Connie Culp wurde durch einen Schuss ins Gesicht schwer entstellt – und war die erste US-Amerikanerin, die eine Gesichtstransplantation erhielt. Doch sie blieb nicht die letzte. Was sich in den letzten 20 Jahren auf dem Gebiet getan hat, erfahrt ihr hier.
Als ihr Ehemann auf Connie Culp, damals 41 Jahre, schoss, zerstörte der Schuss ihre Nase, den Oberkiefer, die Wangen und ein Auge. Ihr Gesicht war schwer entstellt und sie konnte nicht mehr alleine atmen oder essen. Ist das Gesicht eines Menschen durch schwere Verletzungen, Verbrennungen, Erkrankungen oder Fehlbildungen stark entstellt, kann es in zahlreichen Operationen mit körpereigenem Gewebe rekonstruiert werden. Oft können dabei aber Körperfunktionen wie Blinzeln, Atmen oder Essen nicht oder nur eingeschränkt wieder hergestellt werden und das Aussehen bleibt oft maskenhaft. Eine Alternative kann eine Gesichtstransplantation sein.
Die weltweit erste Gesichtstransplantation fand im November 2005 statt: An einer Klinik in Amiens (Frankreich) transplantierten Ärzte einer 38-jährigen Patientin, deren Gesicht durch einen Hundeangriff stark entstellt war, Kinn, Lippen und einen Teil der Wange und der Nase einer verstorbenen Spenderin. Connie Culp erhielt im Dezember 2008 die erste Gesichtstransplantation in den USA. Connie Culp erhielt 2008 nach einer Schussverletzung im Gesicht die erste Gesichtstransplantation in den USA. A–E: Vor der OP, F–J: Nach der OP. Credit: The Lancet
2015 fand die bis dahin umfassendste Transplantation statt: Ärzte am New York University (NYU) Langone Medical Center in den USA übertrugen einem 41-jährigen Feuerwehrmann mit schweren Verbrennungen nicht nur das Gesicht inklusive der Augenmuskeln, sondern auch die gesamte Schädelhaut mit den Ohren. Und im Mai 2023 wurde einem 46-Jährigen am gleichen Zentrum neben einem Teil des Gesichts auch ein Auge transplantiert.
Bei einer Gesichtstransplantation werden entweder Teile des Gesichts oder das ganze Gesicht eines toten Spenders mit Haut, Fettgewebe, Nerven und Blutgefäßen und teilweise auch Muskeln und Knochen transplantiert. Nach einer erfolgreichen Transplantation sind oft Bewegungen wie Schlucken oder Blinzeln wieder möglich – und auch Bart und Haare wachsen wieder. Allerdings müssen die Patienten lebenslang Immunsuppressiva nehmen, um zu verhindern, dass das körperfremde Gewebe wieder abgestoßen wird. Diese können schwerwiegende Nebenwirkungen haben: Sie können zu schweren Infektionen und Nierenschäden führen und erhöhen das Krebsrisiko.
Da die erste Transplantation weniger als 20 Jahre zurückliegt, ist bisher wenig darüber bekannt, wie lange die Transplantate erhalten bleiben und von welchen Faktoren dies abhängt. Mit diesen Fragen hat sich jetzt erstmals ein internationales Forscherteam befasst. Seit 2005 wurden an 18 Kliniken in 11 Ländern insgesamt 50 Gesichtstransplantationen durchgeführt, berichten die Autoren. 19 Patienten wurden in Nordamerika (USA und Kanada) operiert, 29 in Europa, einer in China und einer in Russland.
Feuerwehrmann Patrick Hardison, der schwere Verbrennungen erlitten hatte, wurde 2015 am New York University Hospitals Center das Gesicht mit Kopfhaut und Ohren transplantiert. Credit: NYU Langone Medical Center
Die Wissenschaftler um Erstautorin Pauliina Homsy und Seniorautor Patrik Lassus vom Department of Musculoskeletal and Plastic Surgery am Helsinki University Hospital in Helsinki (Finnland) untersuchen, wie lange die Transplantate überdauern und welche Faktoren dies beeinflussen. In ihre Studie schlossen sie die Daten aller Gesichtstransplantationen von November 2005 bis September 2023 ein. Dabei handelte es sich um die ersten 50 Gesichtstransplantationen weltweit.
Als Hauptkriterium erfassten die Autoren das Überleben bzw. Nichtüberleben der Transplantate, definiert durch den Verlust des Gesichtstransplantats oder den Tod des Patienten. Als weiteres Kriterium wurde die Zahl der akuten Abstoßungs-Episoden pro Jahr erfasst. Die Ergebnisse sind jetzt in JAMA Surgery erschienen.
Die 50 Gesichtstransplantationen wurden bei 48 Patienten, 39 Männern und 9 Frauen durchgeführt. Ihr mittleres Alter (Median) lag bei 35 Jahren, der Altersbereich bei 19 bis 68 Jahren. Das Alter der Spender lag im Median bei 37 Jahren (Altersbereich: 18 bis 65 Jahre). Die Nachverfolgungszeit betrug im Median 8,9 Jahre (von 0,2 bis 16,7 Jahren). Die Überlebensrate der Transplantate lag nach fünf Jahren bei 85 % und nach 10 Jahren bei 74 %. Wurden nur der Verlust der Transplantate (nicht die Todesfälle) einbezogen, lagen diese Raten bei 96 und 83 %. Sechs Transplantate blieben im Nachbeobachtungszeitraum nicht erhalten. Bei zwei dieser Patienten wurde eine erneute Gesichtstransplantation durchgeführt, die den Untersuchungszeitraum überdauerte. Insgesamt 10 Patienten starben, und bei zwei von ihnen wurde auch das Gesichtstransplantat abgestoßen. Die Zahl der akuten Abstoßungsreaktionen lag bei Transplantaten, die nicht erhalten blieben, bei 1,2 pro Jahr (Variationsbereich: 0 bis 5,3) und bei Transplantaten, die erhalten blieben, bei 0,7 (Variationsbereich: 0 bis 4,6).
Bei der einleitenden Therapie war Thymoglobulin das bei weitem am häufigsten eingesetzte Immunsuppressivum: Es wurde bei 39 Operationen (78 % der Fälle) verwendet. Bei der Erhaltungstherapie kam am häufigsten eine Kombination aus dem Antibiotikum und Immunsuppressivum Tacrolimus, dem Glukokortikoid Prednison und dem Immunsuppressivum Mycophenolat-Mofetil zum Einsatz, nämlich bei 43 Patienten (86 % der Fälle).
Tabelle: Weitere Merkmale der Patienten und der Transplantationen.
Es wurden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem Überleben des Transplantats und Merkmalen des Patienten oder der Transplantation gefunden – wie etwa Alter des Empfängers, Alters des Spenders, Art und Zusammensetzung des Transplantats, Anzahl der Nichtübereinstimmungen beim Humanen Leukozyten-Antigen (HLA) und Anzahl der akuten Abstoßungsreaktionen. Die Übereinstimmung von HLA-Merkmalen gibt Aufschluss über die immunologische Ähnlichkeit von Geweben, eine höhere Übereinstimmung erhöht die Chancen für eine erfolgreiche Transplantation.
Ein signifikanter Prädiktor für das Überleben der Transplantate war die zeitliche Reihenfolge der Transplantationen: Je mehr Gesichtstransplantationen bereits durchgeführt worden waren, desto besser war das Ergebnis. Zwischen Kliniken, an denen drei oder mehr Patienten operiert wurden und Kliniken, an denen nur ein oder zwei Patienten operiert wurden, waren keine signifikanten Unterschiede zu beobachten.Zweite Gesichtstransplantation in der Türkei, durchgeführt im Februar 2012 von Prof. Dr. Serdar Nasir an der Hacettepe University in Ankara. Credit: Prof. Dr. Serdar Nasir, Department of Plastic and Reconstructive Surgery, Hacettepe University, School of Medicine, Ankara, Turkey
„Die Ergebnisse zeigen, dass die Zahl der Gesichtstransplantate, die fünf oder zehn Jahre erhalten bleiben, vielversprechend ist. Sie legen nahe, das Gesichtstransplantationen eine gute Behandlungsoption zur Rekonstruktion des Gesichts bei ausgedehnten Schädigungen sein können“, schreiben die Autoren. Im Vergleich zu verschiedenen Organtransplantationen seien die Überlebensraten der Gesichtstransplantate gut. So liegt die 10-Jahres-Überlebensrate der Transplantate bei Nierentransplantationen bei etwa 56 %, bei Lebertransplantationen bei etwa 61 % und bei Herztransplantationen bei etwa 65 %.
„Die meisten Patienten mit schweren Schädigungen des Gesichts können durch die Transplantation von Eigengewebe behandelt werden“, erläutert Pauliina Homsy. „Aber manche Defekte sind dafür zu ausgedehnt und zu komplex. Unsere Ergebnisse legen nahe, das Gesichtstransplantationen für diese Patienten eine gute und auch langfristige Möglichkeit sein können.“
Dass das Ergebnis besser ausfällt, wenn die Operation in der jüngeren Vergangenheit durchgeführt wurde, sei auf die weltweit zunehmende Erfahrung mit Gesichtstransplantationen zurückzuführen. „Faktoren, die zu einer guten Lernkurve beitragen, sind die multidisziplinäre Zusammenarbeit – etwa zwischen Chirurgen, Psychologen, Immunologen, Experten für Abstoßungs-Pathologie und anderen Spezialisten – sowie die Kooperation zwischen den verschiedenen Zentren“, schreiben Homsy, Lassus und ihr Team. „Weiterhin tragen bessere Kenntnisse bei der Auswahl der Patienten, verfeinertere Therapieansätze und ein genaueres Wissen über den Bedarf an Immunosuppression zu einer längeren Überlebenszeit der Transplantate bei.“ So gelinge es Ärzten immer besser, das Immunsystem der Patienten nicht zu wenig, aber auch nicht zu stark zu unterdrücken. „Bei der Auswahl der Patienten spielen vor allem psychosoziale Aspekte eine Rolle“, erläutert Homsy. „Wichtig ist, dass der Patient oder die Patientin akzeptieren kann, dass eine lebenslange Medikamenteneinnahme notwendig ist und dass er oder sie ausreichend soziale Unterstützung hat.“
Wie lange die Transplantate tatsächlich überleben, müsse sich in Zukunft erst zeigen. In den Rohdaten der Studie war ein Trend zu beobachten, dass Transplantate nach 8 bis 12 Jahren versagen oder abgestoßen werden und Patienten sterben – vermutlich durch Komplikationen der chronischen Immunsuppression. Einige Ärzte gehen davon aus, dass Gesichtstransplantate ähnlich wie transplantierte Nieren etwa 10 bis 15 Jahre erhalten bleiben. Daher könnte es sein, dass sie irgendwann nach diesem Zeitraum durch ein neues Transplantat ersetzt werden müssen.
Wegen der bisher kleinen Zahl an Gesichtstransplantationen und der oft ähnlichen Vorgehensweise – etwas bei den eingesetzten Immunsuppressiva – seien Faktoren, die beim Überleben bzw. bei der Abstoßung der Transplantate eine Rolle spielen, möglicherweise nicht entdeckt worden, betonen die Autoren. Um solche Faktoren zu identifizieren, seien weitere Gesichtstransplantationen und weitere Forschung notwendig.
Für die Patienten und ihre Angehörigen bedeutet eine Gesichtstransplantation oft eine deutliche Verbesserung des Wohlbefindens und der Lebensqualität. Durch die Operation können die Patienten Fähigkeiten wiedererlangen, die zuvor nicht möglich waren: etwa zu schlucken und selbständig zu essen, durch die Nase zu atmen, zu sprechen oder zu blinzeln. Auch das Aussehen und die Mimik werden deutlich verbessert. Die Patienten, die sich vorher oft stark sozial isoliert haben, können so wieder mehr am sozialen Leben teilnehmen.
Jerome Hamon, ein Franzose, der 2018 zum zweiten Mal ein neues Gesicht erhielt, war nach der Operation sogar zu Scherzen aufgelegt: „Ich bin 43, der Spender war 22 Jahre alt. Ich bin also 20 Jahre jünger geworden“, sagte er in einem Fernsehinterview.
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