Bei Arthrosen, Knorpelläsionen, Kreuzbandrissen oder Schäden am Meniskus führen Orthopäden Arthroskopien durch. Allerdings zeigen Studien, dass die Eingriffe häufig keinen erkennbaren Mehrwert bringen. Grund genug für Leitlinienautoren und Versorgungsforscher, auf die Notbremse zu treten.
Neues aus der Versorgungslandschaft: In ihrem „Faktencheck Knieoperation“ nimmt die Bertelsmann-Stiftung orthopädische Eingriffe kritisch unter die Lupe. Experten der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC) werteten anonymisierte Daten von AOK-Versicherten aus. Dabei zeigten sich regionale Unterschiede, die sich medizinisch nicht erklären lassen. Zwei Extrembeispiele: Orthopäden aus dem Müritz-Kreis (Mecklenburg-Vorpommern) führten nur bei 36 von 100.000 Einwohnern eine ambulante Arthroskopie durch. Im bayerischen Traunstein waren es 831. Besonders häufig greifen Kollegen aus Süddeutschland zum Arthroskop, eher selten finden Eingriffe in den neuen Bundesländern statt. Weiter heißt es im „Faktencheck“, Arthroskopien verringerten die Zahl späterer Kniegelenkersatz-OPs nicht.
Mittlerweile wurden zahlreiche Studien über diese Problematik veröffentlicht. Orthopäden der Finnish Degenerative Meniscal Lesion Study (FIDELITY) Group verglichen den Erfolg partieller Meniskektomien mit Schein-OPs. In ihre multizentrische, randomisierte, doppelt verblindete, kontrollierte Studie nahmen sie 146 Patienten mit degenerativen Meniskusläsionen auf. Signifikante Unterschiede hinsichtlich der Schmerzen fanden sie nicht. Auch das Western Ontario Meniscal Tool (WOMET) ließ keinen Benefit erkennen. Schwedische Orthopäden um Sylvia V. Herrlin kamen bei vergleichbaren Indikationen zu ähnlichen Resultaten. Sie begleiteten 96 Patienten sogar fünf Jahre nach ihrem arthroskopischen Eingriff. Im Vergleich zur reinen Physiotherapie-Gruppe hatten Studienteilnehmer mit Krankengymnastik plus OP keinen erkennbaren Mehrwert. Und Jeffrey N. Katz, Boston, berichtete von 351 Patienten mit symptomatischer Arthrose. Alle erhielten eine Physiotherapie, manche wurden arthroskopisch behandelt. Zusammen mit Kollegen bestimmte er Unterschiede über den Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC). Signifikante Unterschiede fand auch Katz nicht.
Bleibt noch die Frage, mit welchen Risiken Patienten rechnen sollten. Laut Christopher D. Harner, Pittsburgh, sind Arthroskopien keinesfalls harmlos. Zusammen mit Kollegen analysierte er 92.565 Aufzeichnungen aus einer Datenbank des American Board of Orthopaedic Surgery. Insgesamt traten bei 4,7 Prozent aller OPs Komplikationen auf. Dabei standen chirurgische Probleme (3,68 Prozent) an erster Stelle, gefolgt von medizinischen (0,77 Prozent) und anästhetischen (0,22 Prozent) Unzulänglichkeiten. Je nach Art des Eingriffs gab es hinsichtlich chirurgischer Schwierigkeiten deutliche Unterschiede – von 20,1 Prozent bei Rekonstruktionen des hinteren Kreuzbands bis zu 2,8 Prozent bei Meniskektomien. Harners Resultate lassen sich nicht ignorieren, allerdings gibt es zwei Schwachpunkte: Der Orthopäde erfasste Komplikationen bis zu 210 Tage postoperativ, was übliche 30-Tages-Fristen deutlich übersteigt. Auch waren viele Operateure noch keine Fachärzte, standen aber zumindest kurz davor.
Eine Besonderheit in diesem Zusammenhang: Orthopäden fällt auf, dass Patienten mit Kniearthrose häufig über neuropathieähnliche Schmerzen klagen. Ana M. Valdes aus dem britischen Nottingham fand jetzt eine mögliche Erklärung. Sie befragte 139 Patienten mit radiologisch gesicherter Diagnose zu ihren Beschwerden und erfasste Daten via PainDirect-Fragebogen. Nach der Korrektur anderer Parameter wie BMI, Alter oder Geschlecht zeigten sich immer noch überraschend deutliche Resultate: OPs am arthrotischen Knie waren mit einer rund siebenfach höheren Prävalenz neuropathieähnlicher Schmerzen assoziiert. Ob mechanische Traumata oder belüftbare Manschetten schuldig im Sinne der Anklage sind, konnte Valdes mit ihrer kleinen Studie aber nicht klären.
Jetzt ziehen Versorgungsforscher ihr Fazit. Zumindest bei Gonarthrosen hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) am 12. Mai einen Abschlussbericht veröffentlicht – basierend auf elf randomisierten, kontrollierten Studien mit über 1.000 Patienten. Verantwortliche zeigten sich erstaunt, „wie groß in diesen Studien die gefühlte Verbesserung nach einer Placeboarthroskopie ausfiel“. Trotz methodischer Unsicherheiten lautet ihr Fazit: „Für keinen patientenrelevanten Endpunkt zeigte sich gegenüber nicht aktiven Vergleichsinterventionen, beispielsweise Scheinoperationen, ein Anhaltspunkt, Hinweis oder Beleg für einen Nutzen der therapeutischen Arthroskopie.“ Auch die American Academy of Orthopaedic Surgeons (AAOS) schreibt in ihrer Leitlinie: „We cannot recommend performing arthroscopy with lavage and / or debridement in patients with a primary diagnosis of symptomatic osteoarthritis of the knee.“