Über Sex spricht man nicht. Das ist leider häufig immer noch die Auffassung mancher Eltern. Doch wie sollen Jugendliche dann zeitgemäß über Sexualität aufgeklärt werden? Die Medizinstudentin Georgina Alber unterstützt das Projekt „Mit Sicherheit verliebt“. Wir haben sie zur ihrer Aufklärungsarbeit interviewt.
Sexualkundeunterricht in der Schule. Wer denkt da nicht an peinliche Bienchen-und Blümchen-Geschichten der Lehrer zurück. Da hat der Spaßfaktor oft deutlich den aufklärerischen Aspekt überwogen. Und doch ist es heutzutage wichtig, dass Jugendliche über sexuelle Themen wie Verhütung, Schwangerschaft und Co. Bescheid wissen. Schaut man sich die Ansteckungsraten von HIV und anderen Geschlechtskrankheiten an, sieht man, dass diese in den letzten Jahren in Deutschland abermals gestiegen sind. Gerade Jungendliche und junge Erwachsene gehören zu den am stärksten gefährdeten Gruppen. Dass aber weder Lehrer noch Eltern besonders scharf darauf sind, „Aufklärungsgespräche“ mit den pubertierenden Halbstarken zu führen, ist nicht verwunderlich. Doch Sexualität ist kein Tabu-Thema und sollte auch keines sein. Deswegen ist 2001 das Projekt „Mit Sicherheit verliebt“ von der Arbeitsgemeinschaft „Sexualität und Prävention“ der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) ins Leben gerufen worden, welches mittlerweile an den medizinischen Fakultäten vieler deutscher Städte und auch international präsent ist. Ursprünglich stammt das Konzept aus Schweden, wo bereits in den 1990er Jahren ähnliche Projekte durchgeführt wurden. Georgina Alber, Medizinstudentin im sechsten Semester an der TU München, erzählt von ihrer Arbeit bei „Mit Sicherheit verliebt“. Georgina Alber
DocCheck: Georgina, bitte beschreibe uns kurz das Projekt „Mit Sicherheit verliebt“? Georgina: Mit Sicherheit verliebt (MSV) ist ein Projekt von Medizinstudenten, aber auch Studierenden anderer Fachrichtungen, die in Schulklassen gehen und dort Sexualkundeunterricht abhalten. Wir klären auf spielerische und altersgerechte Art in lockerer Atmosphäre über Themen wie Sexualität, Liebe und Partnerschaft, Verhütung, Geschlechtskrankheiten und Homosexualität auf. Kurz gesagt: wir agieren als eine Art „Dr. Sommer“. Am wichtigsten ist es uns natürlich, darüber zu informieren, wie man sich vor Aids und anderen Geschlechtskrankheiten sowie vor ungewollten Schwangerschaften schützen kann. Aber auch Pornographie, auf die Schüler durch das Internet heutzutage leicht Zugriff haben, und andere aktuelle Themen werden thematisiert. Wir haben bemerkt, dass das Wissen über „normalen“ Sex, Liebe und Partnerschaft bei den Schülern oft sehr begrenzt ist. Das ist eine ungute Kombination, denn häufig herrscht bei den Jugendlichen eine ziemliche Verwirrung, die wir in unserer Aufklärungsarbeit lichten wollen. Als selbst noch jungen Erwachsenen fällt es uns Studierenden leichter, Zugang zu den Jugendlichen zu finden und uns in sie und ihre Probleme und Fragen hineinzuversetzen. Das ist das Konzept des sogenannten „Peer-Teachings“. Außerdem erhalten die Kinder die Möglichkeit, Antworten auf Fragen zu bekommen, die sie ihren Eltern oder Lehrern niemals stellen würden. DocCheck: Wie bist Du zu Deiner Arbeit bei „Mit Sicherheit verliebt“ gekommen? Georgina: Bei meiner Erstsemester-Einführung vor drei Jahren wurde uns das Projekt von der Uni vorgestellt. Da ich schon länger auf der Suche nach einem neuen, coolen Projekt war, für das ich mich engagieren wollte, habe ich mich sofort dafür begeistert. Mittlerweile haben wir in München 50 aktive Mitglieder aus allen Semestern. Vor einem Jahr habe ich dann die Leitung des Projekts in München übernommen. DocCheck: Was gab es für anfängliche Probleme? Georgina: Anfänglich war das Projekt natürlich nicht sehr bekannt, weder bei den Schulen, noch bei den Studenten. Die erste Aufgabe war, ein Organisationsteam zu gründen und MSV dann bekannt zu machen. So konnte man dann die ersten Lehrer, Schulen und Studenten davon überzeugen. Da das Thema Sexualität irgendwann jeden Menschen persönlich betrifft, war dies auf jeden Fall gut zu meistern. Mittlerweile ist Sexualaufklärung fester Bestandteil der Lehrpläne und so wird „Mit Sicherheit verliebt“ immer häufiger angefragt. Viele Lehrer erkennen die Vorteile des „Peer-Teaching“-Prinzips, wovon wir sehr profitieren. DocCheck: Für welche Schulen wird das Projekt angeboten? Georgina: Wir sind an den verschiedensten Schulen hier in München und Umgebung bis nach Garmisch-Partenkirchen aktiv. Ob Realschule, Hauptschule, Gymnasium, Fach-/Berufsoberschule, Montessori-Schule, Euro Trainings Centre für Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Grundschule, wir haben immer viel zu erzählen und dabei eine Menge Spaß mit den Schülern. Im Sinne der „Peer Education“ findet unser Projekt stets ohne Anwesenheit von Lehrern statt. Unsere Stärken hierbei sind unser geringer Altersabstand zu den Jugendlichen sowie eine gewisse Anonymität durch unseren einmaligen Besuch. Pro Semester stehen etwa zehn Schulbesuche an. Darunter sind Schulen, zu denen wir schon viele Jahre kommen, aber es melden sich auch immer wieder neue bei uns. Außerdem pflegt MSV München guten Kontakt zu den Deutschen Schulen in Paris, Brüssel und Warschau. Alle ein bis zwei Jahre fahren ein paar unserer Leute dann ins Ausland, um auch dort mit den Jugendlichen über alle Fragen rund um „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ zu sprechen. DocCheck: Und wie genau sieht Eure Aufklärungsarbeit dort aus? Georgina: Meistens gehen wir vormittags in die Klassen und bleiben für vier bis fünf Stunden dort. In dieser Zeit wollen wir alle uns wichtigen Themen wie die Basics der Anatomie, Verhütung, Geschlechtskrankheiten, das erste Mal, Beziehungen usw. ansprechen. Wir gehen aber auch sehr viel auf die Fragen und Interessen der Schüler ein und versuchen herauszufinden, was sie gerade besonders beschäftigt. Wichtig ist es uns, einfach zu zeigen, dass es völlig in Ordnung ist, offen über Sex zu sprechen. Deswegen vermeiden wir Frontalunterricht, sondern sitzen im Stuhlkreis und fördern die Mitarbeit der Schüler durch Gruppenarbeit und Spiele. Ursprünglich war das Projekt für Schüler der Klassenstufen 7 und 8 konzipiert. Doch nach und nach haben wir immer mehr Anfragen von nahezu allen Klassenstufen erhalten, sodass wir nun Schulbesuche von der dritten Klasse Grundschule bis zur 13. Klasse der FOS, BOS und Berufsschulen durchführen. Wir passen unser Projekt für jede Klasse individuell an und behandeln genau die Themen, die gerade in dem Alter am interessantesten sind. Kurz und knapp: Wir unterrichten alle Klassenstufen und alle Schularten, denn Sexualität ist ein Thema, das jeden was angeht. Wir führen außerdem geschlechtergetrennte Seminare durch, d. h. wir teilen die Klassen in Jungs und Mädchen, weil wir in getrennten Gruppen intensiver und spezifischer arbeiten können. Für Mädchen ist beispielsweise das Thema Frauenarzt interessant, für Jungs das Thema Umgang mit Pornographie. Außerdem reden die Schüler in den geschlechtergetrennten Gruppen offener und freier miteinander.
Ein besonderer Aspekt, der gewährleistet, dass man offen über Sexualitätsthemen mit den Schülern sprechen kann, ist, dass Lehrer während des Gesprächs nicht anwesend sein dürfen. So trauen sich die Schüler, offen mit den Medizinstudenten zu reden. Durch Rollenspiele und andere erlebnisorientierte Methoden aus dem Bereich der Sexualpädagogik wird das peinliche Thema aufgelockert. Die Ernsthaftigkeit bestimmter Aspekte wird dabei aber stets betont, ebenso werden persönliche Grenzen oder kulturelle Verschiedenheiten immer beachtet. DocCheck: Warum ist es so wichtig, dass es Euer Projekt gibt? Sind die Schüler von heute nicht schon genug aufgeklärt? Georgina: Die Schüler haben zwar leichter Zugang zu Medien, die Sex und Sexualität zeigen und thematisieren, aber wir merken jedes Mal in den Klassen, dass es doch bei den kleinsten Dingen Missverständnisse gibt („Gehören der Penis und der Tampon in das gleiche Loch?“) und viele zwischenmenschliche Fragen („Wie sage ich meinen Eltern, dass ich einen Freund habe?“) lassen sich auch nicht so einfach im Internet klären. Bestimmte Themen und Problematiken sind den Schülern auch einfach noch nicht bewusst und wir können sie dafür sensibilisieren. Wir wollen den Jugendlichen Wissen vermitteln und können dies oft verständlicher als der Biologielehrer, da wir selbst noch sehr gut wissen, wie verwirrend es manchmal war, in der Pubertät zu sein. DocCheck: Ihr betreibt Aufklärung auf Augenhöhe, wie kommt Ihr denn besser an die Schüler heran als ein Lehrer oder die Eltern? Wie brecht Ihr das Eis bei einem doch sehr heiklen Gesprächsthema? Georgina: Indem wir einfach von Anfang an nicht um den heißen Brei herumreden, sondern offen sind und klar aussprechen, was wir sagen wollen. Die Schüler merken dann sehr schnell, dass sie bei uns nicht auf peinliches und verlegenes Schweigen treffen werden, wenn sie fragen, was beispielsweise Analsex eigentlich genau ist. Zu Beginn eines Projekttages spielen wir auch das sog. „Sex-ABC“, bei dem die Schüler zu jedem Buchstaben im Alphabet einen Begriff aus dem Themenkreis Sex und Liebe finden und an die Tafel schreiben sollen. Das bringt schon mal die „verbotenen“ Worte ins Spiel und hilft uns auch zu sehen, auf welchem Wissens- und Erfahrungsstand die Gruppe ist. DocCheck: Trauen sich die Schüler denn, wirklich offen über Sexualität zu sprechen? Georgina: Bei manchen Gruppen dauert es länger als bei anderen, aber es kommt immer eine gute Diskussion zustande. Wir haben auch eine „Blackbox“, in die die Schüler anonym Fragen an uns einwerfen können und die wir dann meistens nach der Pause vor allen beantworten. Beliebte Themen sind immer abhängig vom Alter und auch von dem, was in der Schule gerade „in“ ist. Das reicht von bestimmten Sexualtechniken über Nacktbilder per SMS bis Sex oder kein Sex vor der Ehe. Natürlich gibt es auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Mädchen interessieren sich beispielsweise natürlich mehr für die Wirkungsweise der Pille und weniger für das „Wie verstecke ich eine ungewollte Erektion?“ als die Jungs. DocCheck: Was gefällt Dir so besonders an der Aufklärungsarbeit? Georgina: Schön ist es jedes Mal, wenn die Schüler nach einem Vormittag sagen: „Es hat uns wirklich gut gefallen, obwohl wir vorher etwas skeptisch waren“. Das ist dann schon ein gutes Gefühl, dass man wirklich etwas geschafft hat. Oft erlebt man auch besonders lustige Situationen, beispielsweise, wenn Fragen wie „Wie viele Löcher hat eine Frau untenrum“ munteres Raten bei den Schülern auslösen. Generell macht es einfach unglaublich viel Spaß mit den Schülern zu arbeiten und ihnen wichtige Themen näherzubringen, über die sie sonst nicht offen reden. https://www.youtube.com/watch?v=chgJyUKbua0 Ohne Dings kein Bums Gerade das Thema Verhütung in Bezug auf Geschlechtskrankheiten ist ein wichtiger Kern des Projekts „Mit Sicherheit verliebt“. Der thematische Schwerpunkt liegt hierbei auf HIV/AIDS und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten sowie der Wichtigkeit, sich effektiv durch den Gebrauch von Kondomen zu schützen. Dazu wird es dann auch praktisch: in der Stunde zur Verhütung darf jeder Schüler den Gebrauch von Kondomen selbst üben. Außerdem geht ein Säckchen mit verschiedenen Verhütungsgegenständen im Stuhlkreis herum, aus dem sich jeder Jugendliche etwas herausgreift und dann gemeinsam besprochen wird, wie damit verhütet werden kann. Da auch in Deutschland noch immer viele Vorurteile gegenüber HIV-positiven Menschen existieren, wird auch hierüber gesprochen. „Mit Sicherheit verliebt“ möchte helfen, Stigmata und Vorurteile abzubauen und die Jugendlichen zu einem toleranten Umgang zu bewegen. In diesem Zusammenhang kooperiert die Münchner Lokalgruppe auch mit dem QUEER-Beauftragten und der Münchener-AIDS-Hilfe. Jedes Jahr zum Aidstag werden verschiedene Aktionen an den Münchner Kliniken geplant, mit Infoständen und Kuchenverkauf, dessen Erlös an die AIDS-Hilfe gespendet wird. Finanziert wird das Projekt übrigens aus Geldern der Fachschaften der LMU und TU München. DocCheck: Wie bereitet Ihr Euch auf die Seminare in den Schulen vor? Georgina: Zu Semesterbeginn veranstalten wir eine interne Fortbildung für alle MSV-Mitglieder. Hier vermitteln wir Wissen über Geschlechtskrankheiten, Verhütungsmittel, Schwangerschaft und Abtreibung. Außerdem gibt es ein Methoden-Training, wo wir neu hinzugekommenen Medizinstudenten unsere altbewährten Methoden vorstellen und wir anderen uns neue Unterrichtskonzepte überlegen. Wir treffen uns während des Semesters jeden Monat zu einer anderen Aktion. Sei es eine Fortbildung, die uns hilft, unseren Schulunterricht besser zu gestalten oder eine Diskussion mit einer Gynäkologin oder einem Urologen, die uns neue Einblicke in verschiedene Themen rund um die Sexualität ermöglicht. Wir unternehmen aber auch viele andere Sachen zusammen. Beispielsweise haben wir auf den Mediziner-Partys meist einen Informationsstand und verteilen kostenlos Kondome. DocCheck: Wie schaffst Du es neben Deinem Medizinstudium noch Zeit für Deine ehrenamtliche Tätigkeit bei „Mit Sicherheit verliebt“ aufzubringen? Georgina: Das Projekt ist es einfach wert und auch, wenn es manchmal stressig ist, macht es unglaublich viel Spaß. Wir teilen uns auch viele Aufgaben und arbeiten in der Gruppe Hand in Hand. So kann man auf jeden Fall viel neben dem Studium erreichen. DocCheck: Wie beeinflusst Dich die Arbeit bei „Mit Sicherheit verliebt“ im Hinblick auf deinen Wunsch, Ärztin zu werden? Georgina: Ich profitiere auf jeden Fall von einer sehr erfüllenden ehrenamtlichen Tätigkeit, die nebenbei das Agieren und Reden vor Gruppen trainiert. Auch bei schwierigen Themen lernt man, cool zu bleiben. Für spätere Ärzte ein nicht zu unterschätzendes Talent. Ich fühle mich insgesamt besser darauf vorbereitet, mit meinen Patienten über ihre Sexualität zu sprechen und sie in ihrem Körpergefühl ernst zu nehmen. Es gibt unter den MSV'lern tatsächlich auch sehr viele Studenten, die später gerne in die Urologie möchten. Das Thema wächst einem eben ans Herz. DocCheck: Wie können interessierte Medizinstudenten aus ganz Deutschland an dem Projekt mitwirken? Georgina: Jeder Medizinstudent kann mitmachen. Wir freuen uns immer über neue Mitglieder. An fast allen Hochschulorten gibt es eine Lokalvertretung, also ein lokales Projekt, das die Schulen in der Umgebung aufklärt. Am Besten kann man unter sicher-verliebt.de einfach die eMail-Adresse der jeweiligen Lokalgruppe suchen und die Leute direkt anschreiben. Interessierte Studenten können sich ansonsten auch einfach an unsere bundesweite Koordination (nora@bvmd.de) wenden.