Egal, ob Mukoviszidose, Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Clusterkopschmerz: Zu fast jedem Thema gibt es in Deutschland eine Selbsthilfegruppe. Pharmazeutische Hersteller unterstützen die Verbände finanziell – nicht immer ohne eigennützige Hintergedanken. Jetzt sollen strengere Regeln für mehr Transparenz sorgen.
Wissenschaftler schätzen, dass es in Deutschland etwa 70.000 bis 100.000 Selbsthilfegruppen gibt. Deren zentrale Ziele: Patienten informieren und gegenseitige Hilfe anbieten. Wer an einer seltenen Krankheit leidet, erhält beispielsweise für Laien schwer zu ermittelnde Adressen von Koryphäen des jeweiligen Fachgebiets. Bei größeren Verbänden kommen Öffentlichkeitsarbeit und gezielte Forschungsförderung als Aufgaben mit hinzu.
Neben Mitgliedsbeiträgen erhalten Selbsthilfeorganisationen von gesetzlichen Versicherungen finanzielle Unterstützung. Im V. Sozialgesetzbuch, Paragraph 20c, ist zu lesen: „Die Krankenkassen und ihre Verbände fördern Selbsthilfegruppen und -organisationen, die sich die gesundheitliche Prävention oder die Rehabilitation von Versicherten bei einer der im Verzeichnis nach Satz 2 aufgeführten Krankheiten zum Ziel gesetzt haben, sowie Selbsthilfekontaktstellen im Rahmen der Festlegungen des Absatzes 3.“ Welches Budget eine Selbsthilfegruppe tatsächlich erhält, hängt neben der Gesamtsumme entsprechender Fördermittel auch von der Zahl eingegangener Anträge und von deren Sinnhaftigkeit ab. Rentenversicherungsträger unterstützen Selbsthilfeverbänden und –gruppen ebenfalls, etwa durch die Möglichkeit, mit Patienten in Kontakt zu kommen: bei Tagungen oder in Einrichtungen zur Rehabilitation. Nach dem SGB VI, Paragraph 31, sind finanzielle Förderungen für Selbsthilfegruppen im Bereich der Rehabilitation möglich.
Das reicht manchem Verband jedoch nicht aus. Lieber pflegt man Kontakte zur pharmazeutischen Industrie, um von deren Geldern zu profitieren. Firmen haben gleich mehrere Interessen, direkt mit Patienten in Kontakt zu treten: Bei seltenen Erkrankungen ist es ein Leichtes, Probanden für klinische Studien zu rekrutieren. Und nach Zulassung hochpreisiger Präparate haben Konzerne einen direkten Zugriff auf ihre Zielgruppe, um diese zu „informieren“, ohne gegen das Heilmittelwerbegesetz zu verstoßen. Wie der „Spiegel“ kürzlich berichtete, summierten sich im vergangenen Jahr 1.300 Spenden auf insgesamt 5,6 Millionen Euro. Eine leicht zu bedienende Datenbank ermöglicht jetzt auch Patienten, sich detaillierter mit der Materie zu befassen. Beispielsweise unterstütze Boehringer Ingelheim die International Diabetes Federation mit 160.000 Euro, die World Hepatitis Alliance mit 150.000 Euro und die Deutsche Leberhilfe mit 90.000 Euro. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wiederum engagiert sich für schwerstkranke, schwerstpflegebedürftige und sterbende Menschen. Im Stiftungsrat sitzen unter anderem Eugen Münch, Unternehmensgründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG, sowie Michael Wirtz, Gesellschafter der Grünenthal GmbH. Der pharmazeutische Hersteller ließ 40.000 Euro für ein Patientschutztelefon springen. Gleichzeitig produziert er Opioide für die Palliativmedizin. Kliniken hoffen wiederum, Palliativstationen auszubauen.
Eigentlich ist das Problem nicht neu – bereits 2006 forderten Dr. Kirsten Schubert und Professor Dr. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, Akteure sollten darüber nachdenken, „wie sich eine Selbsthilfebewegung möglichst unanfällig für ökonomische oder sächliche Anreize der pharmazeutischen Industrie weiterentwickeln kann“ und „an welche Grundbedingungen von Transparenz und Selbstverpflichtung eine finanzielle Förderung der Selbsthilfegruppen durch den Staat oder die Krankenkassen geknüpft werden muss“. Alle Beteiligten hoffen jetzt auf die Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA): „Klares Ziel des Kodex ist es, die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Patientenorganisationen und Pharmaindustrie mittels sachgerechter und transparenter Information zu Arzneimitteln zu fördern.“ So müssen nicht nur Eckpunkte möglicher Kooperationen dokumentiert werden werden, sondern auch Art und Höhe finanzieller Zuwendungen. Ende Mai stimmte das Bundeskartellamt Regelungen für mehr Transparenz zu. Ab 2015 sollen neue, strengere Eckpunkte gelten.
Nicht ohne Grund: Momentan listen FSA-Datenbanken 40 Unternehmen auf, die mit Patientenorganisationen „zusammenarbeiten“ – beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) werden 36 genannt. Formulierungen zum Verwendungszweck bleiben äußerst vage und auf Pflichtangaben begrenzt. Was sich genau hinter „Sponsoring“ oder „Operational Support“ verbirgt, stellen Industrievertreter nicht klar. Doch es gibt noch andere Vorstellungen. Vor mehreren Jahren gab die Bundesärztekammer zu Protokoll, notwendig sei ein öffentlich zugängliches Register, über das Patienten alle Kooperationsverträge zwischen Pharmafirmen und Patientenorganisationen abrufen könnten.