Cortisol ist ein Stresshormon und je weniger man davon hat, desto gesünder ist man – diesem einfachen Narrativ laufen gerade viele Menschen hinterher. Wie sollten Ärzte mit Patienten, die eine „Cortisol-Entgiftung“ fordern, umgehen?
Immer wieder sitzen Patienten in ärztlichen Sprechstunden mit bizarren Anliegen, die sie „im Internet gesehen“ haben. Ein besorgniserregender Trend ist hier der Fokus auf Cortisol. Viele Influencer warnen vor erhöhten Cortisol-Leveln, die angeblich für eine ganze Reihe von Symptomen verantwortlich sein sollen: ein aufgeplustertes Gesicht („Cortisol-Face“), dicker Bauch, schlechter Schlaf, unreine Haut – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Deshalb werben manche Influencer mit Selbsttests zur Bestimmung des Cortisol-Spiegels – viele sehen Symptome wie Müdigkeit und Fettpolster, die nicht weggehen wollen, aber schon als Beweis genug für einen erhöhten Wert. Deshalb gehen die meisten Influencer direkt zum nächsten Schritt über: Der Beantwortung der Frage, wie man seinen Cortisol-Spiegel wieder senken kann – den Körper also „entgiftet“. Dabei stößt man auf eine ganze Reihe von bizarren Tipps, zum Beispiel das Gesicht für 30 Sekunden in eine Schale mit Eiswürfeln zu halten oder seine Fingerknöchel gegeneinander zu drücken. Am häufigsten wird aber zum Kauf von diversen Nahrungsergänzungsmitteln aufgerufen – an dem die Influencer natürlich auch gerne mal selbst verdienen.
Dieser Social-Media-Trend war auch Thema auf der Pressekonferenz zum diesjährigen Jahreskongress der deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Dr. Birgit Harbeck, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, erklärte: „Diese Trends, die wir im Internet beobachten, sind gefährlich. Cortisol ist ein lebenswichtiges – ein überlebenswichtiges – Hormon.“ Immer wieder sehe sie Patienten, die der Meinung sind, dass sie zu viel Cortisol produzieren und wissen wollen, wie man sich „entgiften“ kann. Harbeck betont jedoch: „Eine Entgiftung von einem lebenswichtigen Hormon ist nicht möglich.“
Es sei wichtig, den Patienten deutlich zu machen, dass Cortisol über den Tag hinweg natürlichen Schwankungen unterliegt, zum einen durch einen zirkadianen Rhythmus, zum anderen durch „Aufregung jeglicher Art“ wie Sport oder Stress. Dies ist essenziell, zum Beispiel zur Regulierung des Glucose- und Fettstoffwechsels oder des Immunsystems. Ein krankhafter Cortisol-Überschuss (Cushing-Syndrom) würde nur durch Veränderungen an der Nebenniere oder der Hypophyse, meist durch gutartige Tumoren, oder eine Cortison-Therapie ausgelöst – nicht durch Alltagsstress.
Auch die online angebotenen Selbsttests sieht sie kritisch: „Grundsätzlich gehört eine solche Testung in die Hände eines erfahrenen Endokrinologen.“ Die kommerziellen Tests seien ungenau und irreführend, da sie in einem völlig unkontrollierten Setting durchgeführt werden. Auf die Frage, was man Patienten, die unbedingt ihren Cortisol-Spiegel senken wollen, raten könne, sagt sie: „Eigentlich nur die Alltagstipps für ein gesundes Leben.“ Also ausreichend Schlaf und Bewegung sowie eine gesunde Ernährung. Sie betont aber nochmal: „Im Normalfall würde man gar nicht auf die Idee kommen, den Cortisol-Spiegel zu senken.“
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