Zu wenig Sauerstoff, zu viel Kohlendioxid im Blut. Was dann zu tun ist und ab wann es auch ok ist, die Therapie zu beenden, verrät eine neue Leitlinie.
20.000-mal am Tag schickt das Gehirn einen Impuls an das Zwerchfell, sich zusammenzuziehen. Dann strömt in die Lunge Luft, die Sauerstoff abgibt und Kohlendioxid aufnimmt. Wohl kein System ist für den Organismus so existenziell: Während wir Monate ohne Licht, Wochen ohne Nahrung und Tage ohne Schlaf auskommen, ist ohne Atmung schon nach wenigen Minuten Schluss. Ein ungenügender Luftaustausch fällt zuerst bei Belastung und beim Schlafen auf. Später kann er zu Gewichtsabnahme, Schlafstörungen bis hin zu Persönlichkeitsveränderungen führen. Die einzige Möglichkeit, medizinisch gegenzusteuern, ist eine künstliche Beatmung.
Grob lassen sich dabei drei Eskalationsstufen unterscheiden: Wenn nur die Lunge, also das gasaustauschende System, nicht richtig funktioniert, genügt eine kontinuierliche Sauerstoffzufuhr, weil das Kohlendioxid über seine hohe Diffusionskapazität ausreichend abgeatmet wird. Wenn dagegen die Atempumpe nachlässt, also das ventilierende System mit Zwerchfell und Rippenmuskeln, braucht die Atmung mechanische Unterstützung. Genügt auch das nicht, muss die Atmung via Luftröhrenschnitt komplett übernommen werden.
Die eben aktualisierte S3 Leitlinie Nichtinvasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz unter Federführung der Deutsche Gesellschafft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und unter Mitarbeit von 10 weiteren Fachgesellschaften, behandelt auf knapp 150 Seiten die mittlere dieser drei Eskalationsstufen. Die Autoren gehen kapitelweise auf die möglichen Ursachen der Atemschwäche ein:
In weiteren Kapiteln geht es um die Themen:
Die Leitlinie richtet sich an Fachärzte, Atmungstherapeuten, Pflegekräfte sowie Allgemeinmediziner. Sie gilt für alle Patienten, die bereits eine chronische hyperkapnische respiratorische Insuffizienz haben, oder denen eine droht. Weil die Beatmungs-Fallzahlen in den letzten Jahren stark gestiegen sind und es für die invasive Beatmung besonders wenig Evidenz gibt, hat sich die DGP entschlossen, aus der Vorgängerversion zur nicht-klinischen Beatmung zwei Leitlinien mit den Schwerpunkten nicht-invasive und invasive Beatmung zu erstellen.
Der Goldstandard der Diagnose ist die Bestimmung des arteriellen Kohlendioxidpartialdrucks. Auch die Messung der Lungenfunktion und die Atemmuskelstärke können Hinweise für die Diagnose liefern. Steht eine Insuffizienz fest, führt an der künstlichen Beatmung als einziger Therapie kein Weg vorbei. Bei akuter Insuffizienz müssen Patienten in der Regel auf der Intensivstation behandelt werden. Patienten mit chronischen Verläufen werden auf eine Maskenbeatmung eingestellt, die sie dann zuhause selbst managen. Meist tragen die Patienten die Maske nachts und gelegentlich auch tagsüber. Es gibt sie als Nasenmaske, Nasen-Mund-Maske, Vollgesichtsmaske oder als Mundstück.
Auch wenn die Masken keine invasive Behandlung darstellen und Patienten mit ihnen besser und länger leben können, sind sie ein störender Klotz im Gesicht, der von trockenem Rachen über gestörten Schlaf bis hin zu Blähungen eine Reihe von Nebenwirkungen haben kann. Die Leitlinie betont deshalb immer wieder, wie wichtig die Einbeziehung der Patientenwünsche ist.
Ganz besonders gilt das im letzten Kapitel „Ethische Erwägungen“. Wenn es keine Hoffnung mehr gibt, dass sich der Zustand des Patienten wenigstens stabilisieren könnte, sei es „ethisch vertretbar, wenn nicht gar geboten“, offen über ein Ende der Therapie zu sprechen. Wichtig für das Wording: Eine Therapie wird niemals „abgebrochen“. Es wird vielmehr mit der End-of-Life-Care ein neues Ziel gesetzt. Laut Bundesgerichtshof dürfen Therapien zurückgehalten oder beendet werden, „um dem Sterben seinen natürlichen, der Würde des Menschen gemäßen Verlauf zu lassen“.
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