Der Herbst naht, Zeit für ein Corona-Update. Allgemeiner Konsens ist: Das Virus ist für die Mehrheit harmlos – man lässt es einfach unkontrolliert und ungebremst durchlaufen. Wie geht’s weiter?
Die Welt hat sich geteilt, auch in der Schweiz hat man vor allem in den sozialen Netzwerken stark das Gefühl – in diejenigen, die nichts mehr wissen wollen von der Pandemie und allem damit Verbundenen (wie Masken, Tests, Impfungen) und die Vorsichtigen, die der aktuellen Ruhe (oder besser Stille?) nicht trauen wollen. Vielleicht sind das solche, die Verwandte und Freunde mit Folgeschäden einer Covid-Erkrankung haben oder solche mit vulnerablen Angehörigen, die jegliche Infektion verhindern müssen.
So wirklich sicher bin ich auch noch nicht, ob Covid nicht noch etwas in der Hinterhand hat: Long Covid, langfristig negativen Einfluss auf das Immunsystem, anhaltende Herz- oder Gefäßschäden, Einfluss auf das Gehirn? Ich verstehe den rationalen Aspekt dahinter, dass Beschränkungen wieder aufgehoben wurden – im Gesundheitssystem geht es um Entscheidungen, die aufgrund der Mehrheit getroffen werden müssen und den wirtschaftlichen Aspekt. Aber, welche Folgen hat die Erkrankung? Arbeitsausfälle, Spitalaufenthalte, Kosten, Todesfälle? Wie viele haben Folgeschäden und wie lange? Und wen trifft das: die Steuerzahler oder die Kinder oder AHV-Empfänger?
Offenbar hat man beschlossen, dass der Aufwand (Prävention, Information, Masken, Tests und Impfungen) den Ertrag (geschützte Gesundheit und Leben) auf Ebene der Bevölkerung nicht mehr lohnt. Das hört sich hart an, aber es läuft darauf heraus: Wie viel ist ein Menschenleben wert?
In der Schweiz hat das BAG jetzt ein Monitoringsystem, das in Spitälern gemeldete Grippe-, Covid- und RSV-Fälle gesammelt hat, einstampfen lassen. Es wird jetzt nur noch im Genfer Spital HUG weitergeführt – nur dort werden Daten gesammelt, bis das dann (vielleicht) in ein paar Jahren wieder national möglich ist. Über die Abwasserdaten ist noch eine Aussage möglich, wieviel Coronavirusinfektionen im Umlauf sind.
Covid fällt in der Schweiz auch nicht mehr unter die meldepflichtigen Krankheiten und ein positiver Test hat auch keinerlei gesetzlich vorgeschriebene Folgen, wie etwa Quarantäneempfehlungen. Die Spitäler testen nur noch in Ausnahmefällen und wer wissen will, ob er es hat, ist hauptsächlich auf Selbsttests angewiesen oder muss sich (mühsam) jemanden suchen, der noch PCR-Tests anbietet. Sehr wenige machen das noch (Labors und Apotheken) – immerhin braucht man das nicht einmal mehr zum Reisen. Nachdem die letzten Selbsttests im August abgelaufen sind und im Sommer keine anderen bestellbar waren, gibt es jetzt wenigstens wieder welche zu kaufen.
Masken sind zum Reizthema geworden. Enttäuschenderweise hat es sich nicht durchgesetzt, dass Kranke zum Schutz anderer freiwillig in der Öffentlichkeit Maske tragen, wie es in asiatischen Ländern üblich ist. Stattdessen trägt praktisch nur noch Maske, wer sich selbst schützen möchte oder wer sicher sein will, keine Infektion mit nach Hause zu den kranken Angehörigen zu nehmen.
Die Maske wurde maximal diskreditiert, ihre Wirksamkeit angezweifelt, Trägern werden Paranoia und Angststörungen unterstellt und paradoxerweise gehen die Leute tatsächlich auf Abstand, wenn man eine trägt und sitzen lieber neben den akut übel hustenden und kranken Mitmenschen als neben der mit Maske, weil: „Die ist sicher krank!“ Alles selbst erlebt, auch wenn ich selbst nur noch in (hoch-)Risikosituationen Maske trage. Wir benutzen FFP2-Masken – und es ist ziemlich erschreckend, wie wenige davon noch zu bekommen sind. Ohne Nachfrage kein Angebot. In der Schweiz haben sie jetzt schon diverse Maschinen zur Maskenherstellung wieder abgestellt und eingemottet oder eingestampft.
Impfungen – das Thema, das mich am meisten enttäuscht. Ich sollte das präzisieren: Impfungen sind eine fantastische Erfindung, eine der besten Errungenschaften der Menschheit und dazu gehört auch die Covid-Impfung, auch wenn diese die Anfangserwartung leider nicht erfüllt hat. Vielleicht waren die auch zu hoch? Man kann sich trotzdem anstecken, sie ist nicht Nebenwirkungsfrei (wenn auch millionenfach sicherer und folgenloser als eine Erkrankung). Aber sie schützt vor schweren Komplikationen der Erkrankung. Es ist immer besser, sein Immunsystem mit einer Impfung zu trainieren, als mit der Erkrankung und es gibt regelmäßige Updates der Covid-Impfung an neue Varianten.
Covid bekommt man mit der Impfung kaum ausgerottet, aber man könnte einen gewissen Herdenschutz aufbauen – wenn einem das nicht in den letzten 4 Jahren maximal madig gemacht worden wäre. Die Impfgegner haben sich zu neuen Höhen aufgeschwungen und mit der Covid-Impfung auch alle anderen Impfungen niedergemacht. Man schreit, dass Impfungen praktisch Nötigung seien. Nebenwirkungen werden (vor allem in Deutschland) überhöht dargestellt und Falschmeldungen durch alle Medien gezogen. Wissenschaftler und Fachpersonen werden, wenn sie Impfungen unterstützen, sofort als Handlanger der Pharmaindustrie diskreditiert. Die Leute waren noch nie gut in Nutzen-Risikoabschätzung.
Auch sonst waren die Umstände in den letzten Jahren suboptimal zum Impfen. Die Covid-Impfung gab es bis dahin nur im Mehrfachvial. Sie kam gefroren, musste aufgetaut und zubereitet und binnen weniger Stunden verimpft werden. Nachdem die Impfempfehlung (und die Vorgaben beim Reisen) wegfielen, wurde der Aufwand zu groß und die Impfstellen fielen weg. Erst die Großen Impfzentren, dann das Impfen in den Apotheken oder beim Arzt. Aktuell muss man wirklich suchen, wer überhaupt noch impft – und dann geht es meist nicht ohne Voranmeldung.
Die letzten Jahre dürften auch viele Auffrischimpfungen nicht gemacht worden sein. Ich weiß, dass in der Apotheke vor Covid einiges mehr gegen anderes geimpft wurde, als das aktuell der Fall ist. Hierzulande kommt dazu noch das Problem, dass der eine Anbieter des elektronischen Impfausweises, der auch die Möglichkeit bot, einfach selber oder durch uns in der Apotheke einen Check zu machen, was an Impfungen als nächstes nötig ist, seinen Dienst einstellte. Jetzt müssen wir das in der Apotheke oder Arztpraxis wieder „von Hand“ machen, was einiges mühsamer ist und länger dauert.
Stand heute (Mitte September 2024) gibt es aber Hoffnung: Obwohl die Covid-Impfung nicht mehr vom Bund übernommen wird und ziemlich restriktive Indikationen hat, gibt es jetzt einzelne Fertigspritzen! Die sind zum Teil im Kühlschrank sogar ein paar Monate haltbar. Also keine mühselige Planung und Vorbereitung und die Apotheken und Ärzte können die Impfung anbieten und durchführen. Jetzt können wir das zusammen mit den Grippeimpfungen machen. Und ein neues Programm, um den Impfausweis zu kontrollieren, sollte auch kommen. Irgendwann.
Bildquelle: Volodymyr Hryshchenko, unsplash