Pflanzliche Heilmittel wie Ashwagandha werden immer beliebter. Aber welche Risiken stecken in der Schlafbeere?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Am 10. September 2024 veröffentlichte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eine Warnung zu Nahrungsergänzungsmitteln, die Ashwagandha (Withania somnifera) enthalten. Das BfR rät insbesondere Kindern, Schwangeren, Stillenden und Personen mit Lebererkrankungen von der Einnahme dieser Präparate ab. Die Behörde verweist auf Berichte über mögliche unerwünschte Wirkungen, darunter Verdauungsbeschwerden, Schwindel und sogar Leberschäden. Zudem wird betont, dass viele der beworbenen positiven Effekte von Ashwagandha wissenschaftlich nicht ausreichend belegt seien und es bislang keine verlässlichen Daten zu langfristigen Sicherheitsaspekten gebe.
Doch liegt das BfR mit dieser Einschätzung richtig? Sollten Ärzte und Apotheker Patienten von der Einnahme abraten, oder gibt es bei diesem Naturheilmittel auch Potenzial, das bislang nicht ausreichend gewürdigt wird?
Ashwagandha, auch bekannt als Schlafbeere, indischer Ginseng oder Winterkirsche, ist eine Pflanze, die seit Tausenden von Jahren in der traditionellen ayurvedischen Medizin verwendet wird. Ursprünglich stammt sie aus Indien, Pakistan und Teilen des Nahen Ostens, wo sie als adaptogenes Mittel eingesetzt wird, das den Körper dabei unterstützt, Stress zu bewältigen und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern. Ashwagandha wird traditionell als Stärkungsmittel genutzt, das die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit fördert, den Schlaf verbessert und das Immunsystem stärkt.
Die Verwendung von Ashwagandha hat sich gerade in den vergangenen Jahren über die Grenzen der Ayurveda hinaus auch in der westlichen Welt verbreitet. Die getrocknete Pflanze wird entweder pur oder als Extrakt in verschiedenen Formen als Pulver, Kapseln, Tropfen oder Tee angeboten und soll dabei helfen, Stress zu reduzieren, den Schlaf zu fördern oder auch die kognitive Leistung zu verbessern. Doch obwohl die Nachfrage nach pflanzlichen Heilmitteln wächst, bleibt die wissenschaftliche Beweislage zur tatsächlichen Wirksamkeit von Ashwagandha oft unklar.
In den letzten Jahren wurden mehrere wissenschaftliche Studien durchgeführt, die die potenziellen positiven Wirkungen von Ashwagandha untersuchten. Dabei standen vor allem die stressreduzierenden Eigenschaften der Pflanze im Fokus. Eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie aus dem Jahr 2012 ergab, dass Ashwagandha den Cortisolspiegel, ein Marker für Stress, signifikant senken konnte. Die Teilnehmer berichteten von weniger Angst und einem gesteigerten Wohlbefinden. Ähnliche Ergebnisse zeigte eine Studie von 2020, die zudem auf eine Verbesserung der Schlafqualität bei Patienten mit Schlafstörungen hinwies.
Auch im Bereich der körperlichen Leistungsfähigkeit wurden positive Effekte beobachtet. Eine Studie von 2015 zeigte, dass Männer, die Ashwagandha in Kombination mit Krafttraining einnahmen, eine signifikante Zunahme an Muskelkraft und Muskelmasse erzielten. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Ashwagandha das Gedächtnis und die kognitive Funktion bei Personen verbessern kann, die unter kognitiver Überlastung oder altersbedingtem Gedächtnisverlust leiden.
Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse bleibt die wissenschaftliche Grundlage für die weitreichenden Gesundheitsversprechen, die viele Hersteller machen, dünn. Die meisten Studien basieren auf relativ kleinen Stichproben und kurzen Beobachtungszeiträumen. Die Langzeitwirkungen, mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten wurden in vielen dieser Studien nicht ausreichend untersucht. Dies erschwert eine allgemeingültige Bewertung der Sicherheit und Wirksamkeit von Ashwagandha-Präparaten erheblich.
Das BfR stellt in seiner aktuellen Warnung klar, dass die bisherigen Daten zur Sicherheit von Ashwagandha-Präparaten nicht ausreichen, um eine abschließende Risikobewertung vorzunehmen. Insbesondere die Berichte über Leberschäden geben Anlass zur Vorsicht. Seit 2017 wurden mehrere Fälle von schwerwiegenden Leberschäden, darunter auch akutes Leberversagen, gemeldet, die möglicherweise mit der Einnahme von Ashwagandha in Zusammenhang stehen. Auch wenn diese Fälle selten sind, rufen sie in Erinnerung, dass pflanzliche Präparate nicht immer ohne Risiken sind – vor allem dann, wenn sie in hohen Dosen oder über einen längeren Zeitraum hinweg eingenommen werden.
Ein weiteres Problem, auf das das BfR hinweist, ist die mangelnde Standardisierung von Ashwagandha-Präparaten. Die Konzentration der biologisch aktiven Inhaltsstoffe, insbesondere der Withanolide, kann je nach verwendeten Pflanzenteilen und Extraktionsverfahren stark variieren. Dies führt dazu, dass die Qualität und Wirksamkeit der verschiedenen Produkte auf dem Markt nicht einheitlich sind. Ohne eine strenge Kontrolle der Herstellung und Inhaltsstoffe bleibt unklar, wie sicher und wirksam die jeweiligen Präparate tatsächlich sind.
Diese Kontrolle findet aber nicht in dem Ausmaß statt, wie sie es bei Arzneimitteln tun würde, denn bei den Ashwagandha-Präparaten handelt es sich um Nahrungsergänzungsprodukte. Der wesentliche Unterschied zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln liegt in der gesetzlichen Regulierung. Arzneimittel müssen strenge Zulassungsverfahren durchlaufen, bei denen ihre Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität geprüft werden. Nahrungsergänzungsmittel hingegen fallen in die Kategorie der Lebensmittel und unterliegen daher wesentlich geringeren Vorschriften. Dies bedeutet, dass Hersteller ihre Produkte oft auf den Markt bringen können, ohne dass vorher eine staatliche Kontrolle bezüglich ihrer Sicherheit oder Wirksamkeit stattgefunden hat. Da Nahrungsergänzungsmittel keiner strengen Kontrolle unterliegen, können Qualität und Reinheit der Inhaltsstoffe variieren.
Das BfR hebt zudem hervor, dass unerwünschte Wirkungen in den bisherigen Humanstudien kaum systematisch erfasst wurden. Die meisten Studien konzentrieren sich auf mögliche positive Effekte, während Nebenwirkungen oft nur unzureichend dokumentiert wurden. Neben den bereits erwähnten Leberschäden gibt es Berichte über Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sowie neurologische Symptome wie Schwindel, Benommenheit und Kopfschmerzen.
Unter Berücksichtigung der bisherigen Forschung und der Warnungen des BfR ist es verständlich, dass Ärzte und pharmazeutisches Personal Vorsicht bei der Empfehlung von Ashwagandha-Präparaten walten lassen sollten. Obwohl Ashwagandha in klinischen Studien positive Effekte auf Stressreduktion, Schlafqualität und körperliche Leistung gezeigt hat, bleiben die Risiken, insbesondere für bestimmte Risikogruppen, nicht ausreichend erforscht.
Die uneinheitliche Qualität der Präparate auf dem Markt und die fehlenden Langzeitstudien erschweren es zudem, verlässliche Aussagen über die Sicherheit von Ashwagandha zu treffen. Die Berichte über mögliche Leberschäden geben außerdem Anlass zu besonderer Vorsicht. Bis mehr Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit vorliegen, ist es ratsam, Ashwagandha nur nach gründlicher Abwägung und gegebenenfalls unter ärztlicher Aufsicht einzunehmen.
Bildquelle: Erstellt mit midjourney.