Eine neue Saison der Corona-Impfungen ist eröffnet. Was sich dieses Jahr geändert hat und welche Risikogruppe ihr nicht vergessen dürft, erfahrt ihr hier.
Ein Text von Dr. Jens Bathmann
Die Infektionszahlen mit Corona steigen pünktlich zum Herbst wieder deutlich an, ein guter Zeitpunkt, Risikopatienten mit einem Booster zu schützen. Bereits seit August steht das JN.1-Update von Biontech zur Verfügung und für diesen Impfstoff liegen mittlerweile erste In-vivo-Daten bzgl. des Schutzes vor den aktuell dominierenden Varianten KP.3.1.1 und XEC vor. Eine aktuelle Studie zeigt, dass der Impfstoff bei diesen sehr gut funktioniert. Die Titer der neutralisierenden Antikörper durch den Booster konnten jeweils um mehr als den Faktor 10 gesteigert werden.
Neutralisationstiter gegen die derzeit kursierenden Varianten vor und nach dem JN.1. Booster. Credit: Arora et al.
Das liegt im Bereich der Wirksamkeit des letzten XBB.1.5 Boosters vom Vorherbst und für diesen liegen mittlerweile einige wichtige klinische Studien zur Wirksamkeit und zur Frage vor, welche Gruppen besonders von einem Booster profitieren. Diese sind aber – zum Teil auch unter Ärzten – wenig bekannt.
Zunächst zum Infektionsschutz. Es hat sich in der breiten Öffentlichkeit erstaunlicherweise die Ansicht durchgesetzt, die Corona-Impfung würde nicht vor Infektionen schützen. Unter anderem Daten aus den Niederlanden zeigen jedoch, dass durch den Booster die Wahrscheinlichkeit einer Corona-Infektion in den ersten 3 Monaten nach der Impfung um 50 % (Ü-60 J.) bzw. 41 % (18–59 J.) reduziert werden konnte. Daten aus den USA zeigten übereinstimmend, dass der Booster die Wahrscheinlichkeit einer symptomatischen Infektion bis 4 Monate nach Impfung um 54 % reduzierte. Das liegt ziemlich genau in dem Bereich, den man in guten Jahren mit der Influenza-Impfung erreicht.
Wichtiger ist jedoch der zusätzliche Schutz vor schwerem Verlauf, den man mit dem Booster erzielen kann, und auch hierzu gibt es einiges an Daten. So konnte in einer dänischen landesweiten Kohortenstudie gezeigt werden, dass der Booster die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung durch eine Coronainfektion in den ersten Monaten um 76 % reduzierte (im Vergleich zu Personen, die im Vorjahr geimpft wurden, aber nicht den aktuellen Booster bekommen hatten). Ähnliches zeigen weitere Studien, wobei der zusätzliche Schutz gegen schwere Verläufe allgemein länger anhält als der passagere Infektionsschutz.
Die Relevanz der SARS-CoV-2-Impfung zeigen nicht zuletzt Daten einer neuen weiteren landesweiten Kohortenstudie aus Dänemark. Hier wurden Hospitalisierungen und Todesfälle durch (nicht mit!) COVID-19 verglichen mit denen durch Influenza in der postpandemischen Phase von 5/22 bis 6/24. Hierbei kam es zu etwa 3-mal mehr Hospitalisierungen durch COVID-19 im Vergleich zu Influenza (n = 24.687 vs. n = 8.682) und zu etwa 4-mal so vielen Todesfällen durch COVID-19 (n = 2.393 vs. n= 522).
Anzahl der monatlichen COVID-19- und Influenza-Hospitalisierungen (blau) und 30-Tage-Mortalität (grau) in Dänemark. Credit: Bager et al.Wichtig ist zudem, dass die Impfung nicht nur einen passageren zusätzlichen Schutz vor Infektion sowie länger anhaltenden Schutz vor schwerem Akutverlauf/Hospitalisierung und Tod bietet, sondern auch die Wahrscheinlichkeit des späteren Auftretens von Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert. Das ist nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass es sich bei SARS-CoV-2 um ein unter anderem das Endothel schädigendes Virus handelt. Eine kürzlich im European Heart Journal veröffentlichte landesweite Studie aus Schweden konnte zeigen, dass die Impfung langfristig die Wahrscheinlichkeit der wichtigsten Herzkreislauferkrankungen (Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Apoplex, Arrhythmien) reduzieren konnte. Insofern ist die Impfung auch eine Investition in die Zukunft, gerade für Risikopatienten.
Auch bezüglich des Schutzes der allgemein unter Long-COVID subsummierten Krankheitsbilder inkl. ME/CFS gibt es zahlreiche Studien, die einen Schutzeffekt der Impfung zeigen. Entsprechend der nicht einheitlichen Definition und des heterogenen Krankheitsbildes schwanken die Daten erwartungsgemäß, von einer grundsätzlichen Risikoreduktion kann jedoch ausgegangen werden.
Bezüglich der Definition der Gruppen, bei denen eine Booster-Impfung in jedem Fall indiziert ist und von der STIKO empfohlen wird, hat eine gerade publizierte Studie aus der UK einen wichtigen und bisher wenig berücksichtigten Aspekt herausgearbeitet. Die Risiken einer SARS-CoV-2-Infektion haben sich im Vergleich zum Beginn der Pandemie durch die Immunisierung der Bevölkerung über Impfungen und Infektionen glücklicherweise massiv reduziert. Davon ausgenommen sind allerdings Personen, die keine ausreichende Immunität entwickeln können (Immunsupprimierte), es nicht mehr können (z. T. Ältere) oder bisher nicht konnten. Letztere sind die Säuglinge unter einem Jahr, die, wie die Studie aus der UK zeigt, mit den > 75 Jährigen mittlerweile die Hauptgruppe der Hospitalisierungen darstellen (wie wir es auch von anderen Atemwegserregern wie RSV kennen). Hierbei stellen die < 6 Monate alten Kinder, für die es keinen zugelassenen Impfstoff gibt, die Hauptrisikogruppe dar. Diese können aber durch eine Impfung der Mutter im 3. Trimenon partiell geschützt werden, da die maternalen Antikörper den Säuglingen Nestschutz bieten und die Konsequenzen der ersten Infektion deutlich reduzieren – insofern eine wichtige weitere Gruppe, deren möglicher Schutz durch Impfung der Mütter bisher wenig im öffentlichen und ärztlichen Bewusstsein verankert ist.
Heatmap, die das Alter der Kinder unter denjenigen mit einer SARS-CoV-2-bedingten Krankenhauseinweisung im Laufe der Zeit veranschaulicht. Die Balkendiagramme auf jeder Achse veranschaulichen die Gesamtzahl der Einweisungen nach Monat und Alter. Credit: Wilde et al.Nachdem bereits seit August des JN.1-Corona-Impfstoff-Update von Biontech in Deutschland zur Verfügung steht, wurden von der EMA nun zwei weitere Impfstoff-Updates für den Herbst zugelassen. Zum einen kann ab dem 5. November der bereits in den USA eingesetzte KP.2- Impfstoff von Biontech auch in Deutschland von den Praxen bestellt werden. Dieser unterscheidet sich von dem aktuell verfügbaren JN.1-Impfstoff von Biontech nur in 3 Aminosäuren (zum Vergleich: der JN.1-Impfstoff unterscheidet sich von dem XBB.1.5-Impfstoff vom Vorherbst in > 30 Aminosäuren) und wird in seiner klinischen Wirksamkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gleichwertig sein.
Interessanter und relevanter ist der gerade von der EMA zugelassene Protein-Impfstoff JN.1-Nuvoxavid von Novavax, der ebenfalls im November in Deutschland erhältlich sein wird. Dieser zeichnet sich vor allem durch eine bessere Verträglichkeit aus und ist somit insbesondere für Personen, die eine Skepsis gegenüber den mRNA-Impfstoffen haben oder diese schlecht vertragen haben, von Bedeutung. Bezüglich der klinischen Wirksamkeit sagt die vorliegende umfangreiche Literatur, dass diese im Bereich der mRNA-Impfungen liegt. Verschiedene Studien und theoretische Überlegungen sprechen zudem nicht gegen, sondern durchaus für heterologe Impfschemata, d. h. einen Wechsel des Impfstofftyps, da die verschiedenen Impfstofftypen etwas unterschiedliche Immunraktionen hervorrufen und sich dadurch ergänzen können bei der Verbreiterung der Immunität.
Wenig verständlich sind auf dem oben kurz skizzierten Hintergrund die geringen Quoten der Auffrischimpfungen gegen Corona (auch im Vergleich zu Influenza, die Indikationsgruppen nach STIKO sind praktisch identisch). Es wäre sowohl im Sinne der Patienten als auch der Entlastung des Gesundheitswesens (und der Ökonomie, Stichwort Arbeitsausfälle) von einer vermeidbaren Krankheitslast diesem durch Steigerung der Impfquoten entgegenzuwirken.
Bildquelle: Kateryna Hliznitsova, Unsplash