Bei Kardiologen und Internisten läuten die Alarmglocken, denn die neue nationale Versorgungsleitlinie könnte die Behandlung Herzkranker erheblich erschweren. In welchen Punkten die Leitlinie versagt, lest ihr hier.
Nationale Versorgungsleitlinien (NVL) sollen unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Evidenz und hochwertiger Studien Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Volkskrankheiten einheitlich festhalten. In der neuen NVL zur koronaren Herzkrankheit (KHK), die zur Angina Pectoris und zum Herzinfarkt führen kann, ist dies aber an entscheidenden Punkten nicht oder nur unzureichend umgesetzt.
Das könnte zu einer Verschlechterung der Versorgung der Patienten mit chronischer KHK in Deutschland führen. Dies berichten Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK), der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) und der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V. (DGPR): Die Experten haben zahlreiche Stellen identifiziert, an denen die Studienlage sich in den Empfehlungen nur unzulänglich widerspiegelt. Die Fachgesellschaften kritisieren unter anderem folgende vier Punkte:
So fokussiert sich die neue NVL bezüglich der Diagnostik fast ausschließlich auf das Symptom Brustschmerz und blendet die insbesondere bei älteren Patienten häufig auftretende Luftnot aus. Dabei geht eine Luftnot im Vergleich zu Thoraxschmerzen mit einem erhöhten Sterberisiko bei KHK einher.
In der NVL wird sich dafür ausgesprochen, die Einverständniserklärung für eine Koronarangiografie stets mit einem Einverständnis für einen eventuell notwendigen operativen Eingriff zu verbinden. Bypassoperationen werden allerdings nur bei unter 5 Prozent der Patienten nötig, bei denen eine Koronarangiografie durchgeführt wird. Diese Risikogruppe lässt sich anhand der Ergebnisse randomisierter Studien gut eingrenzen, sodass die Empfehlung nur bei einem Bruchteil der Betroffenen notwendig ist. Ebenso soll bei jedem Patienten, eine Herzteam-Besprechung nach der Koronarangiografie mit Herzchirurgie, Kardiologie und dem Hausarzt stattfinden, bevor eine Revaskularisation erfolgt. Das ist nicht praktikabel und erhöht durch den nachfolgenden Zweiteingriff mögliche Komplikationsraten.
Die NVL bescheinigt der Myokardrevaskularisation lediglich eine Bedeutung bei der Verbesserung der Symptomatik und der Lebensqualität. Damit werden große Studien und Metaanalysen nicht berücksichtigt, die insbesondere eine Reduktion der Herzinfarktrate durch Myokardrevaskularisation nachgewiesen haben.
„Angesichts der vielfältigen Empfehlungen der NVL, die von der aktuellen ESC-Leitlinie abweichen und aus Sicht der DGK nicht der optimalen Therapie entsprechen, hat sich die DGK erstmalig dazu entschlossen, eine NVL nicht zu konsentieren“, erläutert Prof. Holger Thiele, Präsident der DGK. „Bleibt zu hoffen, dass künftig ein engerer inhaltlicher Schulterschluss mit den anderen Fachgesellschaften für das KHK-Management erreicht wird – so wie dies zuletzt erfolgreich für andere kardiologische Krankheitsbilder realisiert wurde.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung, der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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