Bei der Therapie von Kardio-Patienten haben direkte orale Antikoagulanzien die alten Wirkstoffe inzwischen fast vollständig abgelöst. Doch ist ihr guter Ruf nur Illusion?
Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK), auch neue orale Antikoagulanzien (NOAK) genannt, haben eine Vielzahl an Indikationen. Sie werden u. a. zur Primärprävention von Thromboembolien bei Knie- und Hüftgelenksersatz (TEP) und zur Behandlung von nicht-valvulärem Vorhofflimmern bei Patienten, die einen Schlaganfall bzw. eine transistorische ischämische Attacke (TIA) hatten oder die an Herzinsuffizienz leiden, verordnet.
In aktuellen Leitlinien, etwa Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC), empfehlen Arzneimittelexperten DOAK gegenüber Vitamin-K-Antagonisten (VKA) wie Warfarin oder Phenprocoumon bevorzugt. Wenig überraschend steigt ihr Verordnungsanteil immer weiter an:
Prozentuale Veränderung der DDD (Defined Daily Dose, definierte Tagesdosis) bei DOAK/NOAK und bei Vitamin-K-Antagonisten. Quelle: GKV-Spitzenverband
Doch neue Studien zeigen, dass bei DOAK nicht alles Gold ist, was glänzt.
Bei einer groß angelegten Real-World-Studie haben Forscher Daten von Barmer-Versicherten ausgewertet. Die Patienten hatten kardiovaskuläre Vorerkrankungen. Sie erhielten aufgrund eines erhöhten Schlaganfall- bzw. Thromboembolie-Risikos DOAK bzw. Phenprocoumon. Recht überraschend war das Cumarin-Derivat im Vergleich zu modernen Antikoagulanzien mit einer geringeren Mortalität assoziiert.
Ein Blick auf die Details: Insgesamt wurden 570.137 Patienten eingeschlossen:
Bei der Auswertung zeigte sich eine signifikant höhere Gesamtmortalität unter Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban im Vergleich zu Vitamin-K-Agonisten: In der Kohorte betrug die Fünf-Jahres-Mortalität 22,7 % für Apixaban versus 12,7 % für VKA, 19,5 % für Edoxaban versus 11,4 % für VKA, 16,0 % für Rivaroxaban versus 12,3 % für VKA und 13,0 % für Dabigatran versus 12,8 % für VKA. Bei Dabigatran war der Unterschied nicht signifikant.
Die Ursachen sind unklar; Kohortenstudien dieser Art zeigen bekanntlich Assoziationen, aber keine Kausalitäten.
„Vereinfacht gesprochen hat unsere Langzeitstudie an den Daten von fast 600.000 Patientinnen und Patienten gezeigt, dass der Vitamin-K-Antagonist Phenprocoumon (Marcumar®) den NOAK in seiner Wirkung insbesondere mit Blick auf ein besseres Überleben überlegen sein könnte“, sagt Studienleiter Prof. Holger Reinecke. Er ist Direktor der Klinik für Kardiologie I am UKM (Universitätsklinikum Münster).
Auch bei der Jahrestagung der American Heart Association (AHA) 2024 ging es um DOAK, jedoch unter anderem Blickwinkel. Neue Ergebnisse der BRAIN-AF-Studie zeigen, dass Rivaroxaban bei Patienten unter 65 Jahren mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und mit geringem Schlaganfallrisiko praktisch keinen Nutzen zeigt. Bei dieser speziellen Gruppe verringerte Rivaroxaban die Häufigkeit von kognitivem Abbau, Schlaganfall oder TIA nicht.
Die Forscher wiesen insgesamt 1.235 Patienten (mittleres Alter 53 Jahre, 25,6 % Frauen) randomisiert zwei Studienarmen zu. Studienteilnehmer erhielten Rivaroxaban (15 mg täglich) oder Placebo. Bei Patienten mit Gefäßerkrankungen wurde ein Doppel-Dummy-Design eingesetzt, um sicherzustellen, dass sie entweder Rivaroxaban oder ASS bekamen, sprich nicht unversorgt waren.
Während des Beobachtungszeitraums traten ein Schlaganfall, eine TIA oder ein kognitiver Abbau als kombiniertem Endpunkt bei 130 Patienten (7,0 % pro Jahr) unter Rivaroxaban auf. Zum Vergleich: Unter Placebo waren es 126 Patienten (6,4 % pro Jahr).
Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen; die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit verkürze sich dadurch von 5,0 Jahren auf 3,7 Jahre. Das Gremium zur Datensicherheit und -überwachung hatte aufgrund des offensichtlich fehlenden Nutzens von Rivaroxaban eine Fortführung der Untersuchung als sinnlos betrachtet.
„Obwohl zahlreiche Beobachtungsstudien einen Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern und kognitivem Abbau festgestellt haben, haben wir beobachtet, dass eine Antikoagulation bei relativ jungen Erwachsenen mit Vorhofflimmern dieses Risiko nicht verringerte“, sagte die Studienleiterin Dr. Lena Rivard vom Montreal Heart Institute. Ärzten rät sie, diese Patienten zu ermutigen, auf einen gesünderen Lebensstil zu achten, etwa durch mehr Bewegung und durch Aktivitäten, die ihr Gehirn stimulieren.
Quellen
Engelbertz et al. Apixaban, edoxaban and rivaroxaban but not dabigatran are associated with higher mortality compared to vitamin-K antagonists: A retrospective German claims data analysis. J Intern Med, 2024. doi: 10.1111/joim.20006
Bavry et al. Blinded Randomized trial of Anticoagulation to prevent Ischemic stroke and Neurocognitive impairment in Atrial Fibrillation - BRAIN-AF. Presented by Dr. Lena Rivard at the American Heart Association Scientific Sessions, Chicago, IL, November 16, 2024.
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