Lange schon keinen Bürokratiewahnsinn mehr gehört? In Bayern bedroht ein geplantes Gesetz die Einsatzfähigkeit erfahrener Notfallsanitäter. Warum jetzt sogar eine Verfassungsbeschwerde ansteht, lest ihr hier.
Stell dir vor, du bist Notfallsanitäter: Du hast ein Staatsexamen absolviert, vielleicht sogar zwei Staatsexamina, denn du bist schon länger dabei und warst vorher Rettungsassistent. Dazu hast du dich fortgebildet, bist Praxisanleiter und gibst dein Wissen längst an Nachwuchskräfte weiter. Plötzlich kommt eine Gesetzesänderung: Die Ausführungsverordnung für das Bayerische Rettungsdienstgesetz (AVBayRDG) wird geändert und du darfst nicht mehr auf einem Rettungswagen eingesetzt werden. Warum? Weil du es dir irgendwann mal mit einem der bayerischen ÄLRD verscherzt hast und keine Delegationsurkunde mehr besitzt – die du gar nicht brauchst, um deinen Job zu machen. Das hört sich in deinen Ohren dystopisch an? Ist es auch, denn wir sprechen wieder mal vom bayerischen Rettungsdienst, in dem die Uhren anders ticken.
Das bayerische Staatsministerium hat sich einen neuen Streich einfallen lassen, um unter Notfallsanitätern ein Klima der Angst zu schüren und die Position des Ärztlichen Leiter Rettungsdienstes unverhältnismäßig zu stärken. Die anstehende Änderung AVBayRDG steht vor der Tür und sollte nach Stellungnahme der Führungsebenen zum 04.10.2024 bereits in ein Verordnungsverfahren geflossen sein. Der aus meiner Sicht wesentlichste Punkt: Die Einsatzfähigkeit eines Notfallsanitäters ist nach Inkrafttreten der Änderung abhängig davon, ob dieser eine gültige 2c-Delegation besitzt. Der § 6 Abs. 3 AVBayRGD soll neu dazu kommen:
„Auf Rettungswagen, die Teil der regelmäßigen Fahrzeugvorhaltung des öffentlichen Rettungsdienstes sind, sind zur Patientenbetreuung eine Notfallsanitäterin oder ein Notfallsanitäter einzusetzen, die oder der über eine wirksame Delegation des Ärztlichen Leiters Rettungsdienst (ÄLRD) im Sinn von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayRDG verfügt.“
Das bedeutet: Entzöge der bayerische ÄLRD einem Notfallsanitäter die Delegation, darf dieser nach dem Willen des StMI nicht mehr auf einem Rettungswagen eingesetzt werden – trotz gültiger Notfallsanitäterurkunde.
Der Gesetzgeber hat ursprünglich jedoch mit Inkrafttreten des § 2a NotSanG eine klare Willenserklärung ausgesprochen: Der Notfallsanitäter soll bei drohenden wesentlichen Folgeschäden und akuter Lebensgefahr das anwenden, was er in seiner Ausbildung erlernt hat und beherrscht. Eine weitere Voraussetzung ist, den Patienten im Anschluss an die Behandlung einem Arzt zu übergeben. Ob dies nun der Notarzt, ein KVB-Arzt, der Telenotarzt oder ein Krankenhausarzt ist, obliegt der Einschätzung des Notfallsanitäters.
Der Drucksache 562/20 des Bundesrates ist hinsichtlich der Auslegung zu entnehmen:
[…] § 4 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe c NotSanG betrifft gerade keine lebensrettenden Maßnahmen. Heilkundliche Maßnahmen, für die entlang eines definierten Logarithmus standardmäßig eine Delegation vorab ausgesprochen wird, die also weiterhin heilkundlich vom Arzt selbst zu verantworten sind, sind in der Regel „einfache Maßnahmen“, die in keiner Weise mit Notstandsmaßnahmen zu vergleichen sind und auch keinerlei fließenden Übergang zu diesen haben. Notstandsmaßnahmen eignen sich aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität gerade nicht für eine standardmäßige De-legation. […]
Und dennoch wird in Bayern genau hier angesetzt, als solle die Rechtsprechung in Weiß-Blau neu erfunden werden. Das erweckt nicht nur bei mir persönlich den Eindruck, dass die beabsichtigte Gesetzesänderung – ebenso wie die an eine 2a-Maßnahme geknüpfte „Notarztnachforderungspflicht“ in Bayern – möglicherweise rechtswidrig ist.
Während die rechtliche Basis für die Arbeit der Notfallsanitäter auf Bundesebene hinsichtlich § 2a NotSanG vergleichsweise klar formuliert ist, wird sie in Bayern durch diese Änderung faktisch ausgehebelt. Ein Bundesgesetz, das zur Verbesserung der Versorgungssicherheit geschaffen wurde, wird durch ein Landesrecht in seiner Wirksamkeit beschnitten. Ein Paradebeispiel dafür, wie föderale Strukturen zum Hindernis werden können. Die Novelle der AVBayRDG steht sinnbildlich für ein Grundproblem im gesamten deutschen Rettungswesen. Anstatt die Fähigkeiten der Notfallsanitäter anzuerkennen und sie mit klaren, einheitlichen Möglichkeiten auszustatten, wird ein Flickenteppich aus landesspezifischen Regelungen geschaffen. Bayern geht dabei einmal mehr einen Sonderweg mit einer Präzision, die fast an chirurgische Kaltblütigkeit erinnert.
Die Folgen dieser Änderung könnten verheerend sein: Notfallsanitäter werden aus Angst vor Repressalien dabei zögern, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen. Sie werden vielmehr wie vor zwanzig Jahren lieber einen Notarzt nachfordern, als eigenständig invasive Maßnahmen durchzuführen. Dabei ist ein Rettungsdienst, der sich nicht an den Bedürfnissen der Patienten orientiert, sondern an der Angst vor Sanktionen, schlichtweg gefährlich. Frustrierte Notfallsanitäter könnten Bayern den Rücken kehren und in anderen Bundesländern arbeiten, wo ihre Qualifikation uneingeschränkt anerkannt wird. Das wird für unsere derzeitige Personalsituation nicht gerade hilfreich sein.
Eine umfangreiche Reform des Rettungsdienstes war geplant, da mittlerweile auch ganz oben gesehen wurde, dass hier Nachholbedarf besteht. Der unterschiedlichen Fahrzeugausstattungen sollte ein Ende gesetzt werden, damit du dich als Patient nicht erst über die Landkreisgrenze schleppen musst, um ein bestimmtes Medikament oder die dazugehörige Behandlung zu erhalten. Dazu sollte der Rettungsdienst regelhaft ins Sozialgesetzbuch aufgenommen werden, damit nicht nur die Transportleistung ins Krankenhaus von den Kassen bezahlt wird. Ein „Qualitätsausschuss Notfallrettung“ sollte hier bundeseinheitlich Parameter festlegen, mit denen der Rettungsdienst deutschlandweit auf einen einheitlichen Standard gehoben wird. Ja – exakt das wäre die perfekte Lösung gewesen. Aber dann kam das Aus der Ampel. Was jetzt noch von den Reformen übrig bleibt, bleibt abzuwarten.
Da aus meiner Sicht genügend grundrechtliche Normen (Gleichheitsgrundsatz, Berufsfreiheit) verletzt werden, wird die Ausschöpfung des Rechtsweges nicht ausbleiben. Auch Verfassungsbeschwerden stehen an.
Die imaginierte Dystopie ist leider keine Fiktion mehr. Sie zeichnet ein beunruhigend scharfes Bild dessen, was sich im bayerischen Rettungsdienst in aller Stille zusammenbraut. Mit der geplanten Änderung der AVBayRDG wird nicht nur der Handlungskorridor der Notfallsanitäter beschnitten, sondern ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, der weite Kreise ziehen könnte – ein Seismograf für die Zukunft des bayerischen Rettungswesens.
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney.