Sollten eure Patienten Sildenafil erst nehmen, wenn die Gelegenheit passt? Oder könnte es sich bei erektiler Dysfunktion lohnen, es täglich einzunehmen – und jederzeit bereit zu sein?
Spontan sein ist sexy – aber manchmal braucht Spontaneität doch ein bisschen Planung. Ähnlich könnte es bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion sein.
Bei der medikamentösen Therapie der erektilen Dysfunktion stehen meist PDE-5-Hemmer im Vordergrund. Am häufigsten genutzt werden Tadalafil und Sildenafil. Beide verbessern nachweislich die Fähigkeit zur Erektion sowie deren Aufrechterhaltung. Dabei schneidet Sildenafil in Sachen Wirksamkeit sogar ein bisschen besser ab, wohingegen Tadalafil tendenziell besser verträglich zu sein scheint (hier und hier). Einen Einfluss auf die Libido haben sie entgegen der landläufigen Meinung übrigens nicht.
PDE-5-Hemmer hemmen die Phosphodiesterase V, die für den Abbau des intrazellulären Transmitterstoffs cGMP (zyklisches Guanosinmonophosphat) zuständig ist. Das cGMP vermittelt als Second Messenger die Wirkung von NO (Stickstoffmonoxid). NO wiederum hat eine vasodilatatorische Wirkung. PDE-5-Hemmer verhindern bzw. verringern den Abbau von cGMP und fördern somit eine Vasodilatation. Die Schwellkörper im Penis werden besser durchblutet, weshalb eine Erektion schneller erreicht und länger aufrechterhalten werden kann.
Am häufigsten eingesetzt werden die Wirkstoffe Sildenafil und Tadalafil. Bei beiden setzt die Wirkung etwa eine Stunde nach der Einnahme ein, bei Tadalafil hält sie jedoch mit etwa 36 h länger an als bei Sildenafil (4 bis 6 h). Auch das Nebenwirkungsprofil ist unterschiedlich. Beide können u.a. Kopfschmerzen, Flush, Schwindel oder Sehveränderungen verursachen. Bei Tadalafil stehen auch Rücken- und Muskelschmerzen auf dem Beipackzettel. Insgesamt ist die Verträglichkeit von PDE-5-Hemmern jedoch relativ gut.CAVE: Bei gleichzeitiger Einnahme von Nitraten o.ä. sind PDE-5-Hemmer kontraindiziert, da die Kombination zu einem gefährlichen Blutdruckabfall führen kann.
Obwohl die Wirksamkeit von Sildenafil besser bewertet wird, ist Tadalafil unter Betroffenen das beliebtere Medikament. Neben der guten Verträglichkeit liegt das vermutlich vor allem daran, dass die Patienten unter Tadalafil eine höhere sexuelle Spontaneität erleben. Tadalafil kann laut Fachinformation – sofern eine häufige Anwendung erwartet wird – aufgrund der längeren Wirksamkeit nämlich täglich eingenommen werden. Die Abschätzung des Einnahmezeitpunkts, die scheinbar hellseherische Fähigkeiten erfordert, spielt dann keine Rolle mehr. Neben der verbesserten physiologischen Funktion sind nämlich bekanntermaßen auch psychologische Faktoren bei der Sexualität relevant. Die Angst, nicht „performen“ zu können, schwingt bei vielen Männern mit – auch ohne erektile Dysfunktion. Da hilft es nicht, wenn der Faktor des Zeitpunkts der Medikamenteneinnahme in die ohnehin schon kompliziert wirkende Formel mit aufgenommen werden muss.
Kann man diese Tadalafil-Spontaneität möglicherweise durch eine tägliche Einnahme auch bei Sildenafil erreichen und so die bessere Wirksamkeit ohne Timing-Stress ausnutzen? Sozusagen „best of both worlds“?
Mit dieser Frage beschäftigte sich jetzt ein italienisches Forscherteam. Die Wissenschaftler untersuchten in einer retrospektiven Studie mit insgesamt 161 sexuell aktiven Männern mit milder bis moderater erektiler Dysfunktion (ED), wie sich verschiedene Einnahmezeitpunkte auf die Symptome der ED und insbesondere auf die sexuelle Spontaneität auswirkten. Das mittlere Alter lag bei 56 (50 bis 61) Jahren und die erektile Dysfunktion bestand im Mittel seit 18 (10 bis 20) Monaten. Die Probanden wurden dafür in 3 Gruppen eingeteilt, die jeweils über 3 Monate ein Sildenafil-Spray anwendeten. Eine Gruppe nahm – wie normalerweise empfohlen – 50 mg Sildenafil (4 Sprühstöße) bei Bedarf ein. Die beiden anderen Gruppen hingegen applizierten das Medikament in zwei verschiedenen Dosierungen (37,5 mg und 50 mg) täglich vor dem Schlafengehen.
Zur Erfassung der Symptomatik sowie der erlebten Spontaneität füllten die Probanden vor Beginn und nach Ende der Therapie zwei Fragebögen aus. Mithilfe der Kurzversion des International Index of Erectile Function (IIEF-5) wurde die Schwere der Symptomatik erfasst (maximal 25 Punkte, erektile Dysfunktion bei ≤ 21 Punkten). Durch das Ausfüllen der Kurzform der Psychological and Interpersonal Relationship Scales (PAIRS-SF) wurden das sexuelle Selbstbewusstsein, die Spontaneität sowie Bedenken bezüglich des Timings des Geschlechtsverkehrs beurteilt.
Nach 3 Monaten Sildenafil-Einnahme verbesserte sich in allen 3 Gruppen die Schwere der Symptomatik signifikant – einen Unterschied zwischen den Gruppen gab es nicht. Aber: Die sexuelle Spontaneität wurde in den beiden Gruppen, die täglich Sildenafil einnahmen, signifikant besser bewertet (p < 0,01), als in der Gruppe, die lediglich bei Bedarf zum Spray griffen. Eine tägliche Einnahme ging zudem mit weniger zeitlichen Bedenken einher. Ein anderer Bereich, in dem es keinen signifikanten Unterschied zwischen den 3 Gruppen gab, war das sexuelle Selbstbewusstsein. Die Autoren argumentieren hier, dass dies vermutlich mit der Qualität der Erektion verbunden ist, die sich zwischen den Gruppen nicht unterschied.
Insgesamt bewerten die Autoren die tägliche Sildenafil-Einnahme für Männer, die sowohl eine hohe Wirksamkeit als auch eine verbesserte Spontaneität wünschen, als mögliche Therapieoption. Zudem weisen sie darauf hin, dass die Dosierung von 37,5 mg täglich in ihrer Studie ähnlich wirksam war, wie die höhere Dosierung und somit eine Dosisanpassung beim Auftreten von Nebenwirkungen sinnvoll sein kann.
Die Ergebnisse der Studie klingen auf den ersten Blick ermutigend. Allerdings sollte man mit frühzeitiger Euphorie doch vorsichtig sein.
Zunächst einmal handelte es sich bei der Studie nicht um eine randomisierte Studie, auch wenn die verschiedenen Gruppen zumindest in Bezug auf Alter und verschiedene klinische Parameter gematcht wurden. Die Kohorte war mit 161 Teilnehmern nicht besonders groß und die Zusammensetzung in Bezug auf epidemiologische Daten sehr homogen, was eine Übertragung der Ergebnisse auf andere Populationen einschränkt. Auch auf die jeweils zugrundeliegende Ursache für die erektile Dysfunktion gehen die Autoren in ihrer Studie nicht ein – diese hat jedoch einen Einfluss auf das Therapieansprechen. Zudem wurde die Wirkung von Sildenafil nicht mit anderen Wirkstoffen wie Tadalafil und auch nicht mit einer Placebo-Gruppe verglichen. Besonders aufgrund der vergleichsweise kurzen Halbwertszeit von Sildenafil von wenigen Stunden stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse nicht zumindest teilweise durch einen Placebo-Effekt zu erklären sind.
Auch wenn die Studie Hinweise darauf liefert, dass die abendliche Einnahme von Sildenafil Vorteile hinsichtlich der Spontaneität bietet, bleibt die erektile Dysfunktion eine komplexe Herausforderung mit zahlreichen individuellen Einflussfaktoren. Die Wahl der Therapie sollte daher nicht nur von statistischen Mittelwerten abhängen, sondern stets die persönlichen Bedürfnisse sowie psychologische, partnerschaftliche und lebensstilbezogene Faktoren umfassen. PDE-5-Hemmer sind ein wichtiger Bestandteil der Behandlung – aber keine universelle Lösung.
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