Der BMI berücksichtigt weder die Körperzusammensetzung noch die Fettverteilung, insbesondere das gesundheitsschädliche Viszeralfett, was zu ungenauen Gesundheitsbewertungen führt.
BRI als Alternative: Der Body Roundness Index (BRI) wird als potenziell besserer Indikator angesehen, da er viszerales Fett und Körperfettanteile ohne das Körpergewicht berücksichtigt.
Studienergebnisse: Studien zeigen eine signifikante Korrelation zwischen hohem BRI und erhöhter Sterblichkeit, besonders bei höheren Viszeralfettanteilen. Er basiert jedoch auf komplexen mathematischen Berechnungen, was seine praktische Anwendung im Alltag einschränken könnte.
Quellen:
Zhang et al. Body Roundness Index and All-Cause Mortality Among US Adults. JAMA Netw Open, 2024. DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2024.15051
Thomas et al. Relationships between body roundness with body fat and visceral adipose tissue emerging from a new geometrical model. Obesity (Silver Spring), 2013. DOI: 10.1002/oby.20408
Cai et al. Body roundness index improves the predictive value of cardiovascular disease risk in hypertensive patients with obstructive sleep apnea: a cohort study. Clin Exp Hypertens, 2023. DOI: 10.1080/10641963.2023.2259132
Rico-Martín et al. Effectiveness of body roundness index in predicting metabolic syndrome: a systematic review and meta-analysis. Obes Rev, 2020. DOI: 10.1111/obr.1302313
Wu et al. Non-linear relationship between the body roundness index and incident type 2 diabetes in Japan: a secondary retrospective analysis. J Transl Med, 2022. DOI: 10.1186/s12967-022-03321-x
Zhang et al. Body roundness index is related to the low estimated glomerular filtration rate in Chinese population: a cross-sectional study. Front Endocrinol (Lausanne), 2023. DOI: 10.3389/fendo. 2023.1148662
Gao et al. The association between the body roundness index and the risk of colorectal cancer: a cross-sectional study. Lipids Health Dis, 2023. DOI: 10.1186/s12944-023-01814-2
Gruzdeva et al. Localization of fat depots and cardiovascular risk. Lipids Health Dis, 2018. DOI: 10.1186/s12944-018-0856-8
Koenen et al. Obesity, adipose tissue and vascular dysfunction. Circ Res, 2021. DOI: 10.1161/CIRCRESAHA.121.318093
Kuk et al. Visceral fat is an independent predictor of all-cause mortality in men.Obesity (Silver Spring), 2006. DOI: 10.1038/oby.2006.43
Bildquelle: Mariia Shalabaieva, unsplash