Fast jede zehnte Frau hat einmal im Jahr eine Blasen- oder Nierenentzündung. Wann es Antibiotika braucht, was sonst noch hilft und warum Patientinnen zur Keuschheit animiert werden sollten.
So ganz genau weiß man es nicht, aber wohl an die 10 % der Frauen und 2,5 % der Männer haben einmal im Jahr eine Harnwegsinfektion. Sie ist einer der häufigsten Gründe für einen Besuch in der Praxis, ob beim Hausarzt, Gynäkologen, Urologen oder in der Notfallpraxis. Drei Viertel aller Infektionen gehen auf das Bakterium Escherichia coli zurück – wobei zu unterscheiden ist zwischen Infektion und bloßer Kolonisierung, weshalb sich der Begriff „asymptomatische Harnwegsinfektion“ verbietet.
Das ist eine der Empfehlungen der eben aktualisierten S3-Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen“, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Urologie. „Unkompliziert“ heißt hier nicht „harmlos“, sondern dass keine Anomalien, Nierenfunktionsstörungen oder anderes vorliegen, die eine Infektion begünstigen.
Das 231 Seiten starke Werk dröselt die Therapie der akuten und die Prävention der wiederkehrenden Harnwegsinfektion für sechs Patientengruppen auf:
Goldstandard der Diagnose ist die Anamnese plus Urinkultur. Wie der Urin gewonnen wird, „ist seit Jahren Gegenstand einer intensiven Debatte“, so die Autoren. Das Problem ist die Kontaminierung der Probe mit Bakterien aus der Umgebung. So steht von sechs Verfahren an erster Stelle die Punktion der Blase durch die Bauchdecke, und an letzter der zuhause abgezapfte Urin. Es geht aber auch einfacher: Die Leitlinienautoren empfehlen, Frauen schlicht zu fragen, ob sie eine Harnwegsinfektion als Ursache für ihre Beschwerden vermuten. Falls ja, „ist eine Harnwegsinfektion sehr wahrscheinlich“. Gegen eine Harnwegsinfektion sprechen vaginale Irritation oder ein auffälliger Scheidenausfluss.
Als roter Faden zieht sich durch die Leitlinie die Ermahnung, Antibiotika zurückhaltend anzuwenden und mehr auf Alternativen zu setzen. Schließlich haben Antibiotika neben den unerwünschten Wirkungen auch Folgen, die die Leitlinienautoren als Kollateralschäden bezeichnen. Gemeint ist damit vor allem die Resistenzbildung – so wirkt Ampicillin bereits bei knapp der Hälfte aller E.coli-Stämme nicht mehr. Als Faustregel gilt: Bei einer asymptomatischen Bakteriurie braucht es in der Regel gar keine Behandlung, bei einer Zystitis, einer Blasenentzündungen, sollte eine antibiotische Therapie empfohlen werden und bei einer Pyelonephritis, einer Nierenentzündung, soll man so früh wie möglich zu Antibiotika greifen sowie Schwangere eventuell stationär aufnehmen.
Zur Prävention diskutiert die Leitlinie auch etliche nicht-antibiotische Maßnahmen. Keuschheit etwa sichert Frauen nicht nur eine Poleposition an Petrus‘ Pforte, sondern auch weitgehenden Schutz vor Harnwegsinfekten – sehr häufige Genitalkontakte erhöhen das Risiko um den Faktor 60!
Das Immunprophylaktikum OM-89, ein gefriergetrocknetes Präparat aus 18 E.coli-Stämmen, sollte Frauen zur Einnahme über drei Monate angeboten werden. Zu einer ähnlichen, „tendenziell positiven“ Bewertung kam übrigens jüngst auch der IGeL-Monitor in einem eigens erstellten, knapp 60-seitigen Evidenzbericht. Neben der oralen Einnahme geht die Leitlinie ebenso auf sublingual, parenteral und vaginal verabreichte Mitteln ein. Und auch, etwas verstörend, auf eine in Studien angeblich erfolgreiche „kutane“ Immunstimulation – gemeint ist Akupunktur.
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