Zur Schlaganfall-Prophylaxe gibt es neue Empfehlungen aus den USA. Darin finden jetzt auch Abnehmspritzen und der soziale Status der Patienten Erwähnung. Inwiefern das auch für Deutschland relevant ist, lest ihr hier.
Schlaganfälle gehören in den Industrienationen zu den Hauptursachen eines frühzeitigen Todes und sind ebenfalls die Hauptursache für erworbene Behinderungen. In Deutschland erleiden jährlich etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Auch in den USA ist die Mortalität aufgrund von Schlaganfällen hoch. Dort haben die beiden großen Gesundheitsorganisationen – die American Heart Association gemeinsam mit der American Stroke Association eine neue Leitlinie zum Thema Prävention von Schlaganfällen veröffentlicht. Ein Blick in die Empfehlungen kann sich lohnen!
Die Autoren betonen, dass die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung von Schlaganfällen darin besteht, den ersten Schlaganfall zu verhindern. Laut der Leitlinie ist dies in etwa 80 % der Fällen möglich, sodass die Notwendigkeit einer verbesserten Prävention und Vorsorge deutlich wird.
Dabei sind die meisten Empfehlungen alte Bekannte. So werden etwa Lebensstiländerungen wie eine gesunde Ernährung, Gewichtskontrolle, regelmäßige Bewegung, ein Rauchverzicht sowie ein gesunder Schlaf empfohlen. Die Autoren heben hierbei insbesondere die mediterrane Diät mit Olivenöl und Nüssen hervor. Zudem sollen Hausärzte ihre Patienten regelmäßig auf Bewegungsmangel untersuchen – es werden mindestens 150 Minuten moderater Ausdauersport oder 75 Minuten intensiver Ausdauersport pro Woche empfohlen. Bekannt ist ebenfalls, dass eine Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren, wie etwa Hypertonie, Diabetes mellitus und eine Fettstoffwechselstörung oder Übergewicht hilft.
Neu ist hingegen die explizite Empfehlung zur Nutzung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei übergewichtigen Menschen mit Diabetes oder Prädiabetes.
Auch was die Berücksichtigung der sozialen Situation der Patienten betrifft, setzt die Leitlinie neue Maßstäbe. Hierbei setzt die Leitlinie einen Schwerpunkt auf soziale Determinanten der Gesundheit und deren Auswirkungen auf das Schlaganfallrisiko. Soziale Determinanten der Gesundheit sind nicht-medizinische Faktoren, einschließlich Bildung, wirtschaftliche Stabilität, Zugang zur Versorgung, Diskriminierung, struktureller Rassismus und Umgebungsfaktoren (wie etwa fehlende Fußgängerfreundlichkeit, geringere Verfügbarkeit von gesunden Lebensmitteln und weniger Gesundheitsressourcen), die zu Ungleichheiten in der Versorgung beitragen und die allgemeine Gesundheit beeinflussen. Die Autoren betonen hierbei die Rolle von Gesundheitsfachkräften, welche etwa sicherstellen sollen, dass Patientenschulungen auf verschiedenen Bildungs- und Sprachniveaus verfügbar sind. Zudem sollten vorwiegend Behandlungen und Medikamente eingesetzt werden, die sowohl wirksam als auch erschwinglich sind.
Gesundheitsfachkräfte werden außerdem ermutigt, Patienten mit Ressourcen zu verbinden, die dazu beitragen, gesundheitsbezogene soziale Bedürfnisse wie Ernährungs- und Wohnungsunsicherheit zu adressieren. Sie sollten sie an Programme verweisen, die gesunde Lebensstiländerungen unterstützen, und an Unterstützungsprogramme weiterleiten, die helfen können, Gesundheitskosten, einschließlich Medikamentenkosten, zu reduzieren.
Die Leitlinie enthält auch einige neue geschlechtsspezifische Empfehlungen für Frauen. Gesundheitsfachkräfte sollten auf Bedingungen achten, die das Schlaganfallrisiko bei Frauen erhöhen können, darunter die Verwendung von oralen Kontrazeptiva, Bluthochdruck während der Schwangerschaft, andere Schwangerschaftskomplikationen wie Frühgeburt, Endometriose, vorzeitiges Ovarialversagen und ein frühzeitiger Beginn der Menopause. Die Autoren empfehlen, Bluthochdruck während der Schwangerschaft und innerhalb von sechs Wochen nach der Entbindung zu behandeln, um das Risiko einer mütterlichen intrazerebralen Blutung zu verringern.
Transgender-Frauen und geschlechtsdiverse Personen, die Östrogene zur Geschlechtsangleichung einnehmen, könnten laut den Autoren ebenfalls einem erhöhten Schlaganfallrisiko ausgesetzt sein. Eine Bewertung und Anpassung bestehender Risikofaktoren ist notwendig, um das Schlaganfallrisiko für diese Personengruppe zu senken.
Interessant an der neuen Leitlinie ist, dass diese erstmals die soziale Situation der Patienten sowie soziale Ungleichheiten und damit verbundenen Probleme innerhalb der medizinischen Versorgung adressiert – während neue medikamentöse Therapien nur eine untergeordnete Rolle spielen. Fraglich bleibt, ob sich die Empfehlungen der Leitlinie auch auf das Gesundheitssystem in Deutschland übertragen lassen. Im Allgemeinen ist unser Gesundheitssystem sozialer ausgerichtet als jenes in den USA. Es gibt aber auch in Deutschland Entwicklungen, die insbesondere die medizinische Versorgung von Menschen in sozialen Brennpunkten negativ beeinflusst.
Laut der Nationalen Armutskonferenz (NAK) tragen Menschen mit geringem Einkommen und niedrigem sozialen Status ein bis zu dreifach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Auch andere Erkrankungen wie einige Malignome oder psychiatrische Erkrankungen treten in dieser Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich oft auf. Auch Trans-Personen sind in Deutschland regelhaft Diskriminierung durch Gesundheitsfachkräften ausgesetzt, weshalb sie den Kontakt zum Gesundheitssystem oftmals meiden. Auch sie leiden häufiger an kardiovaskulären und psychiatrischen Erkrankungen.
Die neue Leitlinie zur Schlaganfallprävention der American Heart Association und der American Stroke Association setzt wichtige Impulse, die auch für das deutsche Gesundheitssystem relevant sind, selbst wenn die spezifische Situation in den USA nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar ist.
Für Gesundheitsfachkräfte, insbesondere Hausärzte in sozialen Brennpunkten, stellen diese neuen Erkenntnisse eine Herausforderung dar. In Gebieten mit ohnehin schlechter Versorgungsdichte müssen sie oft unter hoher Arbeitsbelastung tätig sein, was eine gezielte Unterstützung von Patienten mit besonderen sozialen Bedürfnissen erschwert. Dennoch ist es wichtig, dass auch in Deutschland vermehrt darauf geachtet wird, vulnerable Gruppen in der Versorgung nicht zu vernachlässigen und ihnen gezielte Hilfsangebote anzubieten. Dies könnte dazu beitragen, die Gesundheitsungleichheiten zu verringern und das Schlaganfallrisiko in benachteiligten Bevölkerungsgruppen nachhaltig zu senken.
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