Mit JAK-Inhibitoren und Biologika lässt sich Neurodermitis zielgenau behandeln. Die aktualisierte S3-Leitlinie hat jetzt vier neue Wirkstoffe aufgenommen. Wir stellen sie euch vor.
„Zum aus der Haut fahren“ beschreibt den Gemütszustand von Neurodermitis-Patienten wohl am besten. Damit sie sich in ihrer Haut wieder wohl fühlen, wünschen sich Patienten zuvorderst, dass das unerträgliche Jucken aufhört. Neurodermitis oder atopische Dermatitis quält jedes achte Kind und jeden 50. Erwachsenen. Ihre Haut ist zu trocken, und sie verliert ihre natürliche Schutzbarriere. Als Auslöser kommen eine genetische Prädisposition bis hin zu Umweltfaktoren in Frage. Da die betroffene Haut anfällig für Infektionen mit Bakterien, Viren und Pilzen ist, kann sie auch eitern und nässen.
Zwar gibt es keine Heilung, aber immerhin die Möglichkeit, den Juckreiz zu lindern und die Feuchtigkeit der Haut zu erhöhen. Patienten der Stufe eins mit lediglich trockener Haut und nur leichten Beschwerden sollen Triggerfaktoren meiden und spezielle Hautcremes als topische Basistherapie anwenden. Bei Patienten der Stufe zwei mit leichten bis moderaten Ekzemen kommen in der Regel zusätzlich Cremes mit Glukokortikoiden zu Einsatz. Erst ab der höchsten Stufe drei mit moderaten bis schweren Ekzemen ist eine systemische Therapie angezeigt.
Um damit nicht zu früh, aber auch nicht zu spät zu beginnen, bietet die AWMF zusätzlich zur S3-Leitlinie „Atopische Dermatitis“ Checklisten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an. Diese fragen den objektiven Schweregrad, die subjektive Belastung und das fehlende Therapieansprechen ab. Während die Checklisten für Jugendliche und Erwachsene praktisch identisch sind, liegen die Schwellen einzelner Kriterien für Kinder etwas höher.
Vor einem Jahrzehnt wurden schwere Fälle in Ermangelung besserer Alternativen mit den üblichen, breit wirksamen Immunsuppressiva behandelt, die bis auf systemische Glukokortikosteroide und Ciclosporin für die Neurodermitis nicht einmal zugelassen waren. Inzwischen rät die Leitlinie von einer Langzeitbehandlung mit systemischen Glukokortikosteroiden massiv ab. Der Grund: Es gibt Medikamente, die nicht nur spezifischer und besser wirken, sondern für deren Wirksamkeit es auch belastbarere Evidenz gibt.
Ein Gamechanger war vor knapp zehn Jahren der monoklonale Antikörper Dupilumab, der seit kurzem auch für Kinder ab sechs Monaten zugelassen ist. Statt das Immunsystem auf breiter Front herunterzuregulieren, bindet das Biologikum spezifisch an eine Untereinheit eines Rezeptors (IL-4-Rezeptor), der im komplexen Immungeschehen für die Aktivierung von Antikörper-produzierenden B-Zellen wichtig ist. Weil dabei auch die sogenannten T-Helfer-Zellen vom Typ 2, oder kurz Th2, eine Rolle spielen, wird er als Th2-gerichteter Antikörper bezeichnet.
Inzwischen sind vier weitere Wirkstoffe auf dem Markt, die in die aktualisierte Version der Dermatitis-Leitlinie aufgenommen wurden: der Antikörper Tralokinumab sowie die drei Januskinase-Inhibitoren Abrocitinib, Baricitinib und Upadacitinib. Zwischen Antikörper und JAK-Inhibitoren gibt es grundsätzliche Unterschiede. Anders als der Antikörper greifen die JAK-Inhibitoren im Zellinneren an und unterbinden dort Signalkaskaden, die am Ende Entzündungen begünstigen – da die JAK-Inhibitoren unterschiedliche JAK-Typen hemmen, unterscheiden sie sich auch in ihren Wirkungen. Während JAK-Inhibitoren schnell wirksam sind, spielen Antikörper ihr volles Potenzial erst nach Wochen aus. Da die JAK-Inhibitoren das Immunsystem etwas weniger spezifisch dämpfen als die Antikörper, machen sie Patienten auch anfälliger für Infektionen wie etwa Herpes.
Entscheidend ist, dass alle vier neuen Medikamente, wie auch der bereits etablierte Antikörper Dupilumab, in der Leitlinie eine „soll“-Empfehlung bekommen, auch für die langfristige Anwendung. Die glorreichen Vier unterscheiden sich eher im Detail: So gibt es Abrocitinib (Cibinqo® von Leo) und Baricitinib (Olumiant® von Lilly) als Filmtabletten, Upadacitinib (Rinvoq® von Abbvie) als Retardtablette. Tralokinumab (Adtralza® von Leo) muss man sich in Bauch oder Oberschenkel unter die Haut spritzen, und da die Antikörperlösungen verderben können, gehören die Spritzen oder Pens in den Kühlschrank.
Während Abrocitinib und Tralokinumab nur für die Behandlung der Neurodermitis zugelassen sind, gibt es für Baricitinib und Upadacitinib noch weitere Anwendungen wie Arthritis, Alopecia areata und entzündliche Darmerkrankungen. Wer also auch an einer dieser Krankheiten leidet, behandelt sie praktischerweise gleich mit. Während Baricitinib schon für Kinder ab zwei Jahren geeignet ist, gilt bei den anderen die Grenze von 12 Jahren.
Die Warnhinweise bei den JAK-Inhibitoren sind nahezu identisch. Sie mahnen zu besonderer Vorsicht bei Patienten über 65, bei Rauchern und bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt oder Krebs. Die Leitlinie rät dringend davon ab, sie bei Thromboseneigung einzunehmen. Beim Antikörper sollte man dagegen bei Bindehautentzündungen und Wurminfektionen besonders vorsichtig sein.
Deutlicher unterscheiden sich die Medikamente laut Fachinformationen in ihren Nebenwirkungen:
Relevant für die Versorgung ist auch der Vergleich der neuen Wirkstoffe mit dem bewährten Antikörper Dupilumab (Dupixent®). Der hat Sanofi Deutschland im Jahr 2023 einen Umsatz von gut einer halben Milliarde Euro beschert, womit er in der Umsatzliste der Sanofi-Produkte auf dem dritten Platz steht, gemessen am Zuwachs zu den Vorjahren sogar auf dem ersten. Doch Sanofi muss mit der neu erwachsenen Konkurrenz wohl nicht um seinen Umsatztreiber fürchten. Dafür sind die Unterschiede in der Wirksamkeit und bei den Nebenwirkungen zu gering. Zudem legt die Leitlinie Dupilumab ganz besonders jenen Patienten ans Herz, die zusätzlich an Asthma und an chronischer Entzündung der Nasennebenhöhlen oder der Speiseröhre erkrankt sind.
In der Metaanalyse von Ducker et al., auf die sich die Leitlinie beruft, werden aus 83 Einzelstudien mit insgesamt gut 22.000 Teilnehmern folgende Abstufungen herausdestilliert: Abrocitinib und Upadacitinib sind Dupilumab etwas überlegen, Baricitinib und Tralokinumab etwas unterlegen. Bei der Stärke der Nebenwirkungen geben sich die Mittel nicht viel, dafür aber bei der Verlässlichkeit der Ergebnisse für die Nebenwirkungen: Für Upadacitinib ist die Evidenz moderat, für Baricitinib und für Tralokinumab niedrig und für Abrocitinib sehr niedrig. Upadacitinib hat zudem die geringste Abbruchrate, auch das bei moderater Evidenz.
Als Fazit kann man also festhalten, dass die neuen Wirkstoffe im Vergleich zu Dupilumab keine neuen Meilensteine darstellen. Wenn man denn einen Wirkstoff vom grünen Tisch aus in der Pole Position sehen möchte, dann vielleicht am ehesten Upadacitinib wegen seiner leichten Überlegenheit gegenüber Dupilumab, den moderat zuverlässigen Ergebnissen bei den Nebenwirkungen, und der zusätzlich positiven Wirkung auf Arthritis, Colitis ulcerosa und ankylosierender Spondylitis. Auf jeden Fall aber bieten die neuen Mittel aufgrund der etwas unterschiedlichen Profile Ärzten und Patienten einen größeren Spielraum.
Patienten, denen die Entwicklung hin zu Highend-Medikamenten unheimlich ist, und die lieber nach alter Väter Sitte, auf natürliche Weise oder mit fernöstlichen Mitteln behandelt werden möchten, muss die Leitlinie enttäuschen: Akupunktur, Phytotherapie, autologes Serum und Chinesische Kräutermedizin sollen explizit nicht eingesetzt werden.
Neben den neuen Therapieoptionen bietet auch die langfristige Perspektive einen kleinen Hoffnungsschimmer: 70 bis 85 % der Fälle treten vor dem fünften Lebensjahr auf. Und in der Leitlinie heißt es: „Bis zum frühen Erwachsenenalter sind etwa 60 % der erkrankten Kinder symptomfrei.“
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