Nächste Woche wird gewählt. Im Fokus: die Migrationsfrage. Gesundheitspolitik spielt kaum eine Rolle – dabei hängt beides zusammen. Wir wollen eure Meinung hören.
Die Migrationsdebatte ist das wahlkampfbestimmende Thema der Parteien zur Bundestagswahl 2025. Gleichzeitig bestimmt die Frage, wer wann für wie lange und mit welchen Rechten nach Deutschland kommen und arbeiten darf schon seit Langem den öffentlichen Diskurs. Auch im Gesundheitswesen ist ausländisches Fachpersonal nicht wegzudenken – im Gegenteil: Ohne diese Menschen würde die Gesundheitsversorgung zusammenbrechen.
Von 4,5 auf 14,9 % stieg der Anteil ausländischer Pflegekräfte in der Krankenpflege in den letzten 10 Jahren. Allein in der Altenpflege ist ein Zuwachs von 273 % (auf 87.000 Menschen) zu verzeichnen gewesen. Dazu kommt laut IAB-Forscher Holger Seibert: „Unter den Pflegekräften mit deutscher Staatsangehörigkeit befinden sich mittlerweile deutlich mehr ältere als jüngere Beschäftige. Viele von ihnen erreichen in den nächsten Jahren das Rentenalter.“ Die Folge: Der Anteil ausländischer Pflegekräfte wird weiter stark steigen. In erster Linie kommt entsprechendes Personal aktuell vor allem aus Bosnien-Herzegowina, den Philippinen, Indien, Tunesien und Vietnam.
Auch unter Ärzten sieht die Situation nicht groß anders aus. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Krankenhausinstituts haben 15 % der Ärzte eine ausländische Staatsbürgerschaft – was rund 64.000 Ärzten entspricht. Neben anderen europäischen Herkunftsländern kommen diese vor allem aus Syrien (rund 5.800) und Russland (rund 2.800).
Auch mit Blick in die Zukunft ist das Versorgungsproblem noch lange nicht gelöst. Die Frage nach Personal, Herkunft und Qualifikation ist derweil eine, die von den Parteien unterschiedlich beantwortet wird.
Dass die Frage nach ausländischem Personal im aktuellen Wahlkampf nicht allein für den Gesundheitssektor thematisiert wird, machen alle Parteien deutlich – auch wenn die Dringlichkeit und die Geschwindigkeit in kaum einem anderen Bereich dermaßen schnell und essenziell gefragt ist.
Hört man sich in der Ärzteschaft um, hört man häufig Urteile – nicht nur in Sachen Migrations-/Personalfragen – wie die von Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: „Gezielte und durchdachte Vorschläge hat keine Partei.“ Im Kammerbezirk Westfalen-Lippe stellt man fest: „Nach Analyse der Wahlprogramme verdrängen die großen Volksparteien dieses Thema, es kommt in ihrem Wahlprogramm schlichtweg nicht vor.“
Insbesondere mit Blick auf das drängende Thema Personal erklärt der Geschäftsführer des Verbandes Katholischer Altenhilfe (VKAD), Andreas Wedeking: „Wir brauchen keine Scheindebatten, sondern eine Politik, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.“
Worauf es wirklich ankomme, betont IAB-Forscherin Doris Wiethölter: „Neben erleichterten Zuwanderungsregeln für Arbeitskräfte, wird es auch um eine zügigere berufliche Anerkennung und höhere Wertschätzung der mitgebrachten Qualifikationen und Kompetenzen der Pflegekräfte aus dem Ausland gehen. Generell brauchen wir eine verbesserte Willkommenskultur, um neue Beschäftigte auch langfristig in Deutschland halten zu können.“
Eben diese Willkommenskultur vermissen Menschen in einigen Regionen – und ziehen ganz andere Konsequenzen. So haben 58 % der Menschen mit Migrationshintergrund laut einer Studie des DeZIM Instituts Angst vor der Remigration, 9,3 % spielen mit Gedanken das Bundesland zu wechseln oder ganz auszuwandern.
„Die Menschen, die sich qualifiziert haben und in Pflegeeinrichtungen arbeiten, sind stark verunsichert [...]. Man kann sich vorstellen, was so eine aufgeheizte Stimmung mit Menschen macht. Das ist extrem kontraproduktiv“ erklärt Isabell Halletz, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Pflege.
„Politische Kräfte, die im großen Stil Ärztinnen und Ärzte und Gesundheitsfachkräfte mit ausländischen Wurzeln in ihre Herkunftsländer zurückschicken wollen, schaden Deutschland gleich doppelt“, sagt auch Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL). Wenn die Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr hier wären, stünde man laut Gehle vor „bisher noch nicht erlebten Problemen.“
Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, hat sich erst in dieser Woche ein Bündnis aus DKG, BÄK, Marburger Bund, Deutschem Pflegerat, dem Deutschen Hebammenverband und Verdi für mehr Toleranz im Gesundheitswesen zusammengeschlossen. Das Bündnis appelliert: „Unser Gesundheitssystem prägen Internationalität und kulturelle Vielfalt. [...] Menschen mit Migrationshintergrund sind und bleiben selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. Das ist aktuell so, dafür wollen wir uns auch in Zukunft gemeinsam mit allen demokratischen Kräften einsetzen.“
Bildquelle: Ante Samarzija, Unsplash