Kaum ist der Arzneimittelreport der Barmer GEK erschienen, geht das Gezanke zwischen Kassen, Ärzten und Pharmaherstellern los. Wie jedes Jahr geht es dabei vor allem um eines: Geld.
Die Krankenkassen würden gern sparen. Vor allem die teuren, patentgeschützten Mittel sind ihnen ein Dorn im Auge. Da ist der neue Arzneimittelreport der Barmer GEK ein guter Anlass, um über Geld zu sprechen. Denn immer wieder schaffen es Mittel auf den Markt, die zwar neuartig sind, die Versorgung der Patienten jedoch nicht wirklich verbessern. Häufig wurden die Moleküle der Wirkstoffe einfach leicht verändert, denn so erhalten die so genannten Me-too-Mittel trotzdem einen Patentschutz. Und das können sich die Unternehmen bezahlen lassen. Nach der Auswertung der Barmer GEK flossen 2013 etwa elf Prozent ihrer Ausgaben in die Finanzierung solcher Medikamente, rund 440 Millionen Euro. Dabei machen sie weniger als fünf Prozent der verschriebenen Packungen aus. „Die Kassen zahlen für Arzneimittel mit zweifelhaftem Nutzen“, sagte Deutschland bekannteste Verordnungs-Sirene, Gerd Glaeske, vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen. Zusammen mit seinen Kollegen wertete er die Daten von rund neun Millionen Versicherten aus und suchte nach Kostentreibern. Pro Packung kosteten Scheininnovationen im Schnitt fast 126 Euro, so Glaeske. Bei Generika, die man genauso gut einsetzen könne, komme man gerade mal auf 24 Euro. Würde man häufiger auf Nachahmer setzen, ließen sich allein bei der Barmer etwa 220 bis 250 Millionen Euro sparen.
Eigentlich soll das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes AMNOG verhindern, dass Medikamente, die keinen oder kaum einen Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Standard-Therapie bieten, für deutlich mehr Geld verkauft werden. Daher dürfen seit 2011 nur Medikamente, die mehr leisten, auch mehr kosten. Neu zugelassene Arzneimittel sollen nun innerhalb von drei Monaten nach der Markteinführung mit einer "zweckmäßigen Vergleichstherapie" verglichen werden. Der Hersteller muss ein Dossier abgeben, in dem alle ihm bekannten Studien zu dem Medikament enthalten sein sollen. Bewertet wird das Dossier innerhalb von drei Monaten in der Regel durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) selbst, dem mächtigsten Gremium von Ärzten, Kassen und Krankenhäusern oder durch das IQWIG, dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Nach weiteren drei Monaten soll der G-BA seinen Beschluss zum Zusatznutzen fassen. Danach richtet sich dann auch der Preis des Medikaments. Dass längst nicht jede Neuheit besser ist, zeigt auch die Auswertung des G-BA: Nur knapp jedes fünfte der bislang geprüften Medikamente hat einen bedeutenden Mehrwert für die Patienten. Bei 23 Medikamenten fanden die Prüfer einen geringen, bei sechs einen nicht bestimmbaren Zusatznutzen gegenüber den gängigen Arzneimitteln. Gar keinen Vorteil sahen die Prüfer bei 27 Mitteln. In einigen Fällen wurden Arzneimittel untersucht, die bereits vor dem 1. Januar 2011 zugelassen worden sind – Gliptine etwa, Medikamente zur Behandlung von Diabetes Mellitus Typ 2. Bei zwei Wirkstoffen gab es Hinweise auf einen "geringen Zusatznutzen" gegenüber der Standardtherapie. Ein Wirkstoff zeigte gar keine Vorteile gegenüber der Standardtherapie.
Nach dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung ist mit der Bewertung von älteren Medikamenten nun jedoch Schluss – die Liste des G-BA mit 25 zu untersuchenden Wirkstoffen, landet im Papierkorb. „Das Verfahren jetzt wieder zu beenden, erschwere die unabhängige Information von Ärzte und Patienten“, sagte der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Wolf-Dieter Ludwig. Aufgabe der AkdÄ ist es, die Bundesärztekammer zu Fragen rund um Arzneimittel zu beraten. Dazu gehören vor allem auch Hinweise auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Da wundert es nicht, dass auch sie sich zu Wort meldet. Ludwig appellierte an die Bundesregierung, am Bestandsmarktaufruf für Arzneimittel festzuhalten: „Die Nutzenbewertung für bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittel ist für eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung unentbehrlich.“ Die Barmer GEK, die ein finanzielles Interesse an der Neubewertung der Medikamente hat, würde am liebsten noch weiter gehen. Die Mittel würden dann ein weiteres Mal überprüft werden, wenn sie schon länger auf dem Markt sind und es so mehr Daten zu Nebenwirkungen und Nutzen gibt. "Erkenntnisse aus dem Versorgungsalltag“ sollten in die Bewertung einfließen, fordert Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK. Allein steht er mit dieser Meinung nicht. Tatsächlich wurde von Experten schon häufiger kritisiert, dass bei einer so frühen Prüfung kaum gesicherte Angaben darüber vorliegen, wie sich das Mittel im Alltag auswirkt.
Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) kann diesem Vorstoß natürlich nichts abgewinnen. Sie fürchtet um ihre Absätze und wirft der Kasse Stimmungsmache vor: „Der Spitzenverband der Krankenkassen wird immer versuchen, den Wert von neuen Medikamenten gering zu schätzen, weil das seine Position für die Preisverhandlungen stärkt", sagte Birgit Fischer, die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen. Eine weitere Hürde würde darauf hinaus laufen, „dass Patienten noch länger als heute auf Neuerungen warten müssten“. Es ist nicht lange her, da hat Fischer noch ganz anders argumentiert. Von Januar 2010 bis Mai 2011 arbeitete sie als Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK.