Dienstagmorgen in der Notaufnahme. Herr D. sitzt im Rollstuhl, weil er vor Schmerzen nicht mehr stehen kann. Ein gewisser Teil seines Körpers hat dieses Problem aber nicht – im Gegenteil.
Für Eilige gibt’s am Ende eine Kurzfassung.
Es ist Dienstagmorgen und es bietet sich ein seltener Anblick in der Notaufnahme – sie ist fast leer. Nur ein Patient sitzt im Rollstuhl im Flur. Hier wurde er reingesetzt, da er vor lauter Schmerzen kaum noch stehen konnte. „Ein Problem da unten“, erklärt er mit verlegenem Blick und einer unsicheren Handbewegung, die auf seinen Schritt deutet. „Keine Diagnose durch die Hose“, heißt es immer. Hier ist aber zumindest die Blickdiagnose eindeutig. Nun ist zügiges Handeln angesagt.
Der Priapismus bezeichnet eine schmerzhafte Dauererektion über zwei oder vier Stunden, die ohne sexuelle Erregung auftritt, ohne sich spontan zurückzubilden. Mit einer Inzidenz von 1–3 Fällen pro 100.000 Personen gehört sie zu den eher seltenen urologischen Notfällen. Analog gibt es übrigens auch den klitoralen Priapismus. Wobei dieses Phänomen als noch weitaus seltener gilt, weshalb es in der medizinischen Literatur kaum eine dokumentierte Prävalenz gibt. Kleiner Fun Fact für Zwischendurch: Die Namensgebung kommt vom griechischen Gott der Fertilität und Lust, Priapos, der oft mit einem überdimensionalen Phallus dargestellt wird.
Unser Patient, nennen wir ihn Herr D., ist 42 Jahre alt und liegt somit in der klassischen Alterspanne zwischen 20–50, in der ein Priapismus am häufigsten auftritt. Kinder, meist zwischen 5–10 Jahren, können auch betroffen sein. Meist sind diese Fälle durch eine Sichelzellanämie, Leukämie oder eine rheumatische Erkrankung bedingt.
Herr D. gibt an, dass die schmerzhafte Erektion etwa um 6 Uhr aufgetreten sei, ohne dass es zu einer sexuellen oder psychischen Stimulation kam. Vor einem Jahr hätte er das schon mal gehabt, allerdings stellte er sich damals in einem anderen Krankenhaus vor. Unterlagen hatte er keine mehr und ob damals eine Diagnostik durchgeführt wurde, konnte er sich nicht erinnern.
Der Patient verneint die Verwendung von Potenzmitteln, eine SKAT, Drogenabusus oder hämatologische bzw. onkologische Erkrankungen. Erektionsprobleme hätte er keine, ein Beckentrauma oder sonstige Unfälle sind nicht vorgefallen.
Zu den bekannten Risikofaktoren des Priapismus gehören:
Ein Testosteronmangel wird als kontroverser Risikofaktor für Priapismus angesehen, da er in einigen Fallberichten aufgetreten ist, jedoch nicht als belegte Ursache gilt.
Doch zurück zu unserem Patienten: Jetzt heißt es, schnell zu handeln – und zwar zügig, denn nach 12 Stunden ohne Behandlung droht ein interstitielles Ödem und nach 24 Stunden kann es zu einer Thrombenbildung mit Nekrotisierung kommen. Ab diesem Stadium entwickeln bereits 90 % der Patienten eine erektile Dysfunktion.
Also, Labor anfordern: Differentialblutbild, Plättchen und ein Koagulationsprofil. Gleichzeitig eine adäquate Schmerztherapie einleiten und als nächstes körperliche Untersuchung einschließlich des Perineums mit Farbdoppler an den penilen Gefäßen. Bei Herrn D. zeigte sich eine Erektion mit vollständig rigidem Corpus cavernosum, bläulich livider Verfärbung an der Basis, Glans und Skrotum zeigten keine pathologischen Auffälligkeiten. Im Farbdoppler ließ sich kein arterieller Flow darstellen.
Die pralle, zunehmend schmerzende Erektion des Patienten, ihr Auftreten ohne Trauma sowie das fehlende arterielle Signal im Doppler deuten auf einen ischämischen Priapismus hin – den sogenannten Low-Flow-Priapismus. Analog zum Kompartmentsyndrom kommt es hier zur venösen Stase und einem Anstieg des Gewebedrucks: Das venöse Blut kann nicht abfließen und arterielles Blut strömt nicht mehr ein.
Bei einer normalen Erektion führt ein erhöhter Anteil von Stickstoffmonoxid (NO) zur Relaxation der glatten Muskelzellen in den penilen Gefäßwänden und fördert den Blutfluss. Bei einer Fehlregulation des Stickstoffmonoxid-Haushalts, etwa durch eine Dysregulation von Phosphodiesterase-5 oder Noradrenalin, kommt es zu einer unkontrollierten Vasokonstriktion. Dies steigert den Druck und führt zur Stase.
Ich bringe den Patienten in die Ambulanz und helfe ihm auf die Trage, während ich mir oberärztliche Unterstützung für die geplante Aspirationstherapie hole. Aufgrund der erheblichen Schmerzen des Patienten führen wir zunächst eine dorsale Nervenblockade durch. Danach folgt der entscheidende Schritt: Die Blutaspiration. Und jetzt heißt es: stark bleiben!
Ein 18er-Viggo wird lateral, proximal in den Schwellkörper eingeführt. Eine zweite Kanüle kann im kontralateralen Schenkel des Corpus cavernosum den Prozess beschleunigen. Anschließend wird so lange Blut aspiriert, bis sich schließlich sauerstoffreiches Blut zeigt und eine Detumeszenz einsetzt – in der Theorie. Die erste Blutprobe wird zur Diagnosesicherung des Low-Flow-Typs für eine BGA verwendet. Es erfolgt eine Spülung mit kalter NaCl-Lösung. Zusätzlich kann eine Injektion mit einem Alpha-Sympathomimetikum in Erwägung gezogen werden. Einige Studien zeigten eine Erfolgsrate von 40–80 % im Vergleich zur alleinigen Injektion von Kochsalzlösung (30 %).
Phenylephrin als selektiver Alpha-1-Adrenerger-Rezeptor-Agonist wird bevorzugt, da es kaum unerwünschte inotropische oder chronotrope Effekte hervorruft. Bei der Injektion ist eine Dosierung von 100–500 µg/mL alle 3–5 Minuten möglich, mit einer maximalen Dosis von 1 mg innerhalb einer Stunde. Eine Überwachung ist unerlässlich, da Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Hypertension, Reflexbradykardie, Tachykardie und Palpitationen auftreten können. Bei Patienten mit schwer einstellbarem oder malignem Hypertonus sowie der Einnahme von Monoaminooxidasehemmern ist dieses Verfahren kontraindiziert.
Selbst nach einer Stunde der Aspiration und Injektion zeigte sich in diesem Fall keine Detumeszenz. Inzwischen waren die BGA-Werte des Patienten eingetroffen. Beim ischämischen Priapismus sind typischerweise der pO2 unter 30 mmHg, der pCO2 über 60 mmHg und der pH-Wert unter 7,25 zu erwarten. Die Werte unseres Patienten lagen jedoch deutlich unter diesen Grenzwerten, sodass wir uns für den nächsten Therapieschritt entschieden.
Die grundlegenden Indikationen für diesen Eingriff sind refraktärer Priapismus bzw. erfolglose Aspiration über eine Stunde ohne Detumeszenz, Anoxie mit starker Glykopenie und erhöhtem intracorporealen Druck. In solchen Fällen stehen verschiedene Verfahren zur Auswahl, wobei das Hauptziel darin besteht, den Abfluss des ischämischen Blutes aus dem Corpus cavernosum in das spongiale Gewebe wiederherzustellen und eine normale Zirkulation zu ermöglichen. Während kein fester Zeitraum definiert ist, in dem eine Shunt-Therapie noch erfolgreich durchgeführt werden kann, gilt ab 48 Stunden eine verminderte Erfolgsrate.
Der distale Shunt wird von der EAU und der AUA empfohlen, da er am wenigsten invasiv und risikoarm ist, technisch einfacher durchzuführen und geringere Raten an postoperativer erektiler Dysfunktion aufweist. Der perkutane Winter-Shunt ist die am häufigsten angewandte Methode. Dabei wird eine großlumige Kanüle von der Eichel bis zur distalen Seite des Corpus cavernosum eingeführt. Als Alternativen kommen der Ebbehoj-Shunt, der T-Shunt und der offene Ghorab-Shunt in Betracht.
Proximale Shunts wie der Quackel- oder Sacher-Shunt werden nur selten eingesetzt und sollten idealerweise nur nach dem Scheitern des distalen Shunts in Erwägung gezogen werden. Bei allen Shunt-Verfahren ist eine perioperative Antikoagulation empfehlenswert.
Trotz zeitgerechter Therapie können in einigen Fällen Gewebenekrosen, Fibrosen, Deformitäten und erektile Dysfunktion auftreten. Nach 48–72 Stunden erfolgloser Therapieversuche kann eine frühzeitige Implantation einer Penisprothese erwogen werden, da diese im Vergleich zur späteren Implantation weniger Komplikationen mit sich bringt, eine bessere Erholung der Sexualfunktion ermöglicht und das Risiko einer Penisverkürzung verringert.
Herrn D. blieb dieses Schicksal erspart und er profitierte zunächst von der erfolgreichen Shunt-Therapie. In den folgenden zwei Tagen konzentrierte ich mich auf die Ursachensuche, konnte jedoch keine spezifische Ursache finden. Letztlich werden etwa 30–40 % der Fälle als idiopathisch eingestuft.
Nach zwei Tagen konnte Herr D. schließlich entlassen werden, mit der Empfehlung, eine sexuelle Abstinenz von etwa 6 Wochen einzuhalten und die ambulanten Nachsorgetermine wahrzunehmen, um frühzeitig mögliche erektile Dysfunktionen oder andere Komplikationen zu erkennen.
Neben dem ischämischen Priapismus, der mit etwa 95 % der Fälle am häufigsten auftritt, existieren seltenere Formen wie der High-Flow-Priapismus, oder nicht-ischämischer Priapismus, und der Stuttering-Priapismus.
Beim nicht-ischämischen Priapismus sind die Blutgaswerte meist normal und der Corpus cavernosum bleibt semirigid. Häufig wird diese Form durch ein Trauma verursacht. Im Fall einer Gefäßverletzung kann sich eine arterielle Fistel bilden, die den arteriellen Blutfluss erhöht. Dieses Phänomen tritt typischerweise 2–3 Wochen nach einem Trauma auf. Bei Rückenmarksverletzungen ist der sympathische Input gestört, was zu einer verstärkten parasympathischen Aktivierung und somit zu einem vermehrten arteriellen Einstrom führt. Sehr selten kann ein nicht-ischämischer Priapismus auch iatrogen nach Eingriffen wie einer internen Urethrotomie, Nesbit-Operation, Zirkumzision, TRUS oder Brachytherapie bei Prostatakarzinom auftreten. Die Behandlung des nicht-ischämischen Priapismus erfolgt in der Regel konservativ, zum Beispiel durch Kühlung des Perineums oder eine gezielte Kompression. In den meisten Fällen sistiert die Erektion spontan und die Fistel verschließt sich im Verlauf von selbst.
Eine Aspirationstherapie ist hier jedoch nicht sinnvoll, da keine Ischämie vorliegt. Bei refraktären Symptomen kann eine arterielle Embolisation der Fistel oder eine Fistulektomie erforderlich werden.
In seltenen Fällen kann sich ein Stuttering-Priapismus, auch intermittierender oder rekurrenter Priapismus, entwickeln. Typisch für diese Form sind Episoden schmerzhafter Erektionen, deren Häufigkeit und Dauer variieren können. Häufig sistieren die Erektionen spontan, allerdings kann es auch zu einem Übergang in einen vollständigen Priapismus kommen. Anamnestisch sind insbesondere Sichelzellanämie (42–64 %), aber auch idiopathische oder neurologische Ursachen häufig zu finden. Das Hauptziel der Therapie besteht darin, ischämische Episoden zu verhindern und eine erektile Dysfunktion zu vermeiden.
Zur Behandlung können GnRH-Agonisten oder -Antagonisten eingesetzt werden, auch das Fungizid Ketoconazol hat sich als wirksam erwiesen, da es die testikuläre Steroidproduktion unterdrücken kann. Es wird in einer Dosis von 200 mg dreimal täglich empfohlen. Zudem kann eine Therapie mit Prednisolon für zwei Wochen mit einer anschließenden Erhaltungsdosis sinnvoll sein.
Apropos wiederkehrender Priapismus: Ein Jahr später taucht der bekannte Name von Herrn D. erneut auf der Notaufnahmeliste auf – mit dem gleichen „Problem da unten“.
Phillipsohn, S., Persistierende genitale Erregung bei Frauen (PGAD) –Beschreibung des Krankheitsbildes inklusive zweier erfolgreicher Therapien. Sexuologie, 2011.
Alnajjar HM et al., Recent advances in understanding and treating priapism. Fac Rev., 2022 doi: 10.12703/r/11-23
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