Mischen Amazon & Co. künftig auch in der Arzneimittelbranche mit? Wieso ich das als Bedrohung für Apotheken sehe – und warum sie nicht zu ersetzen sind.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die Digitalisierung verändert zunehmend den Arzneimittelhandel – immer mehr Patienten beziehen ihre Medikamente über Versandapotheken. Besonders besorgniserregend ist die Frage, ob Unternehmen wie Amazon oder die Drogeriekette dm in den Arzneimittelmarkt einsteigen und auf diese Weise die lokale Apothekenlandschaft gefährden könnten.
Während Versandapotheken wie DocMorris oder Shop-Apotheke bereits seit Jahren auf dem Markt aktiv sind, könnten globale Großkonzerne mit ihrer Logistik und Marktmacht eine noch größere Bedrohung darstellen. Im folgenden Artikel werfen wir einen Blick auf die aktuelle rechtliche Diskussion um den Arzneimittelverkauf auf Online-Marktplätzen wie Amazon, die potenziellen Risiken für die Gesundheitsversorgung und die Bedeutung der persönlichen Beratung in Vor-Ort-Apotheken.
Der Bundesgerichtshof (BGH) verhandelte kürzlich über die Frage, ob Apotheken Arzneimittel über den Amazon-Marktplatz vertreiben dürfen. Dabei stehen insbesondere datenschutzrechtliche Bedenken im Vordergrund. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied zuvor, dass Apotheken beim Online-Verkauf von Arzneimitteln über Plattformen wie Amazon die ausdrückliche Einwilligung der Kunden zur Verarbeitung ihrer Gesundheitsdaten einholen müssen.
Dies betrifft auch rezeptfreie Medikamente, da bereits die Bestelldaten als sensible Gesundheitsinformationen gelten. Doch neben den rechtlichen Aspekten stellt sich die viel größere Frage: Welche Auswirkungen hätte ein flächendeckender Arzneimittelvertrieb über Amazon auf die Apothekenlandschaft in Deutschland?
Sollte Amazon in den Arzneimittelversand einsteigen, muss man sich darüber klar sein, wie gefährlich diese Konkurrenz für lokale Apotheken wäre. Vermutlich würde die Bedrohung durch Amazon sogar größer sein als durch bestehende Versandapotheken wie DocMorris oder die Shop-Apotheke.
Amazon verfügt über eine immense Logistik-Infrastruktur und eine breite Kundenbasis, was es dem Unternehmen ermöglichen würde, Medikamente schneller als die ausländischen Versender und möglicherweise auch – bei Prime-Kunden – versandkostenfrei zu liefern. Dies könnte noch mehr Patienten dazu verleiten, ihre Medikamente online zu bestellen, anstatt die lokale Apotheke aufzusuchen.
Zusätzlich ist Amazon dafür bekannt, aggressive Preisstrategien zu fahren. Sollte das Unternehmen in den Medikamentenhandel einsteigen, wäre zu befürchten, dass Preise so weit gedrückt werden, dass kleinere, unabhängige Apotheken nicht mithalten können. Dies würde auf lange Sicht zu einem erheblichen Rückgang der Apothekenzahl in Deutschland führen.
Auch die Drogeriekette dm plant, in den Online-Handel mit rezeptfreien Arzneimitteln einzusteigen. Ab 2025 soll eine in Tschechien gegründete Gesellschaft diese nach Deutschland versenden. Obwohl dm betont, dass es nicht darum gehe, Apotheken Konkurrenz zu machen, sehen viele Apothekenangestellte und -inhaber diese Entwicklung kritisch.
Die etablierten Drogeriemärkte verfügen bereits über ein großes Filialnetz und könnten durch den Online-Verkauf von Arzneimitteln ihre Marktposition weiter stärken, was zusätzlichen Druck auf lokale Apotheken ausüben würde. Die Sorge ist außerdem, dass durch diesen Schritt nicht nur eine Konkurrenzsituation entsteht, sondern dass Patienten verstärkt Medikamente aus Drogeriemärkten beziehen, wo keine pharmazeutische Beratung stattfindet. Dies birgt das Risiko von Fehl- und Mehrfachmedikationen, insbesondere bei älteren Patienten oder chronisch Kranken, die oft mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen.
Laut dem MSD-Manual für medizinische Fachkräfte treten bei nicht bettlägerigen Menschen ab 65 Jahren unerwünschte Arzneimittelwirkungen mit einer Häufigkeit von etwa 50 Ereignissen pro 1.000 Personenjahren auf (hier). Die Hospitalisierungsrate aufgrund solcher Wirkungen ist bei älteren Patienten viermal höher als bei jüngeren, wobei etwa 17 % der Krankenhausaufenthalte in dieser Altersgruppe auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen sind. Besonders betroffen sind Medikamente wie Warfarin, Insulin, orale Thrombozytenaggregationshemmer und orale Antidiabetika.
Die Einnahme mehrerer Medikamente, bekannt als Polypharmazie, ist bei geriatrischen Patienten weit verbreitet. Viele ältere Patienten sind multimorbid und erhalten daher mehrere Medikamente. Dies erhöht das Risiko von Wechselwirkungen und unerwünschten Wirkungen erheblich. Ohne die fachkundige Beratung bei der Abgabe durch pharmazeutisches Personal besteht die Gefahr, dass Patienten potenziell inadäquate Medikamente einnehmen oder Wechselwirkungen übersehen.
Drogeriemärkte wie dm verfügen nicht über das notwendige pharmazeutisch ausgebildete Personal, um eine solche Beratung sicherzustellen. Zudem sind die Mitarbeiter in Drogeriemärkten in der Regel ebenfalls nicht dazu ausgebildet, Arzneimittel sachgerecht zu verwalten. Dies kann zu erheblichen Risiken für die Patientensicherheit führen. Der Bezug von Medikamenten ohne angemessene pharmazeutische Beratung erhöht also das Risiko von Fehl- und Mehrfachmedikationen. Gerade für ältere und chronisch kranke Patienten ist die persönliche Beratung durch qualifiziertes Apothekenpersonal unerlässlich, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie zu gewährleisten.
Lokale Apotheken bieten weit mehr als nur die Abgabe von Medikamenten. Sie sind ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitssystems und bieten persönliche Beratung, schnelle Versorgung und individuelle Betreuung. Gerade für ältere oder chronisch kranke Patienten ist auch die persönliche Beziehung zum pharmazeutischen Personal von unschätzbarem Wert. Diese Leistungen können durch den Online-Versand nicht ersetzt werden.
Gerade in der Pandemie wurde deutlich, dass Apotheken als niedrigschwellige Anlaufstellen für viele verschiedene Gesundheitsfragen dienen: Hier wird geimpft, getestet und es werden Rezepturarzneimittel hergestellt, wenn es Lieferengpässe gibt. Diesen Mehrwert können weder Amazon oder dm noch die ausländischen Versender bieten.
Die aktuellen Entwicklungen im Arzneimittelversand durch Großkonzerne wie Amazon und dm stellen eine erhebliche Bedrohung für lokale Apotheken dar. Es ist wichtig, dass sowohl die Politik als auch die Gesellschaft den Wert der Vor-Ort-Apotheken erkennen und Maßnahmen ergreifen, um deren Fortbestand zu sichern. Nur so kann eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung gewährleistet werden.
Persönlich bin ich davon überzeugt, dass eine Regulierung des Online-Arzneimittelhandels notwendig ist, um langfristig eine ausgewogene Apothekenlandschaft in Deutschland zu erhalten. Die Gefahr, dass durch die Marktmacht von Amazon und anderen Großanbietern lokale Apotheken verschwinden, ist realer denn je. Umso wichtiger ist es, dass Apotheker, Politiker und auch Patienten gemeinsam gegen eine unkontrollierte Expansion des Online-Handels mit Arzneimitteln eintreten. Das BGH-Urteil wird Ende März erwartet – wir dürfen gespannt sein, was es bringt.
Bedrohung lokaler Apotheken durch große Anbieter: Sowohl Amazon als auch die Drogeriekette dm erwägen einen Einstieg in den Arzneimittelversand. Dank ihrer starken Logistik, großen Kundenbasis und möglichen Preisdrucks stellen sie eine massive Konkurrenz dar und gefährden so die Existenz unabhängiger Vor-Ort-Apotheken.
Rechtliche und datenschutzrechtliche Hürden: Das BGH-Urteil (und zuvor das EuGH-Urteil) thematisiert insbesondere den Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten beim Verkauf über Online-Marktplätze wie Amazon. Apotheken sind verpflichtet, die ausdrückliche Einwilligung der Kunden einzuholen – unabhängig davon, ob es sich um rezeptfreie oder verschreibungspflichtige Medikamente handelt.
Bedeutung der persönlichen Beratung: Lokale Apotheken gewährleisten eine individuelle Beratung, die besonders für ältere und chronisch kranke Patienten essenziell ist. Fehlende pharmazeutische Beratung im Versandhandel oder in Drogeriemärkten birgt das Risiko von Wechselwirkungen, Fehl- und Mehrfachmedikationen. Deshalb ist eine ausgewogene Apothekenlandschaft für die flächendeckende Gesundheitsversorgung unerlässlich.
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