Internet, Smartphones und Navi-Geräte machen geistig träge, mindern räumliches Denken und die Kreativität. Forscher kommen nun zum Schluss: Auch die Erinnerungen an Ereignisse und verstorbene Angehörige sind gefährdet.
Täuschend echte Bilder von Emmanuel Macron als Actionheld, eine Ansprache von Olaf Scholz, die sich als Fake herausstellt: Mit künstlicher Intelligenz (KI) generierte Deep Fakes gibt es inzwischen viele. Sie lassen sich relativ einfach erzeugen und werden immer realistischer. Bei den einen löst das Begeisterung aus, bei anderen Skepsis bis hin zu Entsetzen.
Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant. Und weil KI-Tools wie ChatGPT zunehmend in Suchmaschinen oder andere Software integriert werden, kommen immer mehr Menschen regelmäßig mit KI in Kontakt. Sie kann den Nutzern Aufgaben abnehmen oder erleichtern, sie kann neue Dinge schaffen und kreativ genutzt werden. Sie macht es aber auch notwendig, Informationen genau zu prüfen: Handelt es sich um Fakten, um echte Bilder, echte Audioaufnahmen – oder um eine „Erfindung“ der KI?
Die zunehmende Verwendung von KI könnte auch Auswirkungen auf kognitive Funktionen haben. Doch wie genau könnte sie Aufmerksamkeit, Lernen und das Gedächtnis beeinflussen? Mit diesem Thema hat sich ein Feature-Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“ beschäftigt. Studien zu dem Thema stehen erst ganz am Anfang, so ein Fazit des Artikels.
Bereits in den letzten 10 bis 15 Jahren haben sich Forscher mit der Frage beschäftigt, wie digitale Technologien rund um Internet, Smartphones oder GPS-Navigation sich auf das Gedächtnis auswirken. Nun stellen sie sich zunehmend die Frage: Welchen Einfluss hat künstliche Intelligenz auf Lernen und Gedächtnis? Wie beeinflusst sie die Art und Weise, wie Menschen Informationen aufnehmen, speichern und sich später wieder daran erinnern? Vermutet wird, dass künstliche Intelligenz drastischere Auswirkungen auf das Lernen und unser Gedächtnis haben könnte als die bisherigen Technologien.
Eine typische Erfahrung vieler Menschen ist: Seit sie digitale Technologien häufiger nutzen, scheint ihr Gedächtnis schlechter geworden zu sein. Beispiel Autofahren: Seit Menschen Navigationsprogramme nutzen, haben viele das Gefühl, sich schlechter an die gefahrenen Strecken erinnern zu können – sogar so schlecht, dass sie den Weg vermutlich allein nicht wieder finden würden.
Studien zum Thema digitale Technologien und Gedächtnis haben unterschiedliche Ergebnisse hervorgebracht. Untersuchungen von Betsy Sparrow an der Columbia University in New York City (USA) aus dem Jahr 2011 zeigen: Geben Probanden Informationen in einen Computer ein, erinnern sie sich später schlechter daran, wenn sie glauben, dass die Information gespeichert wird, als wenn sie denken, dass diese gelöscht wird. Das legte die Vermutung nahe, dass Menschen Computer und Internet als eine Art „externes Gedächtnis“ nutzen und sich Informationen weniger gut merken, wenn sie wissen, dass diese dort gespeichert sind. Spätere Studien konnten solche Effekte nicht immer nachweisen.
Weiterhin haben Studien zur Navigation mit GPS-Systemen gezeigt, dass Probanden, die sie beim Autofahren nutzten, sich später schlechter an die gefahrene Route erinnerten als Teilnehmer, die kein GPS benutzten. Sie schnitten, wenn sie die Route erneut fahren sollten, genauso schlecht ab wie Probanden, die die Route noch nie gefahren waren. Ein Grund dafür könnte sein, dass man bei GPS-Nutzung gedankenlos den Anweisungen der Navigation folgt, ohne auf Details der Strecke zu achten und sich diese einzuprägen.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2020 ergab zudem, dass Menschen, die im Lauf ihres Lebens GPS-Navigation häufiger genutzt haben, ein schlechteres räumliches Gedächtnis haben als diejenigen, die sie seltener genutzt haben. Zudem verschlechterte sich das räumliche Gedächtnis bei häufiger GPS-Navigation im Lauf der Jahre schneller als bei geringerer Nutzung.
Psychologen gehen davon aus, dass Menschen die Anforderungen an ihr Gehirn, die sogenannte „kognitive Last“, gering halten wollen und deshalb Informationen extern speichern – etwa, indem sie Listen schreiben oder Fotos machen, um sich später an Dinge erinnern zu können. Das ist aus adaptiver Sicht auch sinnvoll, so die Forscher, weil die begrenzte Kapazität des Gehirns weniger beansprucht wird und dann für andere Aufgaben bereitsteht.
In einer Review-Studie von 2022 kommt der Gedächtnisforscher Daniel Schacter von der Harvard University in Cambridge (USA) zu dem Ergebnis, dass das Internet und andere digitale Technologien die Gedächtnisleistung für spezifische Aufgaben negativ beeinflussen können – etwa die Erinnerung an eine Route oder ein Foto. Allerdings gebe es bisher keine überzeugenden Belege dafür, dass „googeln“, die Nutzung des Internets oder anderer digitaler Technologien einen generell negativen Effekt auf das Gedächtnis hätten.
Dagegen gebe es deutliche Hinweise, dass Multitasking – etwa das ständige Switchen zwischen Inhalten auf Smartphone – mit einer schlechteren Erinnerung an diese Informationen verbunden ist. „Ständiges Multitasking bei der Nutzung von Medien könnte mit umfassenderen Gedächtnisproblemen einhergehen“, schreibt Schacter. Denn das ständige, schnelle Konsumieren von Informationen mit häufigen Wechseln führt zu geringerer Aufmerksamkeit für einzelne Informationen. Dadurch prägt man sich diese weniger gut ein und kann sich später schlechter an sie erinnern.
Was den Einfluss von künstlicher Intelligenz auf das Gedächtnis angeht, machen Forscher zunächst ein nüchternes Statement: „Bisher wissen wir darüber fast nichts.“ Erste Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigen, haben gerade erst begonnen. Ob sich negative Effekte auf das Gedächtnis dadurch verstärken, dass Suchmaschinen KI-generierte Zusammenfassungen in ihren Suchergebnissen anzeigen, wissen die Wissenschaftler bisher noch nicht. Wissenschaftliche Untersuchungen dazu brauchen Zeit – und sind schwierig durchzuführen, weil sich KI rasant entwickelt und verändert.
Allerdings haben Kognitionswissenschaftler einige Hypothesen dazu, welche Auswirkungen KI auf das Gedächtnis haben könnte:
Ein weiterer Aspekt ist aus Sicht von Forscher auch bedenklich: Weil KI-Tools falsche Informationen generieren können, könnten diese als falsche Erinnerungen im Gedächtnis bleiben. Das könnten Texte mit falschen Informationen, frei erfundene Bilder und Videos oder Avatare von realen Personen sein. Schon frühere Studie hätten eindeutig gezeigt, dass gefälschte Fotos zu falschen Erinnerungen führen können, schreibt Daniel Schacter in seinem Review. Das können Erinnerungen sein, die durch falsche Informationen oder Nachrichten (Fake News) entstanden sind, aber auch falsche Erinnerungen an vermeintliche eigene Erlebnisse.
Die Hypothesen der Forscher dazu lauten:
KI-Tools seien machtvolle Instrumente, die in den Händen von wenigen großen Firmen wie Google oder OpenAI seien, warnen die Forscher. Sie könnten leicht auf die eine oder andere Weise manipuliert werden und so das Denken, die Überzeugungen und auch die Erinnerungen von Menschen in eine gewünschte Richtung lenken.
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