Viele der „alten“ Kinderkrankheiten konnte man mit Impfungen lange in Schach halten. Die Konsequenz: Viele Ärzte erkennen sie nicht mehr. Erfahrt hier alles Wichtige über die sechs gefährlichsten Infektionen.
Ein Artikel von Dr. Ulrich Enzel
Warum ein Artikel über die „häufigen Kinderkrankheiten“, wo diese doch heutzutage gar nicht mehr so häufig auftreten und die „neuen Morbiditäten“ längst wichtiger geworden sind, als diese früher den ärztlichen Praxis-Alltag mit Kindern dominierenden Infektionskrankheiten?
Schon der Blick auf die Ursache des Verschwindens der typischen Kinderkrankheiten klärt diese Frage, denn vor allem und zentral ein konsequentes Impfen hat dies induziert. Leider hat solches Seltener-Werden die Kinderkrankheiten auch aus der Wahrnehmung unserer Patienten bzw. deren Bezugspersonen verdrängt. Umso dringlicher unser ärztlicher Auftrag, „lasst uns von den Kinderkrankheiten sprechen“.
Was zeichnet diese Kinderkrankheiten aus? Es sind Infektionskrankheiten, die früher fast regelhaft bei einem Großteil aller Kinder aufgetreten sind, heute gehäuft ins Jugendlichen- gar Erwachsenenalter verschoben werden. Krankheiten, die auch heute noch:
Charakterisiert sind sie weiterhin dadurch, dass wir bei vielen über keinerlei kausale Behandlungs-Optionen verfügen oder, dass solche Therapie regelhaft zu spät kommt. Dafür verfügen wir heute über sichere, zumeist langanhaltend schützende Impfstoffe gegen diese Erkrankungen, die gesichert geringe oder keine Nebenwirkungen induzieren können.
Kinderkrankheiten, das bedeutet heute vor allem ein „Prävention, wo keine Kuration möglich ist“, zumal Impfen über den Individualschutz hinaus durch eine Reduktion potentieller Krankheitsüberträger auch Gemeinwohl induziert, die sog. „Herden-Immunisierung“. Die wichtigsten Kinderkrankheiten schauen wir uns jetzt mal an:
Einst einer der schrecklichsten „Kleinkindermörder“, zeigt gerade das völlige Verschwinden der Diphtherie aus unseren Kinderzimmern die hohe Effizienz des Impfschutzes. Auch wenn wir heute mit spezifischem Antitoxin und Antibiotika über wirksame therapeutische Potentiale gegen das Corynebacterium diphtheriae und sein Toxin verfügen, bleibt eine konsequente Durchimpfung die wichtigste Maßnahme. Denn regelmäßig werden diese Erreger bei uns eingeschleppt. Gesunde Menschen können als symptomlose Erreger-Träger fungieren. Alarmierend, dass weniger als 50 % der Erwachsenen in Deutschland über ausreichend Antikörper verfügen, um solches sicher zu verhindern!
Trotz hochwirksamer Antibiotika-Therapie verursachen die Pertussis-Bordetellen immer noch Todesfälle. Die Ursache hierfür ist, dass weder die durchgemachte Erkrankung, noch eine Impfung dauerhaft gegen (erneute) Infektionen durch diesen Erreger schützen kann. Bereits nach 5 bis 8 Jahren lässt die Immunität gegen den 100-Tage-Husten nach. Tückisch weiter, dass diese häufige Kinderkrankheit hoch ansteckend ist, auch während der atypischen ersten katarrhalischen Krankheitsphase. Bei Erwachsenen bleibt nach 1 bis 2 Husten-Wochen das zweite, oft 4 bis 6 Wochen andauernde Stadium mit den typischen konvulsiven Hustenattacken zumeist aus, besteht nur ein atypischer, weiterhin infektiöser Katarrh fort, so dass viel zu spät, oft erst wenn die ganze Umgebung bereits angesteckt ist, an diese vor allem für Säuglinge fatale Krankheit gedacht wird.
Ihre Komplikationen sind: Häufige Zweitinfektionen von Lunge und Mittelohr, sowie Krampfanfälle. Eine Beteiligung des Gehirns induziert oft Dauerschäden. Todesfälle treten v.a. bei Säuglingen auf. Frühgeborene sind ganz besonders gefährdet! Daher sollten alle Personen, die mit kleinen Kindern in Kontakt kommen über einen aktuellen Impfschutz verfügen (Kokon-Strategie). Schon lange rät die STIKO, jede nächste Impfung gegen Diphterie/Tetanus kombiniert auch gegen Pertussis durchzuführen. Glücklicherweise gibt es für eine Tetanus-Auffrisch-Impfung keinerlei zeitliche Abstände mehr, so dass auch nach einer erst kürzlich erfolgten Diphtherie/Tetanus-Impfung, eine TdaP-Impfung durchgeführt werden kann, wenn eine solche bei „Kinderkontakt-Personen“ (auch Oma und Opa können Pertussis übertragen!) länger als 5 bis 8 Jahre zurückliegen sollte.
Erfreulicherweise hat die STIKO endlich auch die Pertussis-Impfung Schwangerer in ihre Empfehlung aufgenommen. Während mütterliche Pertussis-Antikörper bei einer durchgemachten Erkrankung der Mutter oder einer Pertussis-Impfung vor der Schwangerschaft nicht auf das Ungeborene übergehen, kommt es zu einer diaplazentaren Übertragung von Antikörpern bei einer Impfung der Schwangeren in der 27. bis 36. Schwangerschaftswoche. Eine solche gesichert risikolose aktive vorgeburtliche Immunisierung schützt das Neugeborene > 85 % besser, als eine Impfung sämtlicher Umgebungspersonen und dies anhaltend für das ganze, besonders gefährdete erste Lebenshalbjahr.
Die WHO hatte sich vorgenommen, Masern, diese heimtückische exanthematische Kinderkrankheit, bis zum Jahr 2020 auszurotten. Indes: Selbst in Deutschland führen sinkende Durchimpfungsraten zu rasant zunehmenden Fallzahlen dieser komplikationsreichen Krankheit. 20 % erleiden eine über viele Wochen anhaltende Immunschwäche mit häufigen bakteriellen Sekundär-Infektionen. Bei 0,1 % tritt am vierten bis siebten Krankheitstag eine akute postinfektiöse Enzephalitis auf, die in 20 bis 30 % bleibende ZNS-Schäden hinterlässt, bei 10 bis 20 % gar zum Tode führt. Auch heute noch beträgt die Letalität von Masern in der BRD 1: 500 bis 2.000! Bei 20 bis 60/100.000 Masern infizierter Kleinkinder kommt es nach 6 bis 8 Jahren zu einer immer tödlich verlaufenden Späterkrankung, der subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE).
Gegen Masern fehlt uns jegliche kausale Therapie. Bettruhe, Fieber senken, Behandlung der Komplikationen – und eine Erholungsphase für mindestens 14 Tage nach überstandener Erkrankung. Oft muss körperliche Schonung noch länger eingehalten werden. Gerade Masern – dies zeigen uns die USA, aber auch 43 europäische Länder, die diese Krankheit eradiziert haben – lassen sich präventiv sicher bekämpfen.
Eine zweimalige Masern-Impfung (am besten kombiniert mit der gegen Mumps, Röteln und Varizellen, MMRV) schützt sicher und wahrscheinlich lebenslang. Da die zweite Impfung immunologisch eine zweite Erstimpfung darstellt, sollte auch diese im zweiten Lebensjahr erfolgen. Ratsam ist es, jedes Kind spätestens vor dem ersten Besuch einer öffentlichen Einrichtung gegen Masern zu impfen. Erfolgt die erste Impfung vor dem 9. Lebensmonat, sollten zwei weitere Impfungen im Alter von 11 bis 14 und 15 bis 23 Monaten folgen. Auch um die Zahl möglicher (symptomloser) Masern-Virus-Überträger zu reduzieren, empfiehlt die STIKO darüber hinaus eine Impfung aller nach 1970 geborener, über 18 Jahre alter Personen, bei welchen der Impfstatus unklar ist, bzw. die keine oder nur eine Impfung in der Kindheit erhalten haben.
Auch diese Infektionskrankheit, die vor allem exokrine Drüsen befällt, ist vor allem wegen möglicher Komplikationen gefürchtet. Zu ihrer früher weiten Verbreitung trägt bei, dass gut ein Drittel der Infizierten im Sinne einer „stillen Feiung“ keine Krankheitszeichen ausbilden – aber anstecken können. Die typischen Komplikationen reichen von einer Schwerhörigkeit/Taubheit (4 %) und Labyrinthitis über eine Meningoenzephalitis (1 %) bis hin zur Hoden- oder Eierstock-Entzündung bei einer Erkrankung jenseits der Pubertät mit der Gefahr einer (teilweise inkompletten) Infertilität.
Auch bei Mumps können wir ausschließlich symptomatische Therapie bieten, verfügen aber über eine sicher schützende Impfung, am besten kombiniert (MMRV s.o.).
Diese weltweit verbreitete hochansteckende exanthematische Infektionskrankheit verläuft häufig unbemerkt, dennoch über 3 Wochen infektiös, ist vor allem wegen der fatalen Embryopathie zu Recht gefürchtet. Etwa 5 bis 10 % der gebärfähigen Frauen in Deutschland verfügen über keinen Impf-Schutz! Dabei ist dieser durch zwei Impfungen sicher zu erreichen (danach keine Titer-Kontrollen mehr erforderlich). Bei einem von 6.000 Erkrankten kommt es zu einer Enzephalitis.
Eine Rötelnembryopathie induziert Fehlbildungen der Augen (70 %), der Ohren mit Taubheit (60 %), Herzfehler (50 %) und in 45 % geistige Schäden – regelhaft in Kombination! Pro Jahr treten in der BRD ca. 50 Fälle auf (1: 10.000 Geburten). Die Immunprophylaxe ungeschützter Röteln-exponierter Schwangerer ist zwar unsicher, sollte dennoch in Erwägung gezogen werden. Erkrankte sollten den Kontakt zu (ungeschützten) Schwangeren strikt meiden.
Zwar verfügen wir über kausale Behandlungsmöglichkeiten gegen diese hochinfektiöse Viruserkrankung: Virustatika, bei Abwehrschwäche auch ein VZV-Immunglobulin, dazuhin symptomatisch über juckreizstillende Externa und Interna. Das durch den „Sternenhimmel“ aus oft > 500 Bläschen, Papeln und Pusteln gekennzeichnete Exanthem ist pathognomonisch. Warum rät die STIKO, dennoch gegen diese typische Kinderkrankheit zu impfen? Da sind zum einen Komplikationen: Bronchopneumonie, Enzephalitis, Zerebellitis, Apoplex, vor allem bei jungen Männern auch Myokarditis, zum anderen die Spätfolge: Herpes zoster, welche durch eine Impfung um mehr als zwei Drittel reduziert werden kann.
Schließlich besteht – vor allem bei einer Infektion in den ersten 5 Schwangerschaftsmonaten – die Gefahr einer Embryopathie mit bleibenden Schädigungen. Daher sollte jede Frau vor der ersten Schwangerschaft auch gegen Varizellen geimpft sein (falls die Krankheit nicht durchgemacht worden ist, wobei eine „stille Feiung“ serologisch sicher nachgewiesen werden kann). Die mit 11 bis 21 Tagen sehr lange Inkubationszeit bietet die Möglichkeit einer Inkubationsimpfung z.B. von exponierten Geschwisterkindern, die den Krankheitsverlauf zumindest abschwächen und Komplikationen vermeiden kann.
Häufige Kinderkrankheiten bleiben wichtig! Auch wenn diese bei uns längst nicht mehr so oft auftreten, wie in den „Zeiten vor den Impfungen“. Jeder Arzt sollte alles tun, um seine kleinen Patienten vor diesen, keineswegs weniger harmlos gewordenen infektiösen Krankheitsbildern durch eine konsequente Impfstrategie sicher zu bewahren, weiter auch bei uns diese Kinderkrankheiten endlich zu eradizieren.
Bildquelle: Yvette de Wit, Unsplash