Wir Notfallsanitäter retten Leben – doch wer rettet uns? Wenn Stress, Schichtdienst und Trauma leise ihren Tribut fordern, folgt daraus: Der Tod kommt für viele von uns zu früh.
Als Notfallsanitäter stehe ich dem Tod täglich gegenüber. Ich habe ihm in die Augen gesehen, als er mit einem Schlag Leben auslöschte. Ich habe ihn gespürt, wenn er die Kontrolle über einen Körper übernahm. Und ich habe ihn gefühlt, wenn er den Raum erfüllte, nachdem ein Mensch gegangen war. Wir, die wir dem Leben dienen, sind seine engsten Vertrauten und seine ärgsten Feinde zugleich.
Der Tod ist ein Stück weit zur Normalität geworden, und irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem mich seine Grausamkeit auch nicht mehr überraschen konnte. Mal tritt er in seiner offensichtlichen Form auf, wenn wir als Notfallsanitäter versuchen, ihn von einem Unfallopfer zu vertreiben. Mal tarnt er sich, mal lauert er im Hintergrund, nistet sich in unseren Knochen, unseren Herzen, unserer Seele ein, nimmt Leben im Schlaf. Doch eines ist sicher: Er ist allgegenwärtig und man kann sich ihm nicht entziehen. Trotzdem gibt es noch eine Form des Todes, die mich besonders erschüttert: der Tod meiner eigenen Kollegen.
Letztens habe ich mich mit einer Psychologin unterhalten, die in einer Justizvollzugsanstalt arbeitet. 800 Mitarbeiter, keine Todesfälle vorm 60. Geburtstag. In vielen Berufen schaffen es die Mitarbeiter eben bis zur Rente. Sie altern, ja. Sie beklagen sich über Rückenschmerzen, vielleicht auch über Stress und Druck. Aber sie sterben scheinbar nicht so weg wie wir im Rettungsdienst. Es ist, als ob die Lebenslichter mancher Rettungskräfte im Laufe der Zeit langsam erlöschen. Die ständige Anspannung, die Schichtarbeit, die traumatischen Erlebnisse: All dies hinterlässt Spuren im Körper und in der Seele. Und manchmal, wenn der Körper nicht mehr kann, wenn die Seele zu schwer wird, dann kommt der stille Abgang – so wie bei einigen meiner Kollegen.
Da war Alexander, 53. Ein erfahrener, abgeklärter Mann, der so viele Leben gerettet hat, dass er die Zahl selbst nicht mehr kannte. Er erschien eines Abends nicht zum Dienst. Die Kollegen fuhren hin, um nachzusehen. Als sie seine Wohnung öffneten, fanden sie ihn tot auf dem Boden, das Nitrospray lag noch neben ihm. Sein Herz hatte den Dienst quittiert. Nach all den Jahren und den Menschen, die er mit seinem eigenen Leben vor dem Herzversagen bewahrt hatte, hatte es ihn selbst getroffen. Es ist, als hätte ihm das Schicksal zynisch einen Spiegel vorgehalten, um ihm zu zeigen, dass auch er sterblich war.
Fossi, 38, war durch die Hölle gegangen, um anderen zu helfen. Er verließ eine Spezialeinheit der Bundeswehr, um zu uns in den Rettungsdienst zu kommen. Nach einer Runde Joggen vor dem Dienst kollabierte er in seiner Küche. Wieder eine Wohnungsöffnung. Wieder ein lebloser Körper eines Kollegen mit einem kaputten Herz, das einfach stehengeblieben ist. Ich stelle mir vor, wie er dort stand, vielleicht noch die Wasserflasche in der Hand, als das Kammerflimmern einsetzte. War es das Adrenalin? War es die ständige Bereitschaft, die Daueranspannung, die ihn langsam, aber sicher ausbrannte? Eine dekompensierte Herzerkrankung? Ich weiß es nicht.
Dieter war durch und durch überzeugter Rotkreuzler. Über drei Jahrzehnte kannte ich ihn als guten und immer positiven Menschen und habe ihn immer sehr geschätzt. Ein Mann, der mit eiserner Disziplin durchs Leben ging, immer bereit, sich für den Menschen aufzuopfern – ob für Kollegen oder Patienten. Dieter starb mit 58 Jahren, weit vor seinem Renteneintritt.
Thomas kannte ich auch seit 1995. Man vermutete die Folge einer Myokarditis. Er war auf einer Fortbildung, allein in einem Hotelzimmer. Seine Frau wunderte sich, als er sich morgens nicht meldete. Das Hotelpersonal öffnete die Tür. Auch er lag in seinem Zimmer, als hätte der Tod ihm wie ein listiger Jäger aufgelauert, geduldig wartend, bis der Moment kam – und dann zugeschlagen.
Und schließlich treffen einen noch immer Berichte in den sozialen Netzwerken oder der Zeitung, so wie es um Februar 2025 der Fall war: Rettungssanitäter Stephan G. wird kurz nach Beginn seines Nachtdienstes vor seinen Kollegen reanimationspflichtig und stirbt trotz sofortiger Behandlung.
Zufall? Alles tragische Einzelfälle? Vielleicht. Doch in meinem Innersten weiß ich, dass das keine Zufälle sind. Das ist jedoch nur mein höchstpersönlicher Eindruck. Freunde valider Studien und Wissenschaftler muss ich an dieser Stelle leider enttäuschen: Es gibt keine Untersuchungen, keine Statistiken, keine Zahlen, die meine Überzeugung belegen könnten. Nur meine Erinnerungen und die vielen leeren Plätze in unseren Reihen. Diese leeren Plätze sind wie Narben, die uns ins Gedächtnis rufen, dass wir nicht unbesiegbar sind. Sie sind Mahnmale für die, die vor uns gegangen sind, und eine Warnung für diejenigen, die noch hier sind. Für mich sieht es aus, als sterben die Menschen in anderen Berufen nicht in dieser Häufigkeit. Dort kann man am Ende des Tages abschalten, sich schonen.
Wir können das nicht. Und irgendwann holt uns diese Wahrheit ein – vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen. Doch der Tod hat Geduld.
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