Parfums, Spielzeug, Handcremes – in all diesen Dingen befinden sich potenzielle endokrine Disruptoren. Wieso diese im Verdacht stehen, eine frühzeitige Pubertät bei Mädchen auszulösen.
Mädchen kommen immer früher in die Pubertät – unter anderem setzt dabei das Brustwachstum (Thelarche) verfrüht ein. Umweltfaktoren könnten eine Rolle spielen für den Trend, der nun bereits seit einem Jahrzehnt beobachtet wird. Normalerweise beginnt die Pubertät bei Mädchen im Alter von acht bis 13 Jahren – meist mit dem Wachstum der Brüste, gefolgt vom Wachstum der Achsel- und Schambehaarung. Beginnt das Brustwachstum vor dem Alter von acht Jahren, spricht man von einer „frühzeitigen Pubertät“ (Pubertas praecox). Diese ist mit einem erhöhten Risiko für psychosoziale Probleme und zahlreiche Erkrankungen verbunden, etwa für Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Brustkrebs.
Bereits seit Längerem wird vermutet, dass endokrine Disruptoren, die in vielen Bereichen der Umwelt vorkommen, das Risiko für eine frühe Pubertät bei Mädchen erhöhen könnten. Als endokrine Disruptoren (englisch: endocrine-disrupting chemicals, EDCs) werden Substanzen bezeichnet, die das Hormonsystem beeinflussen. Dabei können sie eine hormonelle Reaktion hervorrufen oder den Rezeptor und die Hormonantwort blockieren. EDCs können in Körperpflegeprodukten, Verpackungen von Nahrungsmitteln, Wasch- und Reinigungsmitteln, Spielzeug, Möbeln, Elektronikartikeln, Baumaterial und vielem mehr vorkommen. Auch Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel könnten EDCs sein.
Die Wissenschaftler um Natalie Shaw des National Institutes of Health (NIH) in Durham (USA) führte nun eine umfassende Analyse mithilfe der Datenbank Tox21 durch. Diese umfasst 10.000 Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel und in der Umwelt vorkommende Chemikalien, die EDCs sein könnten. Das Forscherteam untersuchte die Auswirkung dieser Substanzen auf Gehirnzellen, die mit dem Fortpflanzungssystem zu tun haben. „Für unsere Untersuchung haben wir eine menschliche Zelllinie verwendet, die eine hohe Zahl von Kisspeptin- oder GnRH-Rezeptoren exprimiert, so genannte HEK293-Zellen“, erläutert Shaw. Die Neuropeptide Kisspeptin und Gonadotropin-Releasing Hormon (GnRH) spielen eine wichtige Rolle bei der Auslösung von Veränderungsprozessen, die zur Geschlechtsreife führen. „Uns hat nun interessiert, ob Substanzen aus der Umwelt den Kisspeptin- oder GnRH-Rezeptor aktivieren können“, so die Forscherin.
In weiteren Analysen untersuchten die Wissenschaftler mithilfe von Hypothalamus- und Hypophysen-Zellen aus dem Gehirn von Mäusen und Hypothalamus-Zellen aus dem Gehirn von Menschen, ob die verschiedenen Substanzen die Expression von Genen, die für die Pubertät wichtig sind, erhöhen. Weiterhin führten sie Untersuchungen an Zebrafischen und Simulationen zum molekularen Docking durch, um zu überprüfen, wie passgenau die Substanzen an die jeweiligen Rezeptoren binden.
„Bei unseren Untersuchungen haben wir mehrere Substanzen identifiziert, die zu einer verfrühten Pubertät bei Mädchen beitragen könnten“, berichtet Shaw. „Dazu gehörten Moschus Ambrette, ein Duftstoff, der in manchen Parfums, Körperpflegeprodukten oder Reinigungsmitteln vorkommt, und Cholin-Agonisten, eine Gruppe von Medikamenten.“ Im Einzelnen handelte es sich dabei um Acetylcholin, Methacholin, Carbachol, Bethanechol und [2-(acryloyloxy)ethyl]trimethylammonium. „Diese Substanzen waren in unseren Analysen in der Lage, den GnRH-Rezeptor und den Kisspeptin-Rezeptor KISS1R im Hypothalamus zu aktivieren“, so die Wissenschaftlerin. „Weiterhin erhöhte Moschus Ambrette in den Hypothalamus-Zellen von Mäusen und Menschen die GnRH-Expression und bei Zebrafischen die Zahl der GnRH-Neuronen.“ Daher könne es sein, dass der Kontakt mit diesen Substanzen das Fortpflanzungssystem bei Mädchen frühzeitig aktiviert. Eine kleine Zahl von Studien in Ratten legt zudem nahe, dass Moschus Ambrette die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.
Um die aktuellen Ergebnisse zu bestätigen, seien weitere Studien notwendig, betont Shaw. „Die von uns identifizierten Substanzen sollten im Auge behalten und ihre Auswirkungen auf das weibliche Fortpflanzungssystem in weiteren Studien überprüft werden. Außerdem sollten Studien mit Mädchen, die frühzeitig in die Pubertät kommen, durchgeführt werden.“ Mit Cholin-Agonisten kommen Kinder in ihrem Alltag weniger in Kontakt, so dass diese bei einer frühen Pubertät vermutlich eine geringere Rolle spielen. Möglicherweise besorgniserregend sei jedoch Moschus Ambrette, so die Autoren.
Die Verwendung von Moschus Ambrette wurde zwar wegen seiner Toxizität in vielen Ländern bereits stark eingeschränkt: in der EU etwa durch die European Union Cosmetics Regulation von 2009, ähnlich in Kanada und den USA. „Allerdings sind Moschus Ambrette und verwandte Nitro-Moschus-Verbindungen immer noch in einigen Produkten auf dem Markt zu finden, etwa in importierten Produkten aus China oder Indien“, berichtet Shaw. „Sie können zum Beispiel als synthetische Duftstoffe in Körperpflegeprodukten, Parfums, Seifen, Wasch- oder Reinigungsmitteln oder anderen Haushaltsprodukten enthalten sein. Und es gibt sogar Getränke und Nahrungsmittel, die diese Substanzen enthalten.“ Zudem sind synthetische Nitro-Moschus-Verbindungen wenig flüchtig und in der Regel schwer abbaubar. Sie wurden unter anderem in Süßwasserfischen, Flusswasser und Abwasser nachgewiesen – und könnten über diese Wege auch vom Menschen aufgenommen werden. „Als Vorsichtsmaßnahme empfehlen wir Eltern, darauf zu achten, bei ihren Kindern nur Körperpflegeprodukte zu verwenden, die den staatlichen Regulierungen unterliegen“, sagt Shaw.
Endokrine Disruptoren finden sich in vielen Bereichen der Umwelt. Zu ihnen gehören Pestizide wie Glyphosat, Bestandteile von Plastik wie Phtalate und Bisphenole und per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) – extrem langlebige Industrie-Chemikalien. Diese Substanzen können sich aus dem ursprünglichen Material, etwa aus Plastik, herauslösen, ins Wasser oder in den Boden gelangen und in der Folge über pflanzliche oder tierische Nahrungsmittel oder Getränke vom Menschen aufgenommen werden. Weiterhin können EDCs von Schwangeren auf den Fötus oder über die Muttermilch auf das Baby übertragen werden.
Neben Störungen des weiblichen und männlichen Hormonsystems, Adipositas und Diabetes sind EDCs laut einer wissenschaftlichen Stellungnahme der Endocrine Society mit neurologischen Problemen, Störungen des Immunsystems und der Schilddrüsenhormone, Osteoporose, Parkinson und hormonabhängigen Krebserkrankungen assoziiert.
Problematisch ist, dass viele chemische Substanzen endokrine Disruptoren sein können. Dies wird vor ihrer Einführung jedoch häufig nicht in Studien überprüft. Bereits winzige Mengen von EDCs können Auswirkungen auf Zellen und Gewebe haben – es gibt hier also keine „sicheren“ Grenzwerte. Die Endocrine Society fordert daher, dass neue chemische Substanzen sorgfältig wissenschaftlich überprüft werden und erst in den Umlauf kommen, wenn eindeutig belegt ist, dass sie keine EDCs sind und ihr Gebrauch sicher ist.
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