Es gibt immer weniger Asthmatiker. Warum das so ist, lässt die aktualisierte Nationale Versorgungsleitlinie Asthma leider offen. Dafür lässt sie in der Behandlung nur eine einzige Wahl: befolgen oder verweigern.
Die gute Nachricht zuerst: Asthmaanfälle sind von 2000 bis 2017 sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern teilweise stark zurückgegangen. Der Rückgang bei den Todesfällen ist sogar noch stärker: An Asthma bronchiale starben zur Jahrtausendwende noch 5,8 von 100.000 Menschen in Deutschland, knapp 20 Jahre später war es noch einer. Auch die Todesfälle durch Status asthmaticus gingen von 0,5 auf 0,1 zurück. Die schlechte Nachricht: Asthma trifft immer noch jede 20. Person.
Nachzulesen ist das in der eben aktualisierten Nationalen Versorgungsleitlinie Asthma. Über die möglichen Gründe für den dramatischen Rückgang der Sterbefälle lassen sich die Autoren leider nicht aus – lag es an der besseren Luft in den Städten, an Rauchverboten in den Restaurants, oder an den effektiveren Behandlungen? Noch eine weniger gute Nachricht: Diese 6. Version der NVL wird in seiner Form die letzte sein, denn das ÄZQ, das im Auftrag von KBV, BÄK und AWMF die Redaktion stellte, wird zum Jahresende liquidiert.
Im Gegensatz zu normalen Leitlinien will eine Nationale Versorgungsleitlinie eine Entscheidungshilfe sein, also eine „Orientierungshilfe im Sinne von Handlungs- und Entscheidungsvorschlägen“. Davon merkt man aber eigentlich nichts. Fast scheint es, als wäre diese Leitlinie besonders direktiv, da sie mit überwiegenden Soll-Empfehlungen den medizinisch sinnvollen, also leitliniengerechten Kurs strikt vorgibt. Eine explizite Gegenüberstellung von medizinisch vertretbaren Optionen findet man kaum. Für Ärzte und Patienten heißt das im Klartext: Die Entscheidung fällt meist nicht zwischen Option A und Option B, sondern zwischen befolgen und verweigern.
Besonders deutlich wird der direktive Duktus in den Therapie-Kapiteln. Schemata mit fünf Stufen für Erwachsene und sechs Stufen für Kinder und Jugendliche geben detailliert vor, welche Medikamente bei welchem Grad der Erkrankung zu verordnen sind. So soll etwa die Therapie mit inhalativen Corticosteroiden bei Erwachsenen die Basis der Langzeittherapie bilden. Entsprechend soll weder ein langwirkendes Beta-2-Sympathomimetikum noch Anticholinergikum allein gegeben werden. Wahlmöglichkeiten gibt es nur vereinzelt, ob in Stufe drei beispielsweise ein inhalatives Corticosteroid mitteldosiert oder niedrigdosiert plus langwirkendes Beta-2-Sympathomimetikum verabreicht werden soll, wobei letztere Option als die bevorzugte bezeichnet wird.
Auch die Empfehlungen zur Ansprache der Patienten sind durchgehend direktiv: So sollen Ärzte etwa davor warnen, eine Langzeittherapie abzubrechen. Auch sollen sie ihre Patienten regelmäßig zu körperlichem Training motivieren und Patientinnen, die noch Kinder bekommen können, schon vor einer Schwangerschaft darauf hinweisen, wie wichtig eine gute Asthmakontrolle in der Schwangerschaft ist.
Besonders auffällig verheddern sich die Autoren beim Thema Adipositas, wenn sie im Sinne eines Shared Decision Making ergebnisoffen aufklären und gleichzeitig wohlmeinend raten wollen: Fettleibigen Patienten soll Abnehmen empfohlen werden, obwohl die Autoren den Studien, die das stützen könnten, eine sehr niedrige Evidenz bescheinigen. Die dennoch stark positive „soll“-Empfehlung rechtfertigen sie damit, dass hier „auch die möglichen positiven Effekte auf andere gesundheitsbezogene Endpunkte eine Rolle“ spielten. Aber Achtung, die Botschaft soll watteweich verpackt werden: „Eine nicht-direktive und wertschätzende Unterstützung der Patient*innen durch die behandelnden Ärzt*innen ist auch hierbei von großer Bedeutung.“
An einer Stelle aber weicht die NVL von ihrer direktiven Linie ab: Weil ein neues Cochrane Review zeigt, dass eine Vitamin-D-Einnahme keine Vorteile bringt, wurde die positive Empfehlung aus der Vorgängerversion gestrichen. Eine neue Empfehlung gibt es aber nicht.
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