Wenn bei Parkinson-Patienten die Medikamente versagen, kommt häufig die tiefe Hirnstimulation zum Einsatz. Jetzt wurde ein System entwickelt, das sich in Echtzeit an Patienten anpasst.
Für Eilige gibt’s am Ende eine Zusammenfassung.
Die tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS) gilt seit Jahrzehnten als etablierte Therapie für Patienten mit Morbus Parkinson, insbesondere zur Behandlung von motorischen Symptomen wie Tremor, Rigor und Bradykinese. Nun hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA erstmals ein adaptives DBS-System zugelassen, das sich in Echtzeit an die individuelle Hirnaktivität anpassen kann. Dies könnte einen Paradigmenwechsel in der Therapie darstellen – weg von festen Stimulationsparametern hin zu einer dynamischen, personalisierten Regulation neuronaler Netzwerke.
Klassische DBS-Systeme arbeiten mit vordefinierten Stimulationsparametern, die in regelmäßigen Intervallen angepasst werden müssen. Die neue adaptive Technologie hingegen nutzt Live-Sensordaten, um die elektrische Stimulation auf Basis der neuronalen Aktivität kontinuierlich zu modifizieren. Diese Entwicklung könnte gleich mehrere Vorteile bieten. Die Symptomkontrolle könnte verbessert werden, da die Stimulation gezielt dann erfolgt, wenn pathologische Hirnaktivitäten detektiert werden. Gleichzeitig könnte das Nebenwirkungsrisiko sinken, da adaptive DBS übermäßige Stimulation vermeiden kann. Zudem müssen Patienten weniger häufig zur manuellen Nachjustierung in die Klinik.
Das nun von der FDA zugelassene System basiert auf der BrainSense™-Technologie von Medtronic, die es erlaubt, lokale Feldpotenziale (LFPs) in Echtzeit zu messen und die Stimulation entsprechend zu modulieren.
Eine in Nature veröffentlichte Studie untersuchte die Wirksamkeit des adaptiven DBS-Systems der Firma Medtronic im Vergleich zur konventionellen Stimulation. In einer randomisierten Crossover-Studie mit Parkinson-Patienten zeigte sich, dass die adaptive Stimulation nicht nur eine signifikante Reduktion motorischer Fluktuationen bewirken konnte, sondern auch die tägliche On-Zeit ohne belastende Dyskinesien verlängerte. Die Patienten berichteten von einer verbesserten Beweglichkeit und einer insgesamt höheren Lebensqualität.
Aktuell läuft noch eine weitere multizentrische, randomisierte Studie (ADAPT-PD) zu den adaptiven DBS-Systemen von Medtronic, deren endgültige Ergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht publiziert worden sind.
Doch wie genau verstehen wir die tiefe Hirnstimulation eigentlich? Obwohl die Technologie seit den 1990er Jahren erfolgreich eingesetzt wird, sind die genauen Mechanismen der Therapie nach wie vor nicht vollständig verstanden. DBS beeinflusst die neuronale Aktivität über mehrere Mechanismen.
Eine zentrale Rolle spielt die Modulation pathologischer Oszillationen. Bei Parkinson sind übermäßige Beta-Oszillationen im Bereich von 13 bis 30 Hertz im Basalgangliensystem charakteristisch. DBS kann diese Aktivität dämpfen und somit normale Bewegungsabläufe unterstützen. Daneben scheint die Therapie neuroplastische Effekte zu induzieren, indem sie langfristige Veränderungen in synaptischen Verbindungen und neuronalen Netzwerken bewirkt. Zudem könnte DBS pathologische Feedback-Schleifen unterbrechen, indem es die gestörte Interaktion zwischen Basalganglien und Kortex normalisiert.
Trotz dieser Erkenntnisse basiert die bisherige DBS-Programmierung oft noch auf empirischen Daten und Trial-and-Error-Ansätzen. Die adaptive Stimulation könnte eine präzisere und wissenschaftlich fundiertere Steuerung ermöglichen.
Mit der Zulassung des ersten adaptiven DBS-Systems ist ein bedeutender Schritt hin zu einer individualisierten Neurostimulation gemacht. Dennoch bleiben Herausforderungen. Langzeitstudien zur langfristigen Effektivität und Sicherheit adaptiver DBS-Systeme fehlen bislang. Die Erkennung pathologischer Oszillationen ist komplex und erfordert eine kontinuierliche Verfeinerung der Stimulationsstrategien.
Langfristig könnten weitere Entwicklungen in der Neurotechnologie die adaptive DBS weiter optimieren, etwa die Integration von KI-gestützten Steueralgorithmen. Auch die Kombination mit nicht-invasiven Systemen, wie z. B. EEG-Monitoring-Systemen oder tragbaren Messsensoren (sogenannte Wearables), könnte das Behandlungsspektrum erweitern.
Die FDA-Zulassung des ersten adaptiven DBS-Systems markiert einen Meilenstein in der Therapie des Morbus Parkinson. Während klassische DBS-Systeme auf starren Parametern beruhen, eröffnet die adaptive Stimulation neue Möglichkeiten für eine personalisierte, effizientere und potenziell nebenwirkungsärmere Therapie. Die kommenden Jahre werden zeigen, inwieweit sich diese Technologie als neuer Standard in der Neuromodulation etablieren kann.
Kurze Zusammenfassung:
Adaptive Stimulation: Die FDA hat erstmals ein adaptives DBS-System zugelassen, das sich in Echtzeit an die Hirnaktivität anpasst und eine personalisierte Regulation neuronaler Netzwerke ermöglicht.
Vorteile gegenüber klassischer DBS: Adaptive DBS kann gezielter stimulieren, wodurch motorische Symptome besser kontrolliert und Nebenwirkungen reduziert werden; zudem sind weniger manuelle Nachjustierungen erforderlich.
Zukunftsperspektiven: Die Technologie könnte durch KI und tragbare Sensoren weiter optimiert werden, doch es fehlen noch Langzeitstudien zur Sicherheit und Effektivität.
Bildquelle: Riccardo Annandale, Unsplash