Gerade bei unkomplizierten Geburten entscheiden sich Frauen zunehmend, nur von Hebammen begleitet zu werden – und nicht vom Arzt. Aber ist das wirklich sicher?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Nahezu 98 % aller Geburten in Deutschland finden in Geburtskliniken statt. Der Wunsch nach einer möglichst natürlichen Geburt, bei der medizinisches Eingreifen nur im Notfall erfolgt, verbindet einen Großteil der Schwangeren. Im Falle von Komplikationen wird eine adäquate medizinische Infrastruktur bejaht, die bei einem völlig natürlichen Geburtsverlauf jedoch außen vor bleiben kann. Das Konzept des Hebammenkreißsaals könnte die Antwort auf ein natürliches Bedürfnis sein: In einer ruhigen und unaufgeregten Atmosphäre ein Kind zur Welt zu bringen, ohne auf die Sicherheit moderner Geburtshilfe und Neonatologie verzichten zu müssen.
Der Hebammenkreißsaal (HKS), oder auch hebammengeleiteter Kreißsaal, wird als eine Ergänzung des geburtshilflichen klinischen Angebots gesehen und eignet sich für Kliniken jeder Versorgungsstufe. Es richtet sich an gesunde Schwangere, bei denen kein ersichtliches Geburtsrisiko besteht. Das Konzept beruht auf einer systematischen Vorabauswahl der in Frage kommenden Schwangeren und erfolgt nach dem Eins-zu-Eins-Modell, d. h. eine Hebamme betreut eine Schwangere während der gesamten Geburt. Die Geburten finden meist in den gleichen oder in benachbarten Räumlichkeiten der ärztlich geleiteten Geburten statt, sodass bei Komplikationen eine unmittelbare Weiterleitung in alle Fachabteilungen wie Gynäkologie, Anästhesie und ggf. Pädiatrie zur Verfügung stehen.
2003 wurde der erste hebammengeleitetet Kreißsaal in Bremerhaven Reinkenheide eröffnet. Laut Deutschem Hebammenverband (DHV) gibt es bundesweit zurzeit etwa 46 hebammengeleitete Kreißsäle.
Der Rahmen wird zwar durch die Berufsordnungen und verschiedenen klinischen Leitlinien festgelegt, die individuelle Praxis unterscheidet sich jedoch in den einzelnen Kliniken. So wird in manchen Häusern der gesamte klinische Betreuungsrahmen angeboten, sodass primär Hebammen für Geburtsanmeldung, Geburtsbegleitung bis zur Wochenbettbetreuung verantwortlich sind. In anderen Häusern werden nur Teilangebote gemacht oder Ärzte in definierte Bereiche mit einbezogen.
Eine gesunde Frau (sogenanntes „low-risk“-Kollektiv), die anamnestisch keine Risiken aufweist und einen bisher unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf hatte ohne Frühgeburtsbestrebungen oder fetale Auffälligkeiten, wäre eine ideale Kandidatin für eine Geburt in einem hebammengeleiteten Kreißsaal.
Mögliche Ausschlusskriterien sind u.a.:
Ergeben sich bei der präpartalen Vorstellung Auffälligkeiten, können diese in einem interdisziplinären Team besprochen werden. Mögliche Gründe für eine weiterführende Konsultation wären u. a.:
Treten Komplikationen unter der Geburt oder in der Nachgeburtsperiode auf, die die Gesundheit von Mutter und/oder Kind gefährden, sollte baldmöglichst ein Arzt hinzugezogen werden.
Indikationen sind u. a.:
Es gibt in Deutschland bisher keine einheitlichen wissenschaftlichen Daten zur medizinischen Sicherheit von Hebammenkreißsälen. In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit der höchsten Dichte an hebammengeleiteten Kreißsälen, wurde eine erste prospektive, kontrollierte Multicenter-Studie durchgeführt.
Die Datenerhebung erfolgte von November 2018 bis September 2020. Anhand eines für jede Klinik individuell genutzten Kriterienkatalogs wurden die Ein- und Ausschlusskriterien festgelegt. In allen Kliniken gab es übereinstimmende Kriterien und Indikationen für eine Weiterleitung an die Ärzteteams. Während des Erhebungszeitraums wurden 21.605 Geburten registriert, davon wären etwa 4.320, also nahezu 20 %, für eine Geburtsbegleitung im HKS geeignet gewesen. 1.250 Frauen nahmen das Angebot wahr. Für die Studie konnten daraus aus unterschiedlichen Gründen 528 Frauen rekrutiert werden. Bei 137 der teilnehmenden Frauen (25,9 %) kam es unmittelbar präpartal zur Weiterleitung in den ärztlich geführten Kreißsaal, etwa bei vorzeitigem Blasensprung, fetaler Wachstumsrestriktion oder Frühgeburtlichkeit. Insgesamt wurden die Geburten von 391 Frauen im HKS mit einer Kontrollgruppe, die ebenfalls für den HKS geeignet gewesen wäre, im ärztlich geleiteten Kreißsaal verglichen. Es wurde eine Nichtunterlegenheitsanalyse durchgeführt, die für den HKS in den Punkten Geburtsmodus, höhergradige Geburtsverletzungen oder Neugeborenen-Outcome keine Unterlegenheit zum ärztlich geleiteten Kreißsaal ergab. Auch für die maternale Situation (auffällige Plazentaphase oder verstärkte Blutung) gab es keine Unterlegenheit. Die Interventionsrate war im HKS niedriger und es wurde häufiger eine ambulante Geburt gewünscht. Insgesamt lag die Weiterleitungsrate in den ärztlich geführten Kreißsaal bei 63,8 %. Davon waren 51,9 % unter der Geburt und 7,4 % in der Nachgeburtsperiode, etwa 40 % wurden aufgrund des Schwangerschaftsverlaufs in den ärztlich geführten Kreißsaal weitergeleitet. Der häufigste Grund, weshalb unter der Geburt Ärzte hinzugezogen wurden, war der Wunsch nach einer Periduralanästhesie. Bei den Erstgebärenden lag die Weiterleitungsrate mit 77,9 % höher als bei Mehrgebärenden mit 45,7%.
Das Kölner Heilig Geist-Krankenhaus bietet seit 2018 hebammengeleitete Geburten an. „Wir wollen den Frauen ein Angebot machen, die eine hebammengeleitete Geburt wünschen, die aber aus Sicherheitsgründen nicht zu Hause oder in einem Geburtshaus entbinden möchten, sondern in einem Krankenhaus“, fasst der Chefarzt Dr. Claudius Fridrich, seine Motivation für den HKS zusammen. Dass etwa zwei Drittel der hebammengeleiteten Geburten in eine gemeinsame Hebamme-Arzt-Betreuung übergeleitet werden, läge daran, dass sich viele Frauen unter der Geburt für eine Periduralanästhesie entschieden. „Bei den hebammengeleiteten Geburten gibt es nicht mehr Komplikationen als bei Geburten, die von Ärztinnen und Ärzten geleitet werden“, so sein Resümee.
Allerdings sieht er eine Grundvoraussetzung, ohne die ein solches Unternehmen zum Scheitern verurteilt ist: „Ein hebammengeleiteter Kreißsaal funktioniert nur, wenn sich die Ärztinnen und Ärzte und die Hebammen im Team vertrauen“, meint Fridrich. „Die Hebammen müssen darauf vertrauen können, dass sich die Ärzte nicht einmischen, solange eine hebammengeleitete Geburt ohne Komplikationen verläuft. Und die Ärztinnen und Ärzte müssen darauf vertrauen können, dass die Hebammen sie sofort dazurufen, wenn es Komplikationen gibt.“
Hebammenkreißsäle ermöglichen Frauen außerhalb des Risikokollektivs eine möglichst natürliche Geburt, ohne bei drohenden Komplikationen auf den Rahmen einer modernen Geburtsmedizin verzichten zu müssen. Grundvoraussetzung ist eine sorgfältige Vorausauswahl der in Frage kommenden Schwangeren. Entscheidend für das Gelingen ist die Vertrauensbasis zwischen Hebammen und Ärzten, zum Wohl der Frauen und deren Neugeborenen.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
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