Wird ein alter Mensch vergesslich, scheint eine Demenz die beste Erklärung zu sein. Dabei lohnt bei Gedächtnisverlust, Depression und Orientierungslosigkeit auch der Blick auf den Vitamin-D-Status der Patienten.
Glaubt man den aktuellen Schätzungen des RKI, könnte man Deutschland zweifelsohne als Vitamin-D-Mangelgebiet bezeichnen. So lässt die Auswertung von Serumblutproben aus der Bevölkerung vermuten, dass 29,7 % der Frauen und 30,8 % der Männer mangelhaft mit dem Sonnenvitamin versorgt sein könnten.
Dabei erfüllt Vitamin D zahlreiche wichtige Funktionen im Körper und ist unter anderem am Knochenstoffwechsel und der Nierenfunktion beteiligt. Weiterhin scheint auch das Alter bei der Häufigkeit eines Vitaminmangels eine wichtige Rolle zu spielen: So sind Frauen im höheren Lebensalter im Vergleich zu Männern besonders stark vom Vitamin-D-Mangel betroffen.
Dass ein Mangel dieses wichtigen Vitamins aber nicht nur für die Knochen, sondern auch für das Gehirn gefährlich werden kann, zeigt die brisante Kasuistik einer befreundeten Augenärztin. Sie untersuchte in ihrer Praxis kürzlich einen betagten älteren Herren im Alter von über 90 Jahren und las in seiner Vorgeschichte verschiedene Diagnosen wie Depression und Demenz.
Da sie sich diese Label allerdings nicht so richtig erklären konnte und der Mann keinen wirklich dementen Eindruck machte, schickte sie ihn zum Hausarzt zur Kontrolle des Vitamin-D-Spiegels. Das Ergebnis führte dann auch zu einer großen Überraschung mit anschließender „Wunderheilung“: Der Mann hatte einen Vitamin-D-Spiegel von annähernd Null und bekam nach hochdosierter Substitution seine gute Laune und sein Gedächtnis zurück.
Mangelernährung und Vitaminmangel können also zum klinischen Bild einer Demenz beitragen und bzw. oder das Risiko für eine entsprechende Erkrankung deutlich erhöhen. Das zeigen mittlerweile nicht nur Kasuistiken wie in unserem Beispiel, sondern auch immer mehr systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen. So suchten Erstautorin Isolde Sommer und ihre Arbeitsgruppe für ihre Übersichtsarbeit in gängigen Datenbanken nach Übersichtsarbeiten zur Bewertung des Demenzrisikos durch mangelnde Sonnenexposition oder Vitamin-D-Mangel. Als Zeitraum wählten sie die Publikationsjahre 1990 bis 2015 und konnten für ihre Auswertung 6 geeignete Kohortenstudien identifizieren.
Ihr Ergebnis unterlag zwar verschiedenen methodischen Limitierungen, deutete aber auf ein offensichtlichen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung demenzieller Erkrankungen hin. Viele andere Übersichtsarbeiten zum Thema kommen zu einem vergleichbaren Ergebnis. So berichtete etwa auch eine im Fachblatt Neurology veröffentlichte prospektive Beobachtungsstudie von einem erhöhten Demenzrisiko durch einen Mangel des Sonnenhormons.
Keine Frage – mit diesem Wissen sollte man freiwillig nicht unbedingt mit Vitamin-D-Mangel durch die Gegend laufen! Wie lässt sich aber solch ein Mangelzustand nun insbesondere bei älteren Menschen vermeiden, und somit im besten Fall das Risiko für die Entwicklung einer Demenz reduzieren?
Ein erster Schritt beginnt beim Hausarzt. Besteht der Verdacht auf beginnende kognitive Beeinträchtigungen, wäre vermutlich zunächst eine Blutentnahme angebracht: Wie sieht es aus mit den B-Vitaminen, was macht der Vitamin-D-Spiegel? Ist hier alles in Ordnung, wäre sicher der Weg zum Neurologen der nächste richtige Schritt.
Bei Vitaminmangel empfiehlt sich dagegen eine schnelle Substitutionstherapie nach gängigen Empfehlungen in Kombination mit Lifestyle-Änderungen, wie eine erhöhten Exposition gegenüber Sonnenlicht und eine vitaminreiche ausgewogene Ernährung. So findet sich Vitamin D in geringer Menge beispielsweise in Pilzen, Leber und im Eigelb. Und wer all dies nicht essen mag, kann hochwertige Präparate zur Substitution in jeder Apotheke erhalten. Regelmäßige Laborkontrollen im Verlauf sichern schließlich eine adäquate Versorgung im empfohlenen Normbereich.
Obgleich die Bestimmung ausgewählter Laborwerte – darunter auch verschiedene Vitamine und Mineralstoffe – meistens zu den individuellen Gesundheitsleistungen zählt, wird die Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels bei Verdacht auf einen klinisch relevanten Mangel zu einer Kassenleistung.
Natürlich steckt nicht hinter jedem Gedächtnisverlust im Alter ein Vitaminmangel. Eine ausreichende Versorgung kann aber auch bei Menschen mit Demenz die Vitalität verbessern, das Risiko für Knochenbrüche reduzieren, die Nierenfunktion schützen und die Stimmung steigern. Mein Fazit zu diesem Thema lautet daher: Wir brauchen im klinischen Alltag ein größeres Bewusstsein für die Bedeutung von Vitamin D für Körper, Geist und Seele. Darüber hinaus könnte – als bescheidener Vorschlag in Richtung Gesundheitspolitik – eine generelle Balkonpflicht für alle Zimmer in Altenheimen sicher nicht schaden.
Quellen:
Littlejohns et al. Vitamin D and the risk of dementia and Alzheimer disease. Neurology, 2014. doi: 10.1212/WNL.0000000000000755
Sommer et al. Vitamin D deficiency as a risk factor for dementia: a systematic review and meta-analysis. BMC Geriatr, 2017. doi: 10.1186/s12877-016-0405-0.
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