Der Hype um Semaglutid reißt nicht ab. Aktuell angesagt sind Mikrodosierungen des Wirkstoffs – doch was können die?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Noch sieht es so aus, als sei die Mikrodosierung von GLP-1-Agonisten (Glucagon-like Peptide-1-Agonisten) in Deutschland bislang noch kein weit verbreitetes Konzept. Selbstverständlich sind die Verordnung und Anwendung von Arzneimitteln immer an die zugelassene Indikation gebunden, und das betrifft das Anwendungsgebiet und die Dosierung. Das hindert aber experimentierfreudige Patienten und Ärzte nicht immer daran, andere Dosierungen auszuprobieren, insbesondere wenn vernünftige Gründe für eine solche – offiziell „Off-Label“ genannte –Anwendung sprechen. Gerade wenn es um niedrigere als die empfohlenen Dosierungen geht, könnte man ja eigentlich nichts falsch machen, oder?
Eine neue Welle scheint sich in den USA auszubreiten – und es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis diese Welle auch Deutschland erreicht: Selbst wenn tatsächlich eine diagnostizierte Adipositas vorliegt, werden signifikant niedrigere Mengen von Medikamenten verabreicht. Die Hoffnung ist, Pfunde zu verlieren und gleichzeitig Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Obstipation, gelegentlich Pankreatitis) zu vermeiden. Auf Social-Media-Plattformen wie Reddit und TikTok veröffentlichen User ihre persönlichen Dosierungspläne und teilen ihre angeblichen Ergebnisse. Aber funktioniert das wirklich?
Ein Blick auf den Zulassungsstatus:
Unter dem Handelsnamen Ozempic® ist Semaglutid zur Injektion von 0,25 bis 2 mg pro Injektion im Fertigpen zur Therapie von Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen. Da die Dosierung per Injektion durch einen Fertigpen nicht verändert werden kann, stünde als Mikrodosierung lediglich die Initialdosis von 0,25 mg einmal wöchentlich (oder seltener) zur Verfügung. Ähnlich verhält es sich mit Wegovy® zur Indikation Gewichtsabnahme.
Tabletten gibt es als Rybelsus® von 1,5 bis 14 mg/Tablette. Die Anfangsdosis beträgt 1,5 mg einmal täglich. Eine Mikrodosierung wäre damit möglich, zum Beispiel nur eine Tablette pro Woche.
Zur Blutzuckerkontrolle und zur Senkung des HbA1c-Spiegels werden niedrigere Semaglutiddosen (z. B. 0,25 mg oder 0,5 mg wöchentlich) für Patienten empfohlen, die mit der Einnahme beginnen oder bei denen Bedenken hinsichtlich der Verträglichkeit bestehen.
Während höhere Dosen (z. B. 2,4 mg wöchentlich) bei Adiposität zugelassen sind, wurden in Studien auch niedrigere Dosen erforscht. In der SUSTAIN Studie zur Beurteilung kardiovaskulärer Ereignisse fand sich hinsichtlich der Verträglichkeit bei 3.297 Patienten für 104 Wochen allerdings kein eindeutiger Unterschied zwischen der 0,5 mg und der 1,0 mg Gruppe. In einer wesentlich kleineren Studie über die 26-wöchige orale Anwendung von 3 mg, 7 mg oder 14 mg Semaglutid deutete sich eine Dosis-Wirkungsbeziehung hinsichtlich gastrointestinaler Nebenwirkungen zum Vorteil der niedrigen Dosis an (1,7 vs. 4,0 vs. 5,1%).
Bezüglich des Potenzials, kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit Diabetes oder Fettleibigkeit zu reduzieren, müssen noch entsprechende Langzeitstudien durchgeführt werden. Theoretisch können auch niedrigere Dosen kardiovaskuläre Vorteile bringen und gleichzeitig gastrointestinale Nebenwirkungen reduzieren.
Natürlich haben bereits verschiedene Gesundheits-Influencer die Möglichkeit ergriffen, im Internet für die Mikrodosierung von Ozempic® zu werben. Dabei wird die Mikrodosierung nicht nur für die Gewichtsabnahme angepriesen, sondern auch zur Behandlung einer Reihe von Beschwerden, darunter Bluthochdruck, Autoimmunerkrankungen und Gehirnnebel („brain fog“, z. B. nach Covid-19). Spezielle Online-Kurse mit Ratschlägen zur Mikrodosierung kosten mehr als 2.000 Dollar (auf eine Quellenangabe verzichte ich in diesem Fall, um diesen selbsternannten Experten, die oft nicht einmal eine medizinische Ausbildung haben, keine weitere Plattform zu bieten).
Die Frage bleibt also zunächst offen: Ist die Mikrodosierung ein Trick oder funktioniert sie wirklich?
Theoretisch sind GLP-1-Agonisten so wirksam, dass vielleicht sogar kleine Dosen den Hunger zügeln könnten, und viele individuelle kasuistische Beobachtungen stützen diese Hypothese.
Viele, die online für die Mikrodosierung werben, behaupten, dass die kleinen Dosen ausreichen, um ein paar Pfund abzunehmen und ihren Heißhunger zu stillen. Andere behaupten, dass Mikrodosierung ihnen hilft, das Gewicht zu halten, das sie durch die Einnahme von Standarddosen von Medikamenten zur Gewichtsabnahme verloren haben.
Die neuen Diabetes- und Gewichtsverlustmedikamente folgen einem Titrationsplan: Patienten beginnen mit einer niedrigen Dosis und steigern diese dann über mehrere Wochen hinweg zu höheren Mengen. Es gibt jedoch nur sehr wenige Daten, die darauf hindeuten, dass die Einnahme noch kleinerer Dosen (z. B. 0,05 Milligramm im Vergleich zu einer standardmäßigen Anfangsdosis von 0,25 Milligramm Ozempic®) zu Gewichtsverlust führen oder dabei helfen kann, dieses Gewicht zu halten.
Natürlich kann auch ein Placeboeffekt nicht ausgeschlossen werden, wenn sich Mikrodosierer möglicherweise ermutigt fühlen, ihren Lebensstil zu ändern – was wiederum zu Gewichtsverlust führen kann. Ob das Resultat durch Verhaltensänderung oder durch pharmakologische Effekte herbeigeführt wird, wäre dann eher eine akademische Frage; eher unerheblich für die Anwender, solange eine ausreichende Sicherheit und Verträglichkeit besteht.
Offiziell sind Off-Label-Anwendungen, einschließlich Mikrodosierungen, möglich, jedoch nur nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Arzt. Auf eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse sollte man dann eher nicht hoffen, besonders wenn keine klare medizinische Indikation vorliegt (z. B. Diabetes oder Adipositas ab einem BMI von ≥30 oder ≥27 mit Begleiterkrankungen).
Gewarnt werden muss vor Nachahmerprodukten oder gefälschten Medikamenten, die in großer Zahl über das Internet erhältlich sind. Derzeit gibt es keine zugelassenen Generika, die Semaglutid enthalten. Die Patentexklusivität erlischt voraussichtlich um 2032–2035.
Zusammenfassung für Eilige:
Trend und Verbreitung: Mikrodosierung von Semaglutid ist ein aufkommender Trend, besonders in den USA. Sie wird auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Reddit stark beworben.
Wirksamkeit und Studienlage: Niedrigere Dosierungen könnten theoretisch Hunger zügeln und Nebenwirkungen reduzieren, aber die wissenschaftliche Datenlage ist begrenzt. Studien zeigen teilweise Vorteile, aber klare Beweise fehlen.
Risiken: Off-Label-Nutzung ist nur nach ärztlicher Abwägung sinnvoll. Es besteht das Risiko von Fälschungen und fehlender Kostenübernahme durch Krankenkassen, insbesondere ohne medizinische Indikation.
Bildquelle: Gabriella Clare Marino, Unsplash