„Gibt es da keine pflanzliche Alternative?“ Diese Frage fällt in Praxen ständig. Doch oft wissen Patienten nicht, wo der Unterschied zwischen Phytopharmaka und Hokuspokus liegt – das kann gefährliche Folgen haben. Wie ihr richtig beratet.
Wer nicht gleich mit jedem Husten zum Hausarzt läuft, versucht sich gerne selbst zu therapieren. Neben Ibuprofen und Paracetamol nutzen viele gerne Tees, warme Wickel und ein buntes Potpourri aus Pflanzenpräparaten aus Apotheke und Drogeriemarkt. Immerhin setzten 2023 fast 19 Millionen Deutsche auf die Verwendung von Naturheilmitteln. Doch wissen eure Patienten, was sie dabei zu beachten haben?
Dass Pflanzen pharmakologisch ordentlich was zu bieten haben, steht außer Frage – schließlich stehen sie mit ihren Inhaltsstoffen häufig Modell für synthetisch produzierte Arzneimittel (bestes Beispiel: Atropin) oder werden in Form von Extrakten zur Behandlung von Beschwerden verwendet.
Ihre Heilwirkung verdanken Pflanzen denen in ihnen enthaltenen Flavonoiden, ätherischen Ölen und anderen sekundären Pflanzenstoffen. Werden diese etwa in Extrakten konzentriert, wirken sie teils zuverlässiger als so manches synthetische Medikament. Kein Wunder also, dass es einige von ihnen sogar bis in Therapieleitlinien geschafft haben. Darunter zählen unter anderem etwa ein Extrakt aus Ginkgo biloba, der bei leichter bis mittelgradiger Demenz eingesetzt werden kann (S3-Leitlinie „Demenz“) oder Kombipräparate aus Efeu und Thymian bei Bronchitis (Leitlinie der DGP).
Phytopharmaka sind also eine echte Alternative zu so manchem Medikament. Sie unterliegen außerdem auch dem Arzneimittelgesetz und werden daher vor ihrer Zulassung auf ihre Unbedenklichkeit und Qualität geprüft.
Die Schlange in der Apotheke war Herr Richter zu lang, schließlich wartet zu Hause das kranke Kind. Macht doch nichts – schließlich gibt es Kräuter-Präparate für starke Bronchien auch in der Drogerie. Im gleichen Regal findet er außerdem noch ayurvedische Mittelchen gegen Erkältungen sowie etliche Erkältungstees – das kann ja nicht schaden und ist ohnehin rein pflanzlich. Was er nicht weiß: Dabei begeht er gleich zwei Fehler.
Die Präparate, die Herr Richter in der Drogerie kauft, unterliegen anderen Richtlinien und Qualitätskontrollen. Nahrungsergänzungsmittel (NEM) fallen nämlich unter die Lebens- und nicht Arzneimittel. Doch viele Käufer von NEM sind sich dessen nicht bewusst, ebenso wenig wie deren potenzielle Gefahren.
Während sich die Dosierung von Wirkstoffen in Phytopharmaka in der Regel an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, scheint es häufig, als wäre diese in NEM gewürfelt. Zwar gibt es auch viele sinnvoll dosierte Präparate – doch auch über- oder unterdosierte Wirkstoffe sind keine Seltenheit. Patienten, die keine Ahnung von richtigen Tagesmengen haben, greifen hier häufig blind zu.
Das ist nicht nur ein Problem, wenn es um die Wirkstoffe geht, sondern auch für unerwünschte Nebenprodukte – die Rede ist von Pyrrolizidinalkaloiden (PA). Diese sekundären Pflanzenstoffe werden von vielen Gewächsen zum Fraßschutz gebildet und sind nicht nur für Insekten ungenießbar. Bereits in kleinen Mengen kann die Aufnahme der Alkaloide Leber, Herz und Nieren beeinträchtigen und bei regelmäßigem Konsum möglicherweise Krebs verursachen.
Aufgrund der potenziellen Gefahr für die Gesundheit gibt es seit 2022 neue Grenzwerte für in der EU verkaufte Lebensmittel und Medikamente.
Der Grenzwert für Medikamente wurde auf 0,0237 µg PA/kg Körpergewicht pro Tag festgelegt (1,0 µg/50 kg) und wird auf die empfohlene Tagesdosis eines Präparats gerechnet. Heißt: Wenn pro Tag drei Tabletten eingenommen werden müssen, darf der PA-Gehalt von drei Tabletten insgesamt nicht 1,0 µg überschreiten (bei 50 kg Körpergewicht).
Anders ist das jedoch bei NEM, die als Lebensmittel gelten. Hier werden Grenzwerte nicht auf die Tagesdosis gerechnet, sondern auf das Gewicht eines Produktes. Pfefferminztee darf etwa 400 µg PA pro Kg enthalten. Ein Beutel dieses Tees kann also bis zu 0,8 µg PA enthalten – einen Warnhinweis, dass pro Tag nur ein Beutel verzehrt werden sollte, gibt es jedoch nicht. Das gleiche gilt auch für Tabletten oder Essenzen mit Kräuter-Extrakten. Die EU-Grenzwerte beziehen sich lediglich auf das Gesamtgewicht der NEM, nicht auf die eigentliche Verzehrmenge.
Auch Ayurveda setzt unter anderem auf die Heilkraft von Pflanzen und ihren Inhaltsstoffen. Sie hat jedoch gegenüber NEM einen Vorteil: Für viele Präparate werden z. B. Pflanzensäfte fermentiert. Durch die Fermentation kann die Konzentration von PA teilweise gesenkt werden. Sind also Pflanzen-Extrakte nach ayurvedischer Zubereitung die bessere Wahl? Kurz und knapp: Nein! Denn auch die ayurvedische Medizin orientiert sich nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern braut ihre Mittelchen ganz frei nach dem Motto „das haben wir schon immer so gemacht“ oder „das hat bisher noch keinem geschadet“. Doch insbesondere letzteres trifft nicht zu.
Ein großer Bestandteil von Ayurveda ist die Metallopharmakologie, wobei vor allem auf das Schwermetall Quecksilber gesetzt wird. In Kombination mit verschiedensten Pflanzen-Extrakten soll das Quecksilber die Heilwirkung verstärken und als Katalysator wirken. Bei der Herstellung durchläuft das Schwermetall verschiedene „Reinigungsschritte“, um es unschädlich zu machen. Dass diese Mittel dadurch nicht mehr toxisch sind, wird jedoch vor allem von Befürwortern der ayurvedischen Medizin bestätigt. Zwar sind in Deutschland grundsätzlich Präparate, die Schwermetalle in einer kritischen Konzentration enthalten, verboten, doch dank Internet und Auslandsreisen gelangen auch nicht-zugelassene Präparate nach Deutschland. In anderen Ländern gab es in der Vergangenheit bereits Fälle von Bleivergiftungen durch ayurvedische Mittel.
Zwar ist die Metallopharmakologie nicht das einzige Standbein von Ayurveda, ob man aber einer Heilkunst vertrauen möchte, die absichtlich Quecksilber in ihren Präparaten verwendet, muss jeder für sich selbst entscheiden. Außerdem variiert die Qualität der Präparate stark nach Anbieter und auch die Dosierung folgt keinen wissenschaftlichen Standards.
Pflanzen haben’s in sich! Wirkstoffe aus Pflanzen können so manche Symptome und Beschwerden lindern, aber im schlimmsten Fall auch neue auslösen. Denn wenn es um pflanzliche Präparate geht, richten sich viele nach dem Glaubenssatz „viel hilft viel“. Klärt darum eure Kunden und Patienten über potenzielle Risiken auf und ratet zu geprüften Arzneimitteln – denn die Dosis macht bekanntlich das Gift.
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