Welches Inkontinenzprodukt darf’s denn sein? Die Beratung zu Windeln und Co ist ein sensibles Thema – für Betroffene und Gesundheitspersonal. Worauf ihr im Gespräch konkret achten solltet.
Das hat man auch nicht alle Tage, dass schlechte Presse den Anstoß zu einer Leitlinie gibt. So geschehen 2017, nachdem Stiftung Warentest sieben Personen zu 20 Anbietern von Inkontinenzprodukten geschickt hatte. Das Ergebnis war verheerend, der Titel des Beitrags lautete: „Kein Verlass auf Profis“.
Das nahm die Gesellschaft für Urologie zum Anlass, ein Jahr später den Arbeitskreis geriatrische Urologie zu gründen und von diesem die S2k-Leitlinie „Hilfsmittelberatung bei Harninkontinenz“ erarbeiten zu lassen, die jetzt in der zweiten Auflage erschienen ist. Lob gebührt beiden: Der Stiftung, weil sie das Problem aufgedeckt – und der Fachgesellschaft, weil sie die Kritik konstruktiv umgesetzt hat.
Noch zwei Besonderheiten der Leitlinie: Sie richtet sich ausnahmsweise nicht an Ärzte, sondern explizit an das Fachpersonal in Apotheken, Sanitätshäusern, Telefon-Hotlines und Homecare-Unternehmen, das die Beratungsgespräche auf Grundlage der ärztlichen Verschreibung führt. Zudem wurden alle 51 Empfehlungen unisono verabschiedet – so viel Einigkeit unter immerhin 20 Autoren ist selten.
In der Leitlinie geht es um den Prozess vom Rezept bis zur Auslieferung von Hilfsmitteln, die der harninkontinente Patient selbst benutzt – von der aufsaugend körpernahen Windel bis zum sammelnd körperfernen Toilettenstuhl. Es geht also nicht um Stuhlinkontinenz, invasive Mittel oder kurative Therapieoptionen wie Beckenbodenelektrostimulation, Medikamente oder Operationen.
Berater sollen laut Leitlinie Folgendes berücksichtigen:
Zum letzten Punkt ist interessant, dass bis vor gut 20 Jahren der Begriff Inkontinenz noch an die Bedingung gekoppelt war, ein soziales oder hygienisches Problem zu sein. Jetzt gilt laut International Continence Society schon jeder unfreiwillige Urinverlust als Inkontinenz, und sei es nur ein Tröpfchen.
Um Art, Schwere und Beeinträchtigung zu erfassen, bieten sich diverse Assessments an, allen voran der simple und weit verbreitete ICIQ-Kurzfragebogen, der auch schon erste Rückschlüsse darauf zulässt, ob es sich um eine überaktive Blase, Belastungs-, Überlauf-, neurogene Harn- oder extraurethrale Inkontinenz handelt. Er kann auch als „Laufbogen“ zwischen Arzt und Inkontinenz-Berater dienen, was sehr hilfreich ist, wenn die beiden kommunizieren wollen.
Das Beratungsgespräch sollte eine Reihe inhaltlicher Punkte abdecken, um das passende Hilfsmittel zu finden, dem Patienten praktische Anleitung zur Nutzung zu geben und ihn auf typische Problemsituationen vorzubereiten. Zudem sollen die Berater bedenken, dass das Gespräch „persönliche, sensible, intime und belastende Themen“ beinhaltet, wie die Autoren schreiben. Es soll also in einem separaten, ausreichend großen Raum oder zu Hause stattfinden, und zeitlich nicht zu knapp bemessen sein.
Gut wäre, wenn der Patient das Hilfsmittel gleich ausprobieren kann, sofern die nötige Hygiene gewährleistet ist. Auch soll der Patient die Möglichkeit bekommen, an Mustern für zwei oder drei Tage zu testen, wie sich ein Hilfsmittel im Alltag bewährt. Eine Begleitperson für das Gespräch ist hilfreich, vor allem bei eingeschränkten Patienten. Berater sollten zudem auf Red Flags achten, wie auffallenden Urin oder Brennen beim Wasserlassen, um die Patienten dann umgehend zum Arzt zu schicken.
Auch einen Wunsch für die Zukunft äußern die Autoren: „Die Etablierung eines standardisierten Schulungs- und Fortbildungsangebotes wäre wünschenswert.“
Bildquelle: João Paulo Carnevalli de Oliveira, Unsplash