Ob gemeinsam oder alleine entscheiden: Patienten wollen bei Therapien immer öfter mitreden – und fordern manchmal unnötige Maßnahmen. Das birgt Konfliktpotenzial. Wie ich als Ärztin damit umgehe.
In der Behandlung von Patienten begegnen wir den unterschiedlichsten Persönlichkeitstypen. Auch wenn unsere professionelle Haltung über allem steht, sind auch wir Behandelnde nur Menschen und die Interaktionen mit Patienten dürfen etwas in uns berühren. Das beeinflusst natürlich auch, wie wir es mit der Entscheidungsfindung handhaben.
In einer Befragung über Patientenwünsche in der Sprechstunde im Rahmen des Gesundheitsmonitors der Bertelsmann Stiftung und der Barmer ergaben sich diesbezüglich über mehr als ein Jahrzehnt konstant drei unterschiedliche Gruppen: Zum einen mit 55 % der größte Anteil der zu Behandelnden, die eine partizipative Entscheidungsfindung bevorzugten. In dieser Gruppe fanden sich eher chronisch Erkrankte und Personen mit höherem Bildungsgrad.
Bei dieser Art der Entscheidungsfindung geht es um ein gemeinsames Abwägen zwischen Arzt und Patient – die daraus resultierenden Vorteile für das Behandlungsergebnis sind belegt. Im Idealfall sollten wir daher die potenziellen Vor- und Nachteile einzelner diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen erörtern, gegebenenfalls eigene Präferenzen nennen, den Patienten und seine Ansichten aktiv mit einbeziehen und gemeinsam über den möglichen Behandlungspfad entscheiden. Diese Konsultationen können auf beiden Seiten, je nach Kontext, als gelungen empfunden werden.
Daneben gaben 23 % der Patienten an, ein paternalistisches Modell zu präferieren, bei dem der Behandler weitgehend alleinverantwortlich entscheidet. Dabei handelte es sich in der Befragung tendenziell eher um männliche und ältere Patienten, oder solche, die zuletzt häufig die Praxis aufgesucht hatten. Nun gibt es einerseits Entscheidungen in der Hausarztpraxis, die ganz einfach sind und bei denen ich kein Problem habe, sie meinen Patienten abzunehmen: neu aufgetretenes Vorhofflimmern und ein hoher CHA2DS2-VASc-Score ohne relevantes Blutungsrisiko? Her mit der oralen Antikoagulation. Fortgeschrittenes Alter und multimorbide? Pneumokokkenimpfung, ja bitte.
Jedoch ist die Medizin nicht immer schwarz weiß und es gibt bei weitem nicht für alle Belange eine klare Evidenzlage. Darüber hinaus arbeiten wir mit endlichen Ressourcen. In diesem Kontext kann einen die hartnäckige Weigerung eines Patienten, sich an der Entscheidungsfindung zu beteiligen und das Beharren darauf, dass man es als Behandler doch besser wisse, schon mal ins Schwitzen bringen. Es geht um Situationen wie beispielsweise die Delayed Prescription eines Antibiotikums vor dem Wochenende – der Patient entscheidet selbst, ob und wann er es einnimmt. Oder die kontrovers diskutierte Frage, ob ein PSA-Wert bestimmt werden solle. Hier kann und möchte ich die Entscheidung nicht alleine treffen.Quelle: Bertelsmann Stiftung
Um das Ganze noch komplexer zu machen: Es muss natürlich auch bedacht werden, dass durch den teils hektischen Praxisalltag gepaart damit, dass es mir vielleicht nicht immer gelingt, ein komplexes Thema auf einfache Fakten herunter zu brechen, es auch absolut berechtigt zu Schwierigkeiten auf Seiten des Patienten kommen kann, einen potentiell folgenreichen Entschluss zu fassen.
Bei der dritten und letzten Gruppe handelt es sich um die 18 % der Befragten, die ein autonomes Konzept verfolgten, also alleine entscheiden wollen. Mit den herangezogenen Daten ist nur unzulänglich zu beantworten, welche Patienten dies präferierten. Als Einflussfaktor zeigte sich lediglich das Merkmal weniger Hausarztkontakte in den vorausgegangenen Monaten.
Wenn die Einschätzung eines solchen Patienten mit der meinen divergiert, kann es anspruchsvoll werden. Wenn ich beispielsweise eine Vorsorgekoloskopie befürworte, der Patient diese aber nicht für nötig oder sinnvoll hält. In solchen Situationen kann ich zumindest versuchen, den Antrieb oder mögliche Bedenken zu erfragen und mehr Informationen bereitzustellen. Auch der gegenteilige Fall – ein Patient fordert eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme, welche ich nicht für indiziert halte – birgt Konfliktpotential. Noch vertrackter wird es, wenn es gar nicht um mündige Erwachsene selbst geht, sondern wie beispielsweise bei unseren Kollegen aus der Pädiatrie um Dritte, nämlich um Kinder und zum Beispiel die Frage nach der Notwendigkeit von Standardimpfungen. Das kann einen schon auch mal etwas frustriert zurücklassen.
Die übrigen 4 % der Befragten konnten sich übrigens nicht klar einer Gruppe zuordnen.
Zusammenfassend: Nicht jeder Routinetermin in der Sprechstunde verlangt nach einer Entscheidung. Sollte dies aber nötig sein, ist für ein optimales Behandlungsergebnis nach Möglichkeit eine partizipative Entscheidungsfindung anzustreben. Gelingt uns dies im Einzelfall nicht, fordern uns die Patienten zumeist aber nicht absichtlich heraus. Es ist Teil unseres Jobs, so kompetent und empathisch wie möglich durch die einzelnen Konsultationen zu navigieren.
Ganz wichtig zu bedenken: Nur weil ich etwas für richtig halte, muss das nicht zwangsläufig auch die beste Option für meinen Patienten darstellen. Und juristisch gesehen hat der Patient das Selbstbestimmungsrecht. Dass wir in der Behandlung immer wieder mit herausfordernden Situationen konfrontiert werden, in denen wir uns auch mal unter Druck gesetzt oder unzufrieden fühlen können, gehört zu einer Tätigkeit, die so nahe am Menschen ist, einfach dazu. Und vom Bewusstsein über die eigenen Gefühle kann eine Arzt-Patienten-Beziehung nur profitieren.
Bildquelle: Ying Ge, Unsplash