Opfer von Verkehrsunfällen, Stürzen und Kriegen kämpfen auf Intensivstationen um ihr Leben. Was Ärzte dabei falsch machen können, verrät eine neue Leitlinie.
Wenn im Actionfilm ein Held unter die Räder kommt, steht er auf, schüttelt sich und kämpft weiter. Im wahren Leben würde er als Polytrauma-Patient im Krankenhaus landen – Held hin oder her. Meist sind Verkehrsunfälle der Grund für ein Polytrauma, oft auch Stürze aus großer Höhe, sowie Sportunfälle, körperliche Gewalt, Explosionen, Naturkatastrophen und vermehrt auch Terroranschläge und Kriege.
Ein Polytrauma definiert die kürzlich erschienene Leitlinie S3-Leitlinie Intensivmedizin nach Polytrauma als „das gleichzeitige Auftreten mehrerer schwerer Verletzungen, die mindestens zwei örtlich getrennte Körperregionen betreffen und von denen eine einzelne oder die Kombination der Verletzungen lebensbedrohlich ist“. Die Federführung für das 244-Seiten starke Werk hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Bemerkenswert ist die durchgehend miserable Evidenzlage. Obwohl die Autoren mehr als 34.000 Quellen sichteten, fanden sie nur eine Handvoll höherwertige Studien mit meist gravierenden Mängeln. Am Ende lassen sich daraus lediglich fünf evidenzbasierte Empfehlungen ableiten. Bei drei von ihnen bleibt das Ergebnis offen: Ob eine frühe Tracheotomie sinnvoll ist, ob eine kristalloide gegenüber einer kolloiden Volumentherapie Vorteile bringt und wann das Becken am besten definitiv chirurgisch versorgt wird. Eine Sollte-Empfehlungen gibt es dafür, den Zeitpunkt einer Strategiewahl bei einer Femurschaftfraktur am Gesamtzustand des Patienten anzupassen, und lange Röhrenknochen möglichst früh intensivmedizinisch zu versorgen. Das war‘s, mehr Evidenz ist nicht.
Alle anderen 48 Empfehlungen der Leitlinien können sich nicht auf höherwertige Studien stützen, wurden also notgedrungen im Konsens der Leitliniengruppe verabschiedet. So klingt es fast nach Sarkasmus, wenn die Autoren anmerken: „Nun ist eminent, dass die intensivmedizinische Therapie nach Polytrauma in der klinischen Forschung unterrepräsentiert ist.“
Ein Grund dafür: Will man ein bislang nicht in randomisierten Studien geprüftes, aber allgemein als sinnvoll angesehenes Verfahren untersuchen, müsste man es der Kontrollgruppe vorenthalten. Ein Bespiel: Eine Studie zur Frage, ob eine intrakraniellen Druckmessung beim Schädel-Hirn-Trauma angebracht ist, bekam weder in den USA noch in Europa grünes Licht von der Ethikkommission. Die Autoren wichen deshalb auf zwei südamerikanische Länder aus.
Einige Schlaglichter aus den 13 Kapiteln zu organisatorischen, medizinischen und ethischen Aspekten:
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