Wenn Frauenheilkunde auf Neurologie trifft, wird’s spannend: Denn bei neurologischen Patienten können Verhütung und Schwangerschaft zur Herausforderung für Ärzte werden. Worauf ihr achten müsst.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Junge Frauen, die an einer neurologischen Erkrankung leiden, sind oft verunsichert über mögliche Antikonzeptionsmethoden. Einerseits sollte eine Schwangerschaft unter einer neurologischen Medikation sicher verhütet werden, andererseits soll die Methode keinen negativen Einfluss auf die Erkrankung haben. Spätestens bei der Familienplanung ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Gynäkologie wichtig, damit einem positiven Schwangerschaftsverlauf und einer unkomplizierten Geburt nichts im Wege steht.
Bei Migräne handelt es sich um anfallsartige, oft pulsierende Kopfschmerzen, die wiederkehrend und meist einseitig auftreten und dabei Stunden bis Tage andauern können. Begleitet werden sie von vegetativen Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen, aber auch Licht- und Lärmscheu. Außerdem können reversible visuelle und neurologische Symptome wie Sehstörungen, Sensibilitäts- und Sprachbeeinträchtigungen bis hin zu Lähmungserscheinungen in Form einer Aura hinzukommen. Frauen haben eine zweifach höhere Inzidenz bei der Migräne, wobei sich mehr als die Hälfte der Attacken um und während der Menstruation ereignen.
In der Antikonzeptionsberatung ist präzise zwischen einer klassischen Migräne mit Aura und einer gewöhnlichen Migräne ohne Aura zu unterscheiden; im Zweifelsfall kann ein neurologisches Konzil hilfreich sein. Bei einer Migräne mit Aura sind kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK), bestehend aus einer Östrogen- und Gestagenkomponente, kontraindiziert. Liegt keine begleitende Aura vor, empfiehlt sich die Verabreichung im Langzyklus, d.h. ohne Einnahmepause. Hierbei wird der Hormonabfall im einnahmefreien Intervall umgangen, der als möglicher Auslöser für Migräneattacken gilt. Tritt eine Migräne unter der Einnahme neu auf, bzw. kommen neurologische Symptome erstmals hinzu, sollte das kombinierte Kontrazeptiva abgesetzt und eine neurologische Abklärung veranlasst werden. Bei einer Migräne mit Aura besteht ein erhöhtes Risiko ischämische Insulte, das durch kombinierte Kontrazeptiva weiter verstärkt werden kann. Ist bereits anamnestisch ein Apoplex bekannt, sind kombinierte Antikonzeptiva kontraindiziert.
Alternativen, insbesondere bei einer Migräne mit Aura, stellen orale Gestagen-Monopräparate, Hormon- und Kupferspiralen sowie Barriere-Methoden dar. Insgesamt werden Migräneattacken unter einer Gestagen-Monopille seltener beobachtet.
Migränekopfschmerzen bessern sich oft im 2. und 3. Trimenon oder lassen komplett nach. Für eine akute Migräneattacke in der Schwangerschaft empfiehlt Embryotox, eine Internetplattform der Charité, folgendes:
„Eine akute Migräneattacke sollte zunächst mit Analgetika wie Paracetamol und NSAID (Ibuprofen, Naproxen) behandelt werden. NSAID dürfen nicht nach der 28. SSW eingenommen werden. Bei schweren Attacken oder ausbleibender Besserung kann aus der Gruppe der Triptan-Serotonin-Agonisten das gut untersuchte Sumatriptan als Mittel der Wahl angewendet werden. Metoclopramid ist zur Behandlung von Übelkeit möglich. Ist eine Migräneprophylaxe in seltenen Fällen indiziert, sollten Metoprolol und Amitriptylin bevorzugt verwendet werden.“
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische, entzündlich-demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems. Krankheitsschübe und Remissionen werden hormonell beeinflusst; insbesondere in der zweiten Zyklushälfte ist das Schubrisiko erhöht.
Unter den meisten MS-Therapeutika wird laut Fachinformation eine zuverlässige Kontrazeption empfohlen oder ist für Wirkstoffe mit teratogenem Potenzial sogar obligat. Wechselwirkungen sind zu beachten.Kombinierte orale Kontrazeptiva können bei bekannter MS eingenommen werden. Gestagen-Monopillen, Hormon- und Kupferspiralen sind mögliche Alternativen. Depot-Metroxyprogesteronacetat (3-Monatssprizte) ist aufgrund eines Promotoreffekts kontraindiziert. In Studien wurden positive Effekte auf Symptomatik und Schubfrequenzen der kombinierten oralen Kontrazeptiva beschrieben. Besonders die Einnahme im Langzyklus, die eine gleichförmige hormonelle Situation gewährt, hat sich als vorteilhaft erwiesen.
Bekannt ist, dass das Schubrisiko im Schwangerschaftsverlauf abnimmt, in den ersten drei Monaten postpartal ist es erhöht. Ausschließliches Stillen wirkt sich positiv auf den Krankheitsverlauf aus. Ein Überblick über die komplexen MS-Therapien, die in Schwangerschaft und Stillzeit möglich sind, findet sich hier.
Krampfanfälle können durch unterschiedliche Krankheitszustände des Gehirns ausgelöst werden, etwa durch Fehlbildungen, Tumoren oder bei einer erblichen Disposition. Auch hier können zyklische Hormonschwankungen das Anfallsrisiko beeinflussen.
Kombinierte orale Kontrazeptiva haben keinen negativen Einfluss auf die Anfallsfrequenz und sind nicht kontraindiziert. Bei einer perimenstruellen Anfallsneigung wird die Einnahme im Langzyklus empfohlen. Problematisch ist allerdings die wechselseitige Interaktion von Antiepileptika und Steroidhormonen. Enzyminduzierende Antiepileptika können die Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva (KOK und Gestagen-Monopillen), aber selbst von parenteralen Systemen (transdermales kontrazeptives Pflaster, Vaginalring, Depot-Gestagene) herabsetzen. Umgekehrt können Steroidhormone den Metabolismus von Antiepileptika beeinflussen, so dass es zu einer Wirkungsveränderung kommt.
Aufgrund der Vielfalt von Antiepileptika und ihrer unterschiedlichen Wechselwirkungen sind hier individuelle Abstimmungen zwischen Gynäkologie und Neurologie erforderlich. Gemeinsam müssen Antikonzeptionsmethode und Antiepileptikum aufeinander abgestimmt werden. Beispielsweise ist unter Carbamazepin mit vielfältigen Wechselwirkungen zu rechnen, wie es in einem Praxisfall beschrieben wurde.Intrauterine Systeme (Hormon- und Kupferspiralen) werden als sicher angesehen, ebenso die Sterilisation bei abgeschlossener Familienplanung.
Während der Schwangerschaft können Anfälle häufiger auftreten. Gründe können Schlafstörungen oder die Verminderung des Wirkspiegels von Antiepileptika sein, hervorgerufen durch schlechte Compliance oder erhöhte Clearance. Antiepileptika besitzen ein embryotoxisches Potenzial, besonders die klassischen Antiepileptika Valproinsäure, Carbamazepin, Phenobarbital/Primidon und Phenytoin. Valproinsäure scheint das riskanteste Antiepileptikum zu sein und sollte im gebärfähigen Alter nach Möglichkeit nicht verordnet werden. Mittel der Wahl sind Lamotrigin oder Levetiracetam.
Meningeome sind Tumoren, die ihren Ursprung von den Meningealzellen der weichen Hirnhäute nehmen. Es gibt benigne und maligne Varianten, insgesamt sind Frauen häufiger betroffen. Gefürchtet sind verdrängendes Wachstum mit neurologischen Ausfallserscheinungen. Kombinierte Kontrazeptiva sind nach Meningeom-Therapie nicht kontraindiziert, ebenso sind orale Gestagen-Monopräparate und Kupferspiralen möglich. Bei Depot-Gestagenen und Implantaten wird ein fraglich erhöhtes Risiko diskutiert.
Besonders Medroxyprogesteronacetat (MPA) ist aktuell in die Schlagzeilen geraten: Bei hoher Dosierung (≥ 100 mg) von MPA über mehrere Jahre wird ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Meningeoms angenommen. In der Gynäkologie betrifft dies die sogenannte 3-Monatsspritze zur Empfängnisverhütung, die in der modernen Antikonzeptionstherapie nur noch in Ausnahmefällen verordnet werden sollte. Patientinnen, die an einem Meningeom erkrankt waren, sollen kein hochdosiertes MPA einnehmen bzw. muss im Erkrankungsfall die Therapie abgebrochen werden.
Vor Chlormadinonacetat (CMA) und Nomegestrolacetat, die in niedriger Dosierung in einigen kombinierten oralen Kontrazeptiva verabreicht werden, wurde bereits 2022 gewarnt:
„Es konnten keine neuen Sicherheitsbedenken hinsichtlich eines Meningeomrisikos im Zusammenhang mit der Anwendung von chlormadinonacetathaltigen Arzneimitteln in niedriger Dosierung (2 mg) oder nomegestrolacetathaltigen Verhütungsmitteln in niedriger Dosierung (2,5 mg) festgestellt werden. Da jedoch das Risiko eines Meningeoms mit zunehmender kumulativer Dosis von chlormadinonacetat- oder nomegestrolacetathaltigen Arzneimitteln ansteigt, sind niedrigdosierte Produkte bei Patientinnen mit bestehendem Meningeom oder einem Meningeom in der Vorgeschichte kontraindiziert und die Behandlung sollte bei Anzeichen und Symptomen eines Meningeoms dauerhaft eingestellt werden.“
Mütterliche Meningeome können sowohl für die Schwangere als auch für das ungeborene Kind eine Gefahr darstellen, da es während der Schwangerschaft zu einem raschem Tumorwachstum kommen kann. Die Therapie ist komplex, erfordert einen multidisziplinären Ansatz und wird bestimmt von den Tumoreigenschaften, mütterlichen Symptomen und dem Schwangerschaftsalter.
Neurologische Grunderkrankungen werden oftmals durch hormonelle Veränderungen im Menstruationszyklus, aber auch während einer Schwangerschaft beeinflusst. Bei der Kontrazeptionsberatung und in der Schwangerenvorsorge spielen sie eine nicht unerhebliche Rolle und erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen Gynäkologie und Neurologie.
Interdisziplinäre Beratung notwendig: Junge Frauen mit neurologischen Erkrankungen benötigen eine Kontrazeptionsberatung, die neurologische und gynäkologische Aspekte integriert, um Schwangerschaften sicher zu planen und negative Effekte auf die Grunderkrankung zu vermeiden.
Migräne und Kontrazeption: Frauen mit Migräne und Aura sollen keine kombinierten oralen Kontrazeptiva nutzen, da dies das Risiko von ischämischen Schlaganfällen erhöht. Alternative Verhütungsmethoden wie Gestagen-Monopräparate und Kupferspiralen sind hier sinnvoll.
MS und Kontrazeption: Kombinierte orale Kontrazeptiva sind bei MS grundsätzlich erlaubt und können sogar positive Effekte auf die Symptomatik haben. Depot-Spritzen sind jedoch kontraindiziert.
Epilepsie und Antiepileptika: Aufgrund von Wechselwirkungen zwischen Antiepileptika und Kontrazeptiva müssen Verhütungsmethoden individuell abgestimmt werden. Intrauterine Systeme und Sterilisation gelten als sichere Optionen.
Bildquelle: Getty Images, Unsplash