Bei Patienten mit Rückenschmerzen und allgemeinem Krankheitsgefühl unklarer Genese sollten Orthopäden an eine Infektion der Wirbelsäule denken. Dank bildgebender Verfahren entdecken sie weitaus mehr Erkrankungen als früher – teilweise auch nosokomialen Ursprungs.
Bei einer Spondylodiszitis entzünden sich Bandscheiben nebst benachbarter Wirbelkörpern. Als Auslöser haben Wissenschaftler Bakterien identifiziert, oft ist Staphylococcus aureus der Verursacher. Die Eintrittspforte entsprechender Keime befindet sich meist wirbelkörperfern. Daneben können rheumatische Erkrankungen eine Spondylodiszitis hervorrufen. Orthopäden finden entsprechende Hinweise durch bildgebende Verfahren wie der Kernspin- und Computertomographien sowie durch neurologische Tests. Gegebenenfalls werden CT-gestützte Biopsien angefertigt und untersucht. Alternativ kommen Blutkulturen infrage.
Nach gesicherter Diagnose inklusive Bestimmung von Resistenzen der Erreger verabreichen Ärzte sechs Wochen bis drei Monate lang Antibiotika: anfangs intravenös, später oral. Ergänzend zur Pharmakotherapie erhalten Patienten eine Rumpforthese und werden sofort mobilisiert. Das reicht nicht immer aus: Als Indikationen zur notfallmäßigen OP gelten eine Sepsis, neurologische Ausfälle, Instabilitäten oder starke Schmerzen. Dann schlägt die Stunde der Chirurgen. Diese entfernen betroffene Bandscheiben und blocken benachbarte Wirbelkörper. Parallel werden sie versuchen, Erreger nachzuweisen. Im Vergleich zur konservativen Therapie führt die Kombination von Debridement und instrumenteller Stabilisierung rasch zum Behandlungserfolg. Ein- oder zweistufige Operationsstrategien werden in der Literatur kontrovers diskutiert, da momentan nur Studien mit kleinen Patientengruppen vorliegen. Ansonsten werfen Spondylodiszitiden Betroffene für Monate aus der beruflichen und familiären Bahn. Liegen größere Defekte gepaart mit hohen Operationsrisiken vor, bleiben nur sechs bis acht Wochen Bettruhe. Auch berichten Orthopäden, dass sich Erkrankungsraten vermeintlich erhöhen. Ein genauerer Blick hinter die Kulissen lohnt sich durchaus.
Jetzt befassten sich Forscher unter Leitung von Michala Kehrer, Odense, mit diesem Thema. Sie untersuchten Daten aus der dänischen Region Fünen. Innerhalb von rund zehn Jahren stieg die Rate an Spondylodiszitiden von 2,2 auf 5,8 pro 100.000 Personenjahre. Zeitgleich veränderten sich positive Staphylococcus aureus-Befunde von 1,6 auf 2,5 pro 100.000 Personenjahre – dieser Keim war mit Abstand der häufigste Auslöser. Je nach Studie handelte es sich bei zwei bis 16 Prozent um MRSA. Weitaus seltener führten Clostridium perfringens, Escherichia coli, Haemophilus aphrophilus, Mycobacterium tuberculosis, Proteus mirabilis, Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus epidermidis, Streptococcus pneumoniae, Streptococcus viridans oder Veillonella parvula zur Erkrankung. Im Falle bakterieller Infektionen kommt langfristig eine erhöhte Mortalität mit hinzu. Doch nicht immer gelang es Ärzten, Keime nachzuweisen. Bei negativen Labortests erhöhten sich Inzidenzen von 0,3 auf 1,8 pro 100.000 Personenjahre. Besonders häufig traf das Leiden Senioren über 70 – eine typische Alterserkrankung. Hier war die Raten 5,9-fach (Männer) beziehungsweise 3,5-fach höher (Frauen), gemessen am Durchschnitt des jeweiligen Geschlechts. Um das Phänomen steigender Fallzahlen zu erklären, reichen laut Michala Kehrer demographische Tendenzen allein nicht aus. Ihre Interpretation: Hatten Ärzte früher vor allem Knochen- bzw. Leukozyten-Szintigrafen zur Verfügung, liefern heute MRT-Scanner weitaus zuverlässigere Resultate – und Mediziner finden deutlich mehr Spondylitiden. Der Forscherin sind methodische Schwächen ihrer Arbeit durchaus bewusst: „Ob die Erhöhung real oder ist ein Ergebnis der verbesserten Diagnosemethoden und Aufarbeitung darstellt, bleibt unbekannt“, so ihr Kommentar. Um dieses Rätsel zu lösen, müsste sie ihr Studiendesign überdenken.
Kehrers Erklärung reicht jedoch nicht aus. Gelegentlich führen nosokomiale Infektionen zur Entzündung der Wirbelsäule. HNO-Ärzte behandelten einen Tinnitus-Patienten stationär und setzten bei ihm eine Venenverweilkanüle. Schließlich erkrankte er an einer Spondylodiszitis sowie an einem Abszess der Lendenwirbelsäule. Anhand von Blutkulturen zeigte sich schnell, dass der Betroffene mit MRSA infiziert wurde. Ab diesem Zeitpunkt waren Juristen am Zuge. Doch die erste Instanz lehnte jeglichen Schadenersatzanspruch ab. Bald darauf kam es zur Revision. Aus Sicht des Oberlandesgerichts Hamm (Az.: 26 U 62/12) stellte sich die Sachlage anders dar, und Richter billigten dem Kläger Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu. Gleichzeitig verpflichteten sie Verantwortliche, „allen materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren weiteren immateriellen Schaden aus der Pflichtverletzung der Beklagten zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist“. Ein Sachverständiger hatte zuvor ausgeführt, die beschriebene Vorgehensweise beim Patienten stelle „einen schweren Verstoß gegen elementaren Regeln der Hygiene“ dar. Nach Überzeugung des Senats muss davon ausgegangen werden, dass dieser Behandlungsfehler zur Infektion des Klägers mit MRSA-Keimen geführt hat. Grund genug, bei derart schweren Verstößen eine Umkehr der Beweislast zu erwirken.