Milliardenschulden und es werden immer mehr: Bei den Krankenkassen droht eine Insolvenzwelle. Wen es dieses Jahr schon getroffen hat und wer sonst noch in der Kreide steht.
„Es gibt fast keinen Spielraum mehr. Wenn sich die Lage weiter verschlechtert, ist ein Teil der Kassenlandschaft am Rande der Insolvenz.“ Mit diesem kassen-apokalyptischen Szenario beschrieb Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, zuletzt die aktuelle Lage. Um genau zu sein, fürchtet der Kassen-Chef, dass es in naher Zukunft sogar zu einem Domino-Effekt in Sachen Zahlungsunfähigkeit kommen könne, wenn die Politik nicht umgehend reagiere. „Wir haben noch drei Viertel des Jahres vor uns und die Finanzentwicklung in der Pflege ist besorgniserregend“, bestätigt auch Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands.
Wie genau ein solcher Domino-Effekt aussehen könnte, erahnen derzeit die Pflegeversicherungen. Bei den ebenfalls chronisch klammen Pflegekassen meldete zum 1. Januar ein Versicherer einen Antrag auf Finanzhilfe beim Bundesamt für Sicherheit (BAS), da sonst die Zahlungsunfähigkeit drohe. Grund dafür war vor allem der unerwartet rasante Anstieg an Versicherten bzw. Leistungen. Und so gibt die anonyme Kasse den Druck an andere Kassen weiter, da diese ihre Reserven dazu nutzen müssen, um die roten Zahlen des Mitbewerbers in einem Ausgleichsfonds aufzufangen. Die Rettung sei zwar nun gelungen, doch entsprechend dünn wird das Eis bei allen anderen. „Nach einer ersten Pflegekasse werden im Laufe des Jahres voraussichtlich weitere Pflegekassen auf kurzfristige Unterstützung zur Sicherung ihrer Liquidität angewiesen sein. Das lässt uns mit großer Sorge auf den weiteren Jahresverlauf blicken. [...] Der Pflege steht das Wasser bis zum Hals. Und der Pegel steigt“, warnt Pfeiffer.
Auch das jüngste Beispiel drohender Insolvenz einer gesetzlichen Krankenkasse liegt nicht weit zurück. 2021 lockte die BKK 24 ihre Versicherten mit einem Traum-Zusatzbeitrag von 1 %. So weit, so erfolgreich. Dass man sich letztlich stark verkalkulierte, wurde den Verantwortlichen erst beim Blick auf die roten Zahlen klar. Die Kasse ging den gesetzlich vorgeschriebenen Weg und wendete sich an das BAS als ihr Aufsichtsorgan und beichtete den drohenden Liquiditätsengpass. Im Raum standen Zwangsfusion, Insolvenz oder Unterstützung zur Überbrückung samt neuem Sanierungskonzept. Am Ende des Tages schaffte es die Kasse mit einer Anhebung des Zusatzbeitrags von 1 auf 2,5 % solvent zu bleiben – unter einem Verlust von rund 9.000 Mitgliedern.
Weniger glücklich erging es der City BKK und der BKK für Heilberufe im Jahr 2011. Ursache für die Geldprobleme waren hier vor allem weit überdurchschnittliche Leistungsangebote – und als dies nicht eingehalten werden konnte, ein folgender massiver Mitgliederschwund. Auch das vorgelegte Sanierungskonzept sowie Finanzspritzen der anderen Kassen konnten die Kassen nicht retten.
Doch wie reell und akut ist die Gefahr wirklich? Immerhin sind schon immer Kassen dicht gemacht worden. So gab es 1970 noch 1.815 Versicherer. 2025 sind davon noch 94 Kassen übrig. Bei dem Gros der heute nicht mehr existenten Versicherer handelt es sich allerdings um Betriebskrankenkassen mit einer überschaubaren Zahl an Versicherten. Die meisten gingen dabei den Weg der Fusion mit einer größeren Kasse. Eine Übersicht aller Fusionen findet ihr hier.
Der aktuelle Finanzstand der gesetzlichen Kassen scheint riesig: Ein Schuldenberg von 6,2 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Zuvor war der Schätzerkreis Ende vergangenen Jahres noch „nur“ von 4,9 Milliarden Euro ausgegangen. Gleichzeitig schmolzen die Finanzreserven der Kassen auf 4,7 Milliarden Euro – 0,17 Monatsausgaben (gesetzlich vorgesehen sind mind. 0,2). Dazu kommen der Krankenhaustransformationsfonds, steigende Personalkosten, Mehrausgaben bei Arzneimitteln, teurere Krankenhausbehandlungen und Mehrausgaben im ambulanten Bereich. Auch stehen steigenden Einnahmen von +5,6 % noch stärker steigende Ausgaben von +7,8 % entgegen. Der in diesem Jahr auf ein Rekordhoch getriebene (Zusatz)Beitrag zur Krankenkasse dürfte ebenfalls weiter steigen – und dürfte nicht mehr als der Tropfen auf dem heißen Stein sein.
Ob und wie die Finanzkraft der einzelnen Kassen konkret aussehen, hat eine Studie dargelegt. Das Ergebnis: In Sachen Liquidität haben einige Kassen ihre Probleme. Doch nicht nur das – auch das bestehende Nettovermögen und die dazugehörige Transparenz sind teilweise verbesserungswürdig.
Malt man das düstere Bild des DAK-Chefs zu Ende, kann man bereits über die möglichen Szenarien nachdenken, die bei Insolvenzen im Raum stehen. Immerhin bestehen zwischen der Meldung ans BAS und dem finalen Aus der Kasse noch verschiedene Sicherungsmöglichkeiten. An erster Stelle dürfte, sofern man nicht zu sehr in der Kreide steht, ein Sanierungskonzept stehen, mithilfe dessen man auch die Struktur und Eigenständigkeit wahrt. Denkbar ist dabei, dass man kurzzeitig den Zusatzbeitragssatz individuell stark erhöht, teure Versicherungsleistungen streicht oder Zuschüsse zu Leistungen verringert.
Schafft man es dennoch nicht aus eigener Kraft die Liquidität wieder herzustellen, stehen dem BAS als Aufsichtsorgan nur noch zwei Varianten zur Verfügung: die Einleitung des Insolvenzfahrens oder die Verschmelzung mit einer anderen Krankenkasse (der gleichen Art) in Form einer (Zwangs-)Fusion.
Um diese Planspiele nie Realität werden zu lassen, haben die Kassen eine Reihe an Maßnahmen formuliert, um aus der drohenden Insolvenzwelle nur ein entferntes Rauschen zu machen.
Dass es sich bei allen Vorschlägen um Sofortmaßnahmen handelt, macht der Blick auf die Dringlichkeit klar. Und doch lässt sich priorisieren: Zunächst müsse laut GKV Spitzenverband ein Ausgabenmoratorium her, um dem unaufhörlich steigenden Schere von Ein- und Ausgaben ein Ende zu setzen. Dazu bedürfe es mit Blick auf den Risikostrukturausgleich eines allgemeinen Finanzausgleichs zwischen den Kassen. Nachdem diese Preisbremse in Kraft ist, könne man sich auf die Leistungen und Verbindlichkeiten konzentrieren. Wie mittel- und langfristige Sicherheiten aussehen und rund 35 Milliarden Euro eingespart werden könnten, hat der AOK-Bundesverband formuliert:
„Auf der anderen Seite müssen die immer wieder versprochenen, aber nie umgesetzten Entlastungen der GKV und der SPV von versicherungsfremden Leistungen jetzt endlich umgesetzt werden, um kurzfristig die Einnahmen zu erhöhen“, ergänzt AOK-Vorständin Carola Reimann. Ins gleiche Horn stößt auch Storm: „Kurzfristig muss es einen Einstieg für einen höheren Bundeszuschuss geben und die verfassungswidrige Finanzierung der Krankenhausreform durch die Kassen gestoppt werden.“
Ob und inwieweit sich das BAS mit dem vorgelegten Plan beschäftigt und was die Antworten der Politik sein werden, bleibt insbesondere nach den Koalitionsgesprächen abzuwarten. Mit dem Sondervermögen und seinen avisierten Ausgabenpunkten hat das Gesundheitssystem noch keinen Rettungsanker in Sicht. Skepsis an der generellen Änderungsbereitschaft der Politik meldet unterdessen TK-Chef Jens Baas an: „Die Politik will das nicht ändern, notwendige Umverteilungen oder Reformen sind eben alles andere als bequem.“
Die allgemeine Möglichkeit zur Insolvenz einer Krankenkasse in seiner jetzigen Form besteht seit der Strukturreform 2008 – geregelt im §160, SGB V. Waren bis hierhin lediglich die Kassen unter Aufsicht des Bundes (DAK. Barmer, TK) insolvenzfähig, wurde dies seitdem auf AOKen und regionale Versicherer ausgeweitet. Bevor es nun in ein Insolvenzverfahren geht, muss die jeweilige Kasse ihre Aufsichtsbehörde (BAS – Bundesamt für Sicherheit) anrufen und die Liquiditätsengpässe melden. Kommt es tatsächlich zur Pleite ist es jedoch nicht der Bund der zahlt, sondern die „Krankenkassen der jeweiligen Kassenart“. Um dies jedoch bereits vorab zu verhindern, sichern sich die Kassen gegenseitig in Ausgleichsfonds und anderen Mitteln gegenseitig ab. Alternativ könnte das BAS auch eine Fusion mit einer finanzstärkeren Kasse forcieren.
Etwas anders sieht das bei den Pflegeversicherungen aus, deren Beiträge gesetzlich vorgeschrieben vom Bruttolohn abgezogen werden. Individuelle Abweichungen gibt es hier vor allem durch Zusatz- und Privatversicherungen. Drohen Liquiditätsengpässe, gibt es drei Mechanismen, um Insolvenzen zu vermeiden: Erstens kann es die eigens dafür vorgehaltenen Reserven einsetzen. Zum anderen führt das BAS einen monatlichen Finanzausgleich zwischen den Pflegekassen durch, bei dem Überschüsse in einen Ausgleichsfonds eingezahlt werden, der dann als Vorauszahlung im Vorgriff auf die nächstfolgende Abrechnung dient. Außerdem kann der Bund den Beitragssatz für gesetzlich Versicherte anheben – wie dieses Jahr um 0,2 %.
Bildquelle: Andrej Lišakov, Unsplash