Bei der Therapie von Harnwegsinfekten sind D-Mannose und Probiotika allgegenwärtig – trotz fehlender Evidenz. Welche Alternativen besser wirken könnten, verrät eine neue Leitlinie.
Harnwegsinfektionen (HWI) gehören zu den häufigsten Infektionen weltweit und sind ein relevantes Thema für Ärzte und Apotheker. Jährlich erkranken in Deutschland mehrere Millionen Menschen daran – insbesondere Frauen sind häufig betroffen. Gerade deshalb sind evidenzbasierte Empfehlungen zur Prävention, Diagnose und Behandlung essenziell. Die Autoren der neuen Leitlinien der WikiGuidelines-Initiative ziehen ein eher überraschendes Fazit: Während vielverkaufte Probiotika und D-Mannose-Präparate keinen die Experten überzeugenden Nutzen zeigen, erlebt das bewährte Methenamin eine Renaissance. Pflanzliche Arzneimittel sucht man in den Empfehlungen vergebens.
Die WikiGuidelines-Initiative ist eine multidisziplinäre Expertengruppe mit 54 Forschern aus 12 Ländern, bestehend aus Ärzten, Pharmazeuten und Wissenschaftlern. Ihr Ziel: Leitlinien zu erstellen, die ausschließlich auf evidenzbasierten Erkenntnissen beruhen. Die methodische Grundlage ihrer Arbeit ist streng – klare Empfehlungen werden nur gegeben, wenn mindestens zwei hochwertige, übereinstimmende klinische Studien die Hypothese belegen. Ist dies nicht der Fall, erfolgt lediglich eine Literaturübersicht mit einer Diskussion der Vor- und Nachteile.
HWI betreffen Menschen aller Altersgruppen und sind nicht nur unangenehm, sondern können unbehandelt schwerwiegende Folgen wie Nierenbeckenentzündungen oder Sepsis nach sich ziehen. Die richtige Prävention und Therapie sind daher entscheidend. Doch was hilft wirklich? Viele Apothekenkunden setzen auf Probiotika oder D-Mannose – doch laut der neuen Leitlinie gibt es keine klare Evidenz für deren Wirksamkeit.
Die Erkenntnisse der Experten: In der Prävention von Harnwegsinfektionen zeigt Methenamin hippurate vielversprechende Ergebnisse und wird als wirksame Alternative zu Antibiotika empfohlen, solange keine funktionellen Blasenentleerungsstörungen vorliegen. Cranberry-Produkte weisen eine gewisse Wirksamkeit auf, allerdings ist die Qualität der zugrunde liegenden Studien uneinheitlich. D-Mannose und Probiotika bleiben ebenfalls im Gespräch, doch fehlen überzeugende Studien, die ihren Nutzen eindeutig belegen.
Bei der Diagnose von Harnwegsinfektionen haben Urintests nur eine begrenzte Aussagekraft. Ein positives Testergebnis allein reicht oft nicht aus, um eine Infektion sicher zu diagnostizieren. Bei unkomplizierten Fällen ohne schwerwiegende Symptome wird auf eine Urinkultur häufig verzichtet.
In der Behandlung zeigt sich Methenamin hippurate erneut als effektive Option, insbesondere als antimikrobielle Alternative zur Langzeitprävention, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Antibiotische Therapien sollten sparsam und gezielt auf Basis der Erregersensitivität eingesetzt werden. Der Einsatz von Fluorchinolonen wird aufgrund der damit verbundenen Nebenwirkungen möglichst vermieden und nur bei schweren Infektionen in Betracht gezogen. Die neue Leitlinie zeigt, dass nicht jedes populäre Präparat auch tatsächlich einen relevanten Nutzen hat. Während Probiotika und D-Mannose-Produkte häufig beworben und verkauft werden, fehlt für die Experten bislang offenbar ein klarer, evidenzbasierter Nutzen. Auch die Reduktion unnötiger Antibiotikaeinsätze bleibt weiterhin ein zentrales Anliegen, um Resistenzen einzudämmen.
Neben der Leitlinie der WikiGuidelines-Initiative existiert auch die aktuelle S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), die sich mit unkomplizierten, bakteriellen, ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen beschäftigt. Während beide Leitlinien auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen basieren, unterscheiden sie sich in wesentlichen Punkten.
Eine zentrale Differenz besteht in der Bewertung von Methenamin hippurate. Während die WikiGuidelines-Leitlinie Methenamin klar als Alternative zur antibiotischen Prophylaxe empfiehlt, wird es in der S3-Leitlinie der DGU nicht explizit als bevorzugte Option genannt. Die deutsche S3-Leitlinie setzt stärker auf klar definierte Indikationen für Antibiotika, wobei der Fokus auf einer gezielten Therapie unter Vermeidung unnötiger Antibiotikaeinsätze liegt. In Bezug auf alternative Präparate zeigen sich Gemeinsamkeiten: Beide Leitlinien sehen keinen überzeugenden Nutzen für Probiotika und D-Mannose in der Prävention oder Therapie von Harnwegsinfektionen. Auch bei Cranberry-Produkten herrscht Einigkeit – sie werden zwar als potenziell hilfreich eingestuft, doch die Studienlage bleibt uneinheitlich.
Ein markanter Unterschied zwischen der neuen WikiGuidelines-Leitlinie und der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie liegt im Umgang mit pflanzlichen Arzneimitteln. Während die WikiGuidelines-Leitlinie Phytotherapeutika vollständig unberücksichtigt lässt, gibt die S3-Leitlinie zumindest erste Hinweise auf deren potenziellen Nutzen. Besonders positiv erwähnt werden dort Präparate mit Meerrettichwurzel und Kapuzinerkressekraut, Bärentraubenblättern, Löwenzahnwurzel sowie Präparate mit Liebstöckelwurzel, Rosmarinblättern und Tausendgüldenkraut. Studien zeigen, dass diese pflanzlichen Mittel nicht nur eine wirksame Unterstützung in der Prävention und Behandlung von Harnwegsinfektionen sein können, sondern auch zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes beitragen.
Besonders bemerkenswert ist die Untersuchung zum Präparat mit Meerrettichwurzel und Kapuzinerkressekraut, die eine signifikante Verringerung der Infektionsrate im Vergleich zu Placebo nachweisen konnte. Auch für eine Kombination aus Liebstöckel, Rosmarin und Tausendgüldenkraut gibt es Hinweise auf einen Zusatznutzen bei der Rezidivprävention in Kombination mit Antibiotika, was darauf hindeutet, dass diese Präparate eine Antibiotikatherapie sinnvoll ergänzen und deren Einsatz möglicherweise verringern können. Dass die WikiGuidelines-Leitlinie diese Optionen komplett ausklammert, ist ein bemerkenswerter blinder Fleck, insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Resistenzproblematik und der Notwendigkeit, Alternativen zur antibiotischen Therapie stärker zu berücksichtigen.
Warum ist das so? Ein wesentlicher Unterschied der beiden Leitlinien besteht in der methodischen Herangehensweise. Die WikiGuidelines-Initiative setzt besonders hohe Evidenzstandards und gibt nur dann klare Therapieempfehlungen, wenn mindestens zwei hochwertige randomisierte Studien eine Wirksamkeit belegen. Die S3-Leitlinie basiert hingegen auf einem interdisziplinären Expertenkonsens, der auch niedrigere Evidenzstufen berücksichtigt. Diese unterschiedliche Herangehensweise könnte erklären, warum bestimmte Therapieoptionen, wie Methenamin oder die pflanzlichen Arzneimittel, nicht in beiden Leitlinien gleich stark gewichtet sind.
Dennoch zeigen Erfahrungen aus der Praxis sowie einige wissenschaftliche Untersuchungen, dass diese pflanzlichen Mittel in der Prävention und unterstützenden Therapie von Harnwegsinfektionen einen sinnvollen Beitrag leisten können. Eine intensivere Erforschung dieser Wirkstoffe wäre wünschenswert, um ihre Rolle in der evidenzbasierten Medizin weiter zu klären, gerade vor dem Hintergrund der immer weiter ansteigenden Antibiotikaresistenzen und den zu erwartenden Nebenwirkungen sowie des negativen Einflusses einer Antibiotikaeinnahme auf das körpereigene Mikrobiom.
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