In ganz Europa sammelten die selbsternannten Lebensschützer der Bürgerinitiative „Einer von uns“ Stimmen und forderten die EU auf, keine Projekte zu fördern, „bei denen menschliche Embryonen vernichtet werden“. Doch die EU-Kommission setzt weiter auf Stammzellforschung.
Die Bürgerinitiative „Einer von uns“ will durchsetzen, dass EU-Gelder für Stammzellforschung und Abtreibungen in der Entwicklungshilfe verboten werden. Mit Hochdruck haben sie in den vergangenen Monaten Stimmen gesammelt und eine Woge des Protests ausgelöst. Zu den Unterstützern der Initiative gehören laut den Initiatoren Papst Franziskus, Kardinal Meissner, Volker Kauder oder Julia Klöckner, Vorsitzende der CDU-Fraktion im Rheinland-Pfälzischen Landtag. Die formelle Hürde für ein Begehren hatten sie schnell übertroffen. Eine Million EU-Bürger aus mindestens sieben der 28 Mitgliedstaaten müssen eine Initiative unterstützen, damit sie von der EU-Kommission gehört werden kann. „Einer von uns“ sammelte fast zwei Millionen Stimmen. Ähnlich erfolgreich war bisher nur die Kampagne „Right2Water“, die sich gegen die Privatisierung der Wasserversorgung aussprach.
In katholisch geprägten Staaten wie Italien, Spanien und Polen hatte die Aktion den größten Zulauf. In Deutschland sammelten sie mehr als 170.000 Stimmen. Vor allem sorgte hier jedoch der Vorsitzende der Bürgerinitiative Tobias Teuscher für Diskussionen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk stellte der Politikwissenschaftler die Behauptung auf, die EU-Familienpolitik einiger Parteien setze auf die Förderung von Homosexualität als Leitkultur, fördere pädophile Umtriebe und die Masturbation im Kindergarten. Nachdem der Moderator die Thesen unkommentiert ließ, kritisierte auch der Sender das Fehlen journalistischer Professionalität. Die Initiative selbst hält sich mit solchen Thesen zurück. Sie will vor allem eine ethische Grundsatzdebatte auslösen. Wann entsteht Leben? Darf mit embryonalen Stammzellen geforscht werden? Und sollte es in der Hand der Mutter liegen, ob aus einer befruchteten Eizelle ein Kind heranwächst?
Europaweite Regelungen dazu gibt es bislang nicht. Während etwa Großbritanniens Regelungen zur embryonalen Stammzellforschung recht liberal sind, darf in Deutschland daran nur noch unter strengen Auflagen und mit einer Stichtagsregelung geforscht werden. Das Embryonenschutzgesetz verbietet es, Embryos zu einem anderen Zweck als einer Schwangerschaft zu erzeugen. Embryonale Stammzellen dürfen nur eingeführt werden, wenn sie vor Mai 2007 und aus Embryonen gewonnen worden sind, die ursprünglich zur künstlichen Befruchtung erzeugt worden sind. Auch Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch legt jeder EU-Staat selbst fest. Erst kürzlich wurde in Spanien heftig protestiert, als die Regierung das Abtreibungsgesetz verschärfte.
Zweimal durften die Initiatoren in Brüssel ihr Anliegen vortragen. Vor einer Woche kam die Antwort der EU-Kommission. Und die fiel deutlich aus: Die EU will keinen Gesetzesvorschlag machen, der die Finanzierung von embryonaler Stammzellenforschung verbietet. Máire Geoghegan-Quinn, EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Wissenschaft, erklärte hierzu: „Die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament haben sich aus gutem Grund darauf geeinigt, die Forschung in diesem Bereich fortzusetzen. Embryonale Stammzellen sind einzigartig und bieten das Potenzial für lebensrettende Behandlungen, die bereits in klinischen Versuchen erprobt werden.“ Die Kommission verfolgt nach eigenen Angaben nicht das Ziel, nur wissenschaftliche Arbeiten zu finanzieren, bei denen menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden. Vielmehr fördere sie die Forschung zur Behandlung von Krankheiten wie Parkinson, Huntington oder Diabetes.
Zwischen 2007 und 2013 unterstützte die EU 27 Kooperationsprojekte im Gesundheitssektor, bei denen menschliche embryonale Stammzellen verwendet wurden, mit insgesamt 156,7 Millionen Euro. Die Gesamtausgaben für Forschung im Gesundheitsbereich beliefen sich im gleichen Zeitraum auf rund 6 Milliarden. Von der EU unterstützte Projekte werden zudem mehrfach kontrolliert. Sie müssen mit den Gesetzen des Landes im Einklang stehen, in dem sie durchgeführt werden. Mit Hilfe eines Peer-Review-Verfahrens werden sie wissenschaftlich und ethisch geprüft. Außerdem dürfen EU-Mittel nicht zur Gewinnung neuer Stammzelllinien oder für Forschungsarbeiten verwendet werden, bei denen Embryos zerstört werden.
Erleichtert über die Entscheidung zeigte sich auch Jeremy Farrar, Direktor des Wellcome Trust: „Die Stammzellforschung bleibt eine der vielversprechendsten Forschungsgebiete der Biomedizin. Jeder Vorschlag, die Forschungsförderung auf diesem Gebiet zu beschränken, hätte negative Auswirkungen auf die Gesundheit.“ Der Welcome Trust ist nach der Bill Gates Stiftung die zweitvermögendste Stiftung, die auch medizinische Forschung unterstützt. Doch nicht nur an ihrer Forschungsförderung hält die EU fest, auch die Forderung, Entwicklungshilfe stärker zu reglementieren, stieß auf Widerstand: „Noch immer sterben zu viele Frauen aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft und bei der Entbindung“, sagte EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs. Deshalb habe die internationale Gemeinschaft als eines der Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) festgelegt, auf die Senkung der Müttersterblichkeitsrate hinzuarbeiten. Ziel der Zusammenarbeit mit Entwicklungshilfeorganisationen sei es jedoch, dass Schwangerschaftsabbrüche erst gar nicht nötig seien. Das Komitee von „Einer von uns“ hat derweil angekündigt, die Entscheidung der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anzufechten.