Wenn ein Patient plötzlich verstirbt, bricht für Angehörige eine Welt zusammen. Das Letzte, was sie dann brauchen, sind Sprüche wie: „Ist doch gut, dass er nicht so leiden musste.“ Wie es besser geht.
Schlechte Nachrichten hatten wir in den letzten Tagen und Wochen mehr als genug. Und auch wenn vieles von dem, was wir in den letzten Tagen lesen und ansehen mussten, uns traurig macht, gibt es schlechte Nachrichten von noch ganz anderer Tragweite. Die schlechten Nachrichten, die ich Angehörigen manchmal überbringen muss sind von diesem Kaliber.
Es kommt vor, dass ich mehrmals täglich Menschen mitteilen muss, dass der von ihnen geliebte Mensch sehr wahrscheinlich nie mehr wach werden wird. In diesem Moment bricht für die engsten Bezugspersonen eine Welt zusammen.Regelhaft gab es für sie vorher keine Gelegenheit sich zu verabschieden. Und plötzlich ist da eine große Leere. Ein trauriges, tiefes Loch und nichts daran ist gut oder wird als positiv empfunden.
Und diese Bezugspersonen, die gerade erfahren haben, dass der von ihnen so sehr geliebte Mensch möglicherweise schon bald sterben wird, kehren dann nach Hause zurück und tragen diese Trauer in ihr Umfeld zurück. Manche möchten ihren Mitmenschen einfach ihr Herz ausschütten. Manche möchten, dass ihnen jemand zuhört. Manche möchten in den Arm genommen werden. In ihrem Umfeld erleben sie dann aber oft etwas, was sehr verstörend sein kann.
Dann kommen Sprüche wie „Ist doch gut, dass er nicht so leiden musste“. Oder: „Mit den Verletzungen hätte er sehr viele Schmerzen gehabt. Das hat ihm ein langes Leiden erspart“. Oder es wird der Wert der Familie betont und dann sagen die Leute sowas wie „Ihr werdet als Familie auf ganz neue Art zusammen finden“. „Alles wird gut“ – auch so ein Klassiker. „Die Zeit heilt alle Wunden.“ „Du bist so stark, du schaffst das schon.“
Das alles sind billige Floskeln und anders als man denken könnte, dienen sie nicht primär dazu, das Gegenüber zu trösten. Das wird in der schlimmsten aller Plattitüden deutlich: „Wer weiß, wofür das gut war!“ oder in christlichen Kreisen gerne auch: „Gott hat seine Gründe.“ Sorry, aber da kann ich nur böse lachen!
Nichts, überhaupt gar nichts ist daran gut, wenn wir einen geliebten Menschen verlieren. Es zieht uns den Boden unter den Füßen weg. Nichts ist danach so wie vorher. Aber warum sagen Menschen sowas?
Der Grund ist in den meisten Fällen: Überforderung. Das Ausmaß an Leid und Traurigkeit überfordert sie. Sie brauchen einen Rettungsanker, an dem sie sich selbst wieder hochziehen können. Es geht also gar nicht um das Gegenüber, sondern diese Art von billigem Trost ist ein eher egoistisch motivierter Versuch, besser mit einer traurigen Nachricht umgehen zu können.
Genauer betrachtet wirken diese Menschen meist hilflos und überfordert. Wenn man das verstanden hat, kann man es auch besser ertragen. Diese Menschen wissen selber nicht weiter. Sie haben vielleicht nie gelernt Trauer auszuhalten. Dahinter kann auch die Angst vor einer Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit stehen. Die meisten Menschen wollen so lange wie irgend möglich vermeiden, über den eigenen Tod nachzudenken. Also wird alles beiseite geschoben, was einen ins Nachdenken darüber bringen könnte.
Auch wenn solche Phrasen in der Akutsituation verletzend sein können, weil sie empathielos wirken in einer Situation, in der man sich Verständnis wünschen würde. Zuhören, stille Anteilnahme oder einfach da zu sein, wenn das Gegenüber reden möchte – das wäre echtes Mitgefühl. Aber das erfordert eine menschliche Reife und charakterliche Stabilität, die nicht jeder hat.
Wenn ihr also eine schlechte Nachricht erhaltet und Menschen euch mit billigem Trost aufmuntern wollen – seht es ihnen nach. Sie sind überfordert. Sie wissen es nicht besser.
Für die andere Seite gilt – wenn jemand zu euch kommt und von einem traurigen Ereignis erzählt, hört einfach zu. Ihr müsst das nicht kommentieren, werten oder einordnen. Hört einfach zu. Seid einfach nur da. Versucht, auch Stille auszuhalten. Es ist völlig okay, wenn man keine passenden Worte hat. Es ist auch völlig okay zu sagen, dass man selber sprachlos ist und für das, was man da erfahren hat, keine passenden Worte hat. Oft ist zuhören meist wertvoller als sprechen.
Vermeidet leere Floskeln oder vorschnelle Ratschläge. Es wird nicht immer alles wieder gut. Und es gibt nicht in allem etwas Gutes. Wenn ein Kind vor seinen Eltern stirbt, ist das eine Vollkatastrophe. Und es wird nie wieder gut. Und auch das müssen wir lernen auszuhalten.
Bietet praktische Hilfe an, bietet Fahrten und Abholdienste von und zur Klinik an. Manche Menschen stehen so neben sich, dass sie nicht mehr selber fahren können.
Man kann auch ein paar Lebensmittel einkaufen oder für den anderen kochen –wenn man sich gut genug kennt. Ich habe von Menschen erfahren, die aus ihrem ganzen Umfeld Hilfsangebote hatten („Melde dich, wenn wir irgendwas für dich tun können“), aber die in der Trauerphase zu schwach waren um diese Hilfe zu bitten. Sie sagten, es hätte ihnen in der Phase am besten getan, wenn einfach jemand mit Essen vorbei kam und sie zusammen gegessen haben. Das ist kein allgemeingültiger und immer richtiger Ratschlag und es kann auch Menschen geben, die das vielleicht furchtbar übergriffig empfinden und nur ihre Ruhe haben wollen! Aber es soll euch eine Idee geben, wie es Menschen gehen kann, die gerade die schlimmste Zeit ihres Lebens durchmachen.
Nicht alles wird wieder gut. Es bleibt aber auch nie alles so schlimm, wie in diesem Moment der größten Trauer, wenn man den beliebtesten Menschen los lassen muss. Es kann Tage, Wochen, Monate dauern. Aber irgendwann wird es besser. Und dabei helfen Menschen, die einfach da sind. Menschen, die zuhören und geduldig der Trauer Raum geben können. Ich versuche ein solcher Mensch zu sein.
Bei Sarah von den Sarggeschichten auf Bluesky las ich mal das folgende Gedicht. Ich finde es wunderschön und vielleicht hilft es euch ja auch in einer solchen Situation:
– Jamie Anderson
Im Original: „Grief, I’ve learned, is really just love. It’s all the love you want to give, but cannot. All that unspent love gathers up in the corners of your eyes, the lump in your throat, and in that hollow part of your chest. Grief is just love with no place to go.”
Bildquelle: Shamblen Studios, Unsplash