Eine Immuntherapie mit Ipilimumab, die jedem fünften Patienten mit einem fortgeschrittenen Melanom eine Überlebenszeit von mehr als 3 Jahren ermöglicht, lässt hoffen. Nun soll der monoklonale Antikörper auch bei fortgeschrittenem Prostata-Karzinom zugelassen werden.
Sie liest sich wie ein Märchen, die Erfolgsstory, die der Arzt und Wissenschaftler Jedd D. Wolchok Anfang der Jahres Im Magazin Scientific American beschreibt. Er nennt sie Shirly, eine 22 Jahre alte Frau, die an einem metastasierenden Melanom erkrankte. Von der Haut war der Krebs bei der Diagnose bereits zur Lunge vorgedrungen. Die junge Frau begann sofort mit einer Chemotherapie, die jedoch erfolglos verlief. Wolchok nahm sie als eine der ersten Patienten in eine randomisierte Studie mit dem monoklonalen Antikörper MDX-010 auf. Das war im Jahr 2004. Die Frau hatte Glück, sie erhielt den Wirkstoff. Nach vier Behandlungen war auf den CT-Aufnahmen nichts mehr von dem Melanom zu erkennen. Bis heute sei der Krebs bei Shirly nicht zurückgekehrt, berichtet Wolchok. Inzwischen sei die junge Frau verheiratet und habe zwei gesunde Kinder.
Eine Komplettremission bei metastasiertem schwarzem Hautkrebs kommt sehr selten vor. Die Heilung der Patientin basiert laut Wolchoks Bericht auf einem Medikament, welches das körpereigene Immunsystem aktiviert, maligne Zellen zu erkennen und abzutöten. Dieser Ansatz ist an sich nicht neu. Bereits vor über 100 Jahren machte der Chirurg William Coley, der damals am New York Cancer Hospital praktizierte, die Entdeckung, dass Patienten, die nach ihrer Tumoroperation eine Infektion erlitten, teilweise länger lebten als Patienten ohne Infektion. Daraufhin begann er, seine Krebspatienten mit abgetöteten Bakterien zu behandeln, um ihr Immunsystem zu aktivieren. https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=nzlS2T_g69w
In den folgenden Jahren haben Wissenschaftler zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen, wie das Immunsystem Pathogene wie Viren und Bakterien aufspürt und bekämpft. Dabei wurden auch die sogenannten Checkpoints entdeckt, die die Abwehrmechanismen des Körpers im Zaum halten und verhindern, dass zu viel körpereigenes Gewebe dadurch zerstört wird. Krebs ist zwar keine Infektion, doch das menschliche Abwehrsystem kann aufgrund ihrer veränderten Oberflächenstrukturen auch maligne Zellen erkennen. Aus verschiedenen Gründen kann unser Immunsystem Krebs dennoch nicht immer erfolgreich bekämpfen. Einer davon ist, dass Krebs bestimmte Schalter unserer Abwehr einfach ausknipst und dadurch die Abwehrreaktion des Körpers erheblich schwächt. Und genau hier setzen die neuen Therapien an, die offenbar auch Shirly das Leben retteten.
Das „Checkpoint-Protein“ CTLA-4 spielt eine wichtige Rolle bei der T-Zellaktivierung – dem Beginn der spezifischen Immunabwehr, denn CTLA-4 ist unbedingt nötig, um die aktivierte T-Zelle wieder abzustellen und so zu verhindern, dass gesunde, körpereigene Zellen bekämpft werden. Wie wichtig dieser „Checkpoint“ zum Schutz des Körpers ist, zeigen Mäuse, bei denen CTLA-4 aufgrund eines genetischen Defekts fehlt: Die Tiere sterben nach drei bis vier Wochen, weil aktivierte T-Zellen, die nun nicht mehr gestoppt werden können, sämtliche Organe infiltrieren. Fehlt dieses Protein dauerhaft, hat das auch für das menschliche Immunsystem fatale Folgen. Mit einem spezifischen Antikörper gelang es Wissenschaftlern, CTLA-4 temporär zu blockieren und damit dem Abwehrsystem genug Zeit einzuräumen, maligne Zellen zu bekämpfen, ohne sich dabei selbst zu zerstören. Bei Mäusen bildeten sich dabei unter Laborbedingungen verschiedene Krebsarten wie Darmkrebs und Sarkome zurück. Die biotechnologische Firma Medarex entwickelte aufgrund der vielversprechenden Tierversuche einen für den Menschen spezifischen CTLA-4 Antikörper, der zunächst MDX-010 hieß und heute unter dem Namen Ipilimumab bekannt ist. Der Antikörper wurde zunächst an Patienten mit fortgeschrittenen, therapieresistenten Tumorerkrankungen getestet.
Ipilimumab wirkte allerdings bei keinem der Patienten unmittelbar und ließ die betreuenden Ärzte ihre bisherigen Kriterien, den Erfolg einer Tumortherapie zu messen, überdenken. Bei allen Patienten verschlechterte sich der Zustand unter Ipilimumab zunächst. Zur Kontrolle herkömmlicher Therapien messen moderne Bildgebungsverfahren die Größe des Tumors unmittelbar vor Beginn einer Behandlung und lassen etwa sechs Wochen später Rückschlüsse über den Behandlungserfolg zu. Bei einer Immuntherapie brauchen Ärzte und Patienten offenbar einen längeren Atem. Wolchock berichtet von Untersuchungsintervallen von etwa 12 Wochen. Und auch dann präsentiert sich den Onkologen kein einheitliches Bild: Bei manchen Patienten ist der oder sind die Tumoren bereits nach dieser Zeit deutlich geschrumpft, bei anderen Patienten hingegen gewachsen oder metastasiert. Kurioserweise fühlten sich manche der Patienten mit gewachsenen Tumoren trotzdem besser, berichtet der Onkologe. Gewachsene Tumoren können bei einer Immuntherapie ein gutes oder ein tödliches Zeichen sein: Entweder hat der Körper bereits unzählige T-und andere Immun-Zellen aktiviert, die den Tumor bereits durchwandert haben und ihn daher größer erscheinen lassen oder die Therapie schlägt schichtweg nicht an. Um den Erfolg der Immuntherapie richtig bewerten zu können, betrachten Ärzte und Wissenschaftler stattdessen, wie lange der Patient überlebt.
Ipilimumab (Handelsname Yervoy) ist seit Juli 2011 in Deutschland für Patienten zugelassen, die an einem fortgeschrittenen Melanom erkrankt sind. In einem Beobachtungszeitraum von etwa 10 Jahren konnte Ipilimumab bei 20 Prozent der Patienten mit einem metastasierten Melanom die Krankheit für mehr als drei Jahre in Schach halten. Besonders bemerkenswert ist, dass sich auf der Überlebenskurve nach etwa drei Jahren ein Plateau abzeichnet. Danach kommt es kaum noch zu weiteren Todesfällen. Die mittlere Lebenserwartung bei einem metastasierten Melanom lag bei bisherigen Behandlungsmethoden zwischen neun und elf Monaten. Langzeitüberlebende unter anderen Therapien gelten als Einzelfälle. Die Immuntherapie mit Ipilimumab dauert mindestens drei Monate, da gewöhnlich vier Infusionen im Abstand von drei Wochen verabreicht werden. Patienten mit einem fortgeschrittenen Melanom sollten zu Beginn der Behandlung eine deutlich über dieser Zeit liegende Lebenserwartung haben. Unter Ipilimumab war das Langzeitüberleben der Patienten unabhängig von der Dosis (3 oder 10 mg/kg) und ihrer Vorbehandlung. Auch ob das Medikament nur vorübergehend oder dauerhaft gegeben wurde, spielte dabei keine Rolle, wie Ende letzten Jahres auf dem European Cancer Congress in Amsterdam bekannt gegeben wurde.
Weitere Studien deuten außerdem darauf hin, dass eine derartige Immuntherapie auch bei anderen Krebsarten erfolgreich sein könnte. Ipilimumab zeigte laut einer kürzlich veröffentlichten Studie bei der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs, bei denen herkömmliche Hormontherapien und Chemotherapien nicht angeschlagen hatten, eine deutlich positive Wirkung. Michael Krainer, Leiter der Arbeitsgruppe Urologische Tumore an der Klinischen Abteilung für Onkologie der MedUni Wien, zu den aktuellen Studienergebnissen: „Für uns ist es nahezu ein Wunder, dass die Immuntherapie auch in einem so späten Stadium der Erkrankung eine so deutliche Wirkung zeigt. Die Ergebnisse unserer Studie sind als weiterer großer Erfolg für die Immuntherapie von Karzinomen zu sehen.“
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Das „aufgedrehte“ Immunsystem kann sich auch gegen eigenes Körpergewebe richten. Die häufigsten immunvermittelten Nebenwirkungen sind Enterokolitis, Hepatitis, Dermatitis, Neuropathie und Endokrinopathie. Ipilimumab eignet sich aufgrund seiner Nebenwirkungen laut der Studie nicht, um Patienten mit fortgeschrittenem Prostata-Krebs und gleichzeitig schlechtem Allgemeinzustand zu therapieren. Aus diesem Grund läuft derzeit eine weitere Studie, die auf Patienten mit besserer Prognose und einem besseren Allgemeinzustand begrenzt ist. Sie wird voraussichtlich im Jahr 2015 abgeschlossen sein. „Aufgrund unserer Ergebnisse gehe ich davon aus, dass diese Studie die Zulassung von Ipilimumab für Patienten mit fortgeschrittenem Prostata-Karzinom bringen wird“, prognostiziert Krainer.