Atemnot, Schmerzen und Übelkeit wirksam lindern – das stellt Palliativmediziner oft vor Herausforderungen. Nun gibt es neue Ansätze, die Versorgung zu verbessern. Ein Überblick.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Was gibt es Neues in der Forschung zu Palliativmedizin, insbesondere zu den Themen Dyspnoe, Schmerz und Übelkeit? Und was sollte in diesen Bereichen verbessert werden? Damit befasste sich ein Vortrag von Dr. Vera Peuckmann-Post auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) in Kassel. Sie ist Fachärztin an der Klinik für Anästhesiologie und am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Universitätsklinikums der RWTH Aachen und neu gewählte Sprecherin des wissenschaftlichen Arbeitskreises Palliativmedizin der DGAI und des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten e.V. (BDA). In ihrem Vortrag stellte die Expertin verschiedene Studien aus den letzten 12 Monaten vor.
„Dyspnoe, also Atemnot, Schmerzen und Übelkeit sind in der Palliativmedizin häufig und können für die Patienten sehr belastend sein“, sagt Peuckmann-Post. „Daher ist es sehr wichtig, diese Symptome angemessen zu behandeln.“ Für Atemnot gebe es eine hilfreiche SOP (Standard Operating Procedures), die nicht-pharmakologische und pharmakologische Maßnahmen in einem Handlungsschema zusammenfasst. Wichtige nicht-pharmakologische Maßnahmen sind demnach, den Patienten zu beruhigen und selbst ruhig zu bleiben, den Patienten zum „Kutschersitz“ – aufrecht und mit breiten Beinen sitzen – anzuleiten oder ihn mit einem Handventilator zu versorgen. „Das Besondere dieser SOP ist, dass bei Atemnot die Gabe von Opioiden – oder bei Angst auch von Benzodiazepinen – unmittelbar nach der Aufnahme eines Patienten mit Atemnot empfohlen wird“, erläutert die Fachärztin für Anästhesie, Palliativmedizin und Spezielle Schmerztherapie. „Somit stehen hier die Symptomlinderung und das Leid des Patienten im Vordergrund und sie stehen auch vor einer Abklärung von Ursachen und Grunderkrankung.“
In der gerade abgelaufenen S3-Leitlinie „Palliativmedizin“, die aktuell überarbeitet wird, würden zur Behandlung von Atemnot bei Krebspatienten Opioide und bei Angst oder Unruhe auch Benzodiazepine klar empfohlen. „Allerdings wurde diese Leitlinie prinzipiell nur für Patienten mit onkologischen Erkrankungen verfasst“, sagt Peuckmann-Post.
Eine aktuelle Metaanalyse kam jedoch zu dem Ergebnis, dass es bei Patienten mit Herzversagen keine klare Evidenz zum Nutzen von Opioiden bei Atemnot gab – außerdem traten vermehrt Nebenwirkungen auf. „Das bedeutet, dass man in Zukunft in Studien und in der Praxis genauer hinschauen sollte, um welche Ursache der Atemnot es sich handelt, in welcher Situation sich die Patienten befinden und ob Opioide nach Standardschema oder bedarfsorientiert gegeben werden“, betont die Expertin. „Außerdem ist aus meiner Sicht die individuelle Titration eines kurz wirksamen Opioids der Schlüssel zu einer sicheren Therapie ohne relevante Atemdepression.“ Weiterhin sollten körperliche Ursachen der Atemnot abgeklärt und entsprechend behandelt werden. „Wichtig ist auch, die physiologischen Mechanismen bei Atemnot und die Wirkmechanismen von Opioiden bei Dyspnoe genauer zu erforschen – denn diese sind bisher weitgehend unbekannt“, sagt Peuckmann-Post.
Ein weiteres aktuelles Thema in der Anästhesie sei das Konzept der Prähabilitation. Es zielt darauf ab, Patienten vor einer Operation in einen möglichst guten Allgemeinzustand zu bringen, um ein gutes Outcome zu erzielen – etwa, indem der Blutdruck gut eingestellt, die Ernährung verbessert und Ausdauer und Muskelkraft durch Physiotherapie gestärkt werden. „All das ist nicht prinzipiell neu, findet in der Anästhesie aber in Form eines standardisierten und patientenorientierten Konzeptes immer mehr Beachtung, auch wenn klare Empfehlungen – insbesondere für Patienten mit palliativem Bedarf – bislang fehlen“, berichtet die Expertin. „Mit dem Fokus Atemnot habe ich mir daher in einem aktuellen Review zum Thema Prähabilitation angesehen, welche Studien den Bereich Palliativmedizinin adressieren könnten.“
So kam eine Studie mit Lungenkrebs-Patienten, die als nicht operabel galten und unter Atemnot litten, zu dem Ergebnis, dass sich ihr Zustand durch eine zwei- bis vierwöchige Intervention deutlich verbesserte. Diese umfasste ein Atemtraining, Gesundheitsberatung – etwa zum Rauchstopp – und pharmakologische Maßnahmen. „43 % der Patienten konnten anschließend operiert werden“, sagt Peuckmann-Post. „Das ist schon ein beeindruckendes Ergebnis.“
Das Review zur Prähabilitation bei Lungenkrebs-Patienten kommt jedoch zu dem Fazit, dass es bisher keine standardisierten Prähabilitationsprogramme gibt. „Es fehlen bisher Daten dazu, welche Komponenten ein solches Programm enthalten sollte, wie lange es dauern sollte und für welche Patienten es sich eignet. Für Palliativpatienten in anästhesiologischer Betreuung müsste man das Konzept noch ganz neu denken“, fasst Peuckmann-Post zusammen. „Weiterhin betonen die Autoren, dass auch die Bedürfnisse, Werte und Ziele der Patienten berücksichtigt werden sollten.“
Im Sinne einer patientenorientierten Versorgung untersuchte auch eine qualitative Studie Belastungen und Bedürfnisse bei COPD-Patienten mithilfe des Interview-Instruments PRO Pall. „Das wesentliche Ergebnis war, dass das Instrument die Kommunikation zwischen Patienten und Gesundheitspersonal deutlich verbesserte“, berichtet die Fachärztin. „Mithilfe des Interviews konnten die Patienten bisher nicht geäußerte Sorgen und sensible Themen ansprechen. Das ermöglichte es dem Gesundheitspersonal, mit ihnen über diese Themen ins Gespräch zu kommen.“ Wichtig sei dabei, dass das medizinische Personal auch den Mut und die Zeit habe, sich auf Antworten der Patienten einzulassen.
Seit der Opioidkrise in den USA wird die Anwendung von Opioiden auch in der Anästhesie kritischer diskutiert. Hier stellte Peuckmann-Post Studien zu Fragen vor wie: Wie häufig bestehen Schmerzen bereits vor einer Tumordiagnose? oder: Wie kann man in der Palliativmedizin mit nicht-medizinischem Opioidgebrauch umgehen?
Laut einem aktuellen systematischen Review sind Nicht-Tumor-Schmerzen bei Palliativpatienten relativ häufig: 14 bis 34 % berichteten über nicht tumorbedingte chronische Schmerzen und 54 % hatten zusätzlich Tumorschmerzen oder Schmerzen durch die Krebsbehandlung. „Krebsschmerzen werden häufig nicht ausreichend behandelt“, betont Peuckmann-Post. „Die Studien machen deutlich, dass man bei Palliativpatienten gut auf Schmerzen achten und für jeden Patienten individuell überlegen sollte, wie man mit ihnen umgehen kann.“ Gleichzeitig ergab eine Metaanalyse, dass die Prävalenz eines Opioid-Fehlgebrauchs bei Krebspatienten bei 6 bis 84 % liegt. „Da die Versorgung von Patienten mit Opioid-Fehlgebrauch aufwendig ist, wird hier zunehmend das Konzept des Opioid-Stewardship diskutiert“, berichtet Peuckmann-Post.
Eine spezialisierte palliativmedizinische Versorgung bei stationären Patienten konnte hingegen innerhalb kurzer Zeit mit hoher Zufriedenheit Krebsschmerzen lindern, wie eine weitere Studie zeigte. „Das macht deutlich, wie wichtig das rechtzeitige Hinzuziehen eines spezialisierten palliativmedizinischen Teams ist“, betont die Fachärztin.
Zum Thema Übelkeit gebe es nur wenig neue Publikationen. „Eine Phase-III-Studie aus Indien mit Tumorpatienten ergab, dass Olanzapin – in Kombination mit weiteren Antiemetika – bei einer vorbeugenden Behandlung von Übelkeit und Erbrechen während einer Chemotherapie in niedriger Dosierung von 2,5 Milligramm genauso wirksam war wie in höherer Dosierung von 10 Milligramm“, erläutert Peuckmann-Post. „Eine aktuell publizierte SOP zu Übelkeit und Erbrechen bei Palliativpatienten in der Onkologie gibt hilfreiche Empfehlungen zum Thema.“
Da Krebspatienten laut den Autoren einer amerikanischen Studie immer wieder nach „medizinischen Pilzen“ als Ergänzung zu ihrer Standardtherapie fragen würden, publizierten sie dazu ein systematisches Review. Es wurden 39 klinische Studien einbezogen und ausgewertet, ob die ergänzende Gabe medizinischer Pilze in verschiedenen Aufbereitungen als Supplementierung bei Krebspatienten die Überlebenszeit verlängern und die Lebensqualität verbessern kann. „Dabei wurden zwar leichte positive Effekte, etwa eine verbesserte Lebensqualität und eine günstige Beeinflussung des Immunsystems gefunden“, berichtet die Expertin. „Allerdings waren die meisten Studien klein und die Autoren kamen zu dem Fazit: Die Evidenz ist bisher zu gering, um ‚medizinische Pilze‘ als Medikation bei Krebspatienten zu empfehlen.“
Schließlich stellt sich die Frage, wie eine gute palliativmedizinische Versorgung im Gesundheitssystem aussehen müsste. „Hier ist es wichtig, stets die individuellen Wünsche, Bedürfnisse und Ziele der Patienten zu berücksichtigen“, betont Peuckmann-Post. Palliativmedizin könnte auch dazu beitragen, kostspielige Übertherapien zu vermeiden, über die kürzlich in einer Studie zu mechanischer Beatmung berichtet wurde.
Umfragen in der Anästhesie machten Herausforderungen deutlich. „So besteht bei Anästhesisten teils Unsicherheit mit Blick auf palliativmedizinischen Situationen, etwa bei der Gabe von Opioiden“, berichtet die Fachärztin. „Zudem vermissten befragte Experten in einer weiteren Umfrage Ausbildungsinhalte und sahen Verbesserungsbedarf bei der Kommunikation.“ Hinsichtlich der Strukturen im Gesundheitssystem gebe es aktuell verstärkt Initiativen, die Palliativmedizin stärker in die Akutmedizin zu integrieren und eine rechzeitige, sektoren- und fachübergreifende palliativmedizinische Versorgung für alle Patienten zu ermöglichen, die sie benötigen. „Da ist zum Teil auch die Politik gefragt“, so Peuckmann-Post.
Zusammenfassung für Eilige:
Atemnot: In der Palliativmedizin werden Opioide und Benzodiazepine zur Linderung von Atemnot empfohlen, wobei individuelle Titration und die Abklärung körperlicher Ursachen essenziell sind. Studien zeigen gemischte Ergebnisse, insbesondere bei nicht-onkologischen Patienten.
Schmerzen: Chronische Schmerzen sind bei Palliativpatienten häufig und erfordern spezialisierte Versorgung. Opioid-Fehlgebrauch ist ein wachsendes Problem, weshalb das Konzept des „Opioid-Stewardship“ diskutiert wird, um Missbrauch zu minimieren und effektive Schmerztherapie sicherzustellen.
Übelkeit: Studien zeigen, dass niedrige Dosierungen von Olanzapin in der Chemotherapie wirksam sind. Ergänzende Therapieansätze wie medizinische Pilze sind noch nicht ausreichend belegt, weshalb deren Einsatz in der Palliativmedizin derzeit nicht empfohlen wird.
Quellen:
Rosenbruch et al. SOP – Atemnot bei erwachsenen Palliativpatienten. Onkologie, 2024. doi: 10.1007/s00761-024-01475-5
S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung
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Peuckmann Post et al. Palliativmedizin: Welche Rolle können und wollen wir in der Anästhesiologie für uns einnehmen? Eine Umfrage unter Mitgliedern des gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeitskreises Palliativmedizin des BDA und der DGAI. Anästh Intensivmed, 2024. doi: 10.19224/ai2024.280
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