Im OP überschlagen sich die Ereignisse: Die junge Patientin verfällt im Zeitraffer, blutet aus der Milz, musste schon zweimal reanimiert werden – und ihr Zustand verschlechtert sich weiter. Dabei begann alles ganz harmlos. Was ist hier los?
Als die junge Frau im Schockraum des Maximalversorger-Krankenhauses ankommt, beginnt die eingeölte Maschine ihre vielfach trainierten Abläufe:
„A, B oder C-Problem?“
In grellem Neonlicht hallen Kommandos durch den schmucklosen gekachelten Raum: „C-Problem: Freie Flüssigkeit im Bauchraum, Kreislauf instabil trotz Hochdosis-Katecholaminen.“
„OK, CT bereit in 5 Minuten!“
„Blutungsquelle offenbar Milzläsion.“
Eine Intensivkrankenschwester gibt die BGA durch: „Ph 6,9, Base Excess -28, Kalium 5,5, Hb 6,5 g/dl.“
„Saal 5 in 10 Minuten zur Notfall-Laparotomie!“
Im OP überschlagen sich die Ereignisse: Diffuse Blutung aus der Milz, zweifache primär erfolgreiche Reanimation. Die Blutung wird gerade noch per Splenektomie und Embolisation der Milzarterie gestoppt, bei der Ausleitung der nächste Einschlag: „Pupillen sind lichtstarr!“
Erneutes CT: Ausgedehnte Hirnblutungen, nicht operabel. Zurück auf Intensiv – die Patientin rutscht ins ARDS, 40 °C Fieber, ein Anruf vom Labor: „Neisseria meningitidis in 4 von 4 Blutkulturen!“
Die Gerinnung ist nicht mehr messbar, der Pfleger bringt Ceftriaxon. Es ist zu spät. Denn mittlerweile passiert es, wie Sand, der einem durch die Finger rinnt: Man versucht es festzuhalten, aber das Leben rieselt schnell und sehr leise durch jede Ritze – die Patientin verfällt im Zeitraffer.
„Kreislaufstillstand!“
Wieder wird reanimiert, aber es liegt nicht mehr in unserer Hand. Am Ende herrscht lange Stille.
Es begann alles ganz harmlos. Die Patientin kam gerade aus dem Urlaub in Griechenland zurück; die Reise war so toll. Voller neuer Eindrücke nahm sie erst abends die starken Kopfschmerzen und etwas Schwindel wahr. "Habe ich Fieber?" -„39 °C“, misst ihr Mann. „Geht es Mama nicht gut?“ Die kleine Tochter steht im Schlafanzug im der Schlafzimmertür, man kann die Angst im Raum mit Händen greifen.„Nur ein kleiner Infekt, Liebes“. Er holt Paracetamol, die Patientin fällt ins Bett. Heilt nicht Schlaf alle Wunden? Sie schläft lange und voller bizarrer beunruhigender Fieberträume, am nächsten Nachmittag ist das Fieber bei 40 °C und sie ist irgendwie anders. Herzrasen, leichte Verwirrtheit – und dann noch Durchfall. Ibuprofen hilft nicht, der Mann ruft den Notarzt.
„Mmh, wirklich ins Krankenhaus?“ Der Notarzt ist unsicher, dann misst er den Blutdruck. 70/50 mmHg ist selbst für eine zierliche junge Frau viel zu wenig, ihr Herz rast. „OK, das muss man abklären“. Nach 1 Liter Elektrolytlösung i. v. geht es besser, die Herzfrequenz ist auf 100/min gesunken, der Blutdruck etwas gestiegen. Akrinor macht den Rest.
Kurz darauf in der Notaufnahme, die ersten Laborergebnisse: Leukozyten 24.000, Thrombozyten 34.000, Quick 53 %, der Rest fehlt noch. Das Fieber hängt bei knapp 39 °C. Blutkulturen, dann bekommt sie Piperacillin/Tazobactam in Höchstdosis.
„Wie geht es Ihnen?“
„Etwas besser“, sagt die Patientin leise und betrachtet die flackernden Monitore der Notaufnahme. „Was habe ich denn?“ Die Suche beginnt.
Auf Intensiv sucht man die Quelle des vermuteten Infekts. Im Ultraschall Abdomen sieht man eine merkwürdige Struktur an der Milz, ein bisschen freie Flüssigkeit diffus im Bauchraum verteilt. In einer Lunge basal ein paar Infiltrate, Volumenmangel hat Sie nach 3 Litern Elektrolytlösung nicht (mehr). Der Durchfall ist mittlerweile besser.
Verlaufslabor: Die Leukozyten steigen weiter, Gerinnung fällt. Das CRP liegt bei 40. Und jetzt fällt der Blutdruck wieder – rapide.
„Die muss ins Zentrum“, ruft die Intensivärztin. Ihr Kollege nickt, aus dem Augenwinkel bemerkt er jetzt die schwarzen Punkte auf der Haut der Patientin. Er greift zum Telefon. 6 Stunden später ist sie tot.
Die Meningitis ist eine Entzündung der Hirnhäute – ausgelöst durch Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze. Die virale Meningitis ist hierbei am häufigsten, die bakterielle Meningitis verhältnismäßig selten und sehr gefährlich. Die seltene und ebenfalls gefährliche tuberkulöse Meningitis wird als eigene Entität gezählt. Bei der bakteriellen Meningitis sind Pneumokokken, Meningokokken (Neisseria meningitidis – überwiegend Serogruppen B und C) und Listeria monocytogenes die häufigsten Erreger, die Häufigkeiten variieren je nach Altersgruppe etwas. Weitere, seltenere Erreger sind Staphylokokken, Pseudomonas aeruginosa sowie Anaerobier.
Fieber, Kopfschmerzen und Übelkeit/Erbrechen sind typische Allgemeinsymptome, dazu kommt als Kardinalsymptom (das aber in bis zu 70 % der Fälle fehlen kann!) der klassische Meningismus sowie weitere neurologische Symptome wie Krampfanfälle und Bewusstseinsstörungen bis zum Koma.
Petechien sind – ebenso wie flächige Einblutungen – Zeichen einer schweren Gerinnungsstörung und typisch für die fatale Maximalvariante einer Meningokokken-Sepsis: Dem Waterhouse-Friderichsen-Syndrom wie in diesem Fall. Die Letalität liegt hier auch behandelt bei bis zu 90 % und steht in ihrer Gefährlichkeit einer fulminanten Hirnblutung oder einem ausgedehnten ischämischen Schlaganfall in nichts nach.
Diagnostisch ist der kulturelle Erregernachweis in Blut (mindestens 2 Paar Blutkulturen abnehmen!) und Liquor Goldstandard. Die Liquordiagnostik ist extrem wichtig, da sie neben dem kulturellen Nachweis mittels PCR schnelle Direktnachweise ermöglicht – hier gehört die Untersuchung auf Syphilis, Borrelien, FSME und Herpesviren zum Standard. Oft gibt es entsprechende „PCR-Panel“, die alle relevanten Erreger abdecken.
Durch spezifische Parameter wie Zellzahl, Glucose, Laktat, Eiweiß und deren Verhältnis zueinander kann man abgrenzen, ob es sich eher um eine bakterielle, eine virale oder eine tuberkulöse Meningitis handelt.
Typische Liquor-Befunde verschiedener Meningitis-Formen (Quelle: Leitlinie Meningitis DGN)
Ebenfalls dazu gehört immer ein HIV-Test. Im Fall einer bis dahin unbekannten HIV-Infektion kommen noch völlig andere Erreger wie Cryptococcus und Toxoplasma gondii in Frage.
Genau wie bei Schlaganfall oder Hirnblutung ist schnelles Handeln angesagt – erst recht, wenn schon eine Sepsis vorliegt. Beim kleinsten Verdacht sollte man nach Probenentnahme sofort antiinfektiv therapieren und initial sowohl virale als auch bakterielle, bei entsprechenden Hinweisen auch tuberkulöse und andere Formen mit abdecken:
Nach Erhalt des Erregers und Antibiogramm kann gezielt therapiert und ggf. deeskaliert werden. Selbst wenn man die Erreger in den Griff bekommt: Bis zu 20 % der Erkrankten behalten bleibende neurologische Schäden, oft folgen wochen- bis monatelange Rehabilitationen.
Beim bakteriellen Erreger Neisseria meningitidis schützen Meningokokken-Impfstoffe vor den häufigsten Serotypen B und C. Da aber auch die Serotypen A, W und Y in Deutschland für immerhin 10 % innerhalb der Meningokokken-Fälle verantwortlich sind, empfiehlt sich zur breiten Abdeckung neben der Meningokokken B direkt eine Meningokokken ACWY-4-fach-Impfung.
Im Gesundheitssystem haben Kontaktpersonen von Infizierten bzw. Erkrankten ein hohes Infektionsrisiko – daher ist gerade für medizinisches Personal eine ausreichende Händehygiene und persönliche Schutzausrüstung (Kittel, Mund-Nasen-Schutz oder FFP-Masken) essentiell.
Leitlinien zum Nachlesen:
Bildquelle: Ben White, Unsplash