KOMMENTAR | „Wer ein Statin benötigt, muss auch Coenzym Q10 einnehmen!“ So drastisch formulieren es einige meiner Kollegen. Warum auch ich das Ubichinon für massiv unterschätzt halte.
Seit über zehn Jahren sind Studien zum Coenzym Q10 veröffentlicht, deren Ergebnisse bisher wenig Beachtung gefunden haben. Dabei ist es in jeder Körperzelle vorhanden und erfüllt wichtige Funktionen. Coenzym Q10 ist ein Ubichinon (auch Ubiquinon), das mit Vitamin E und Vitamin K strukturell verwandt und damit nicht wasserlöslich ist. Seine chemische Formel wurde 1958 aufgeklärt. Es kann vom menschlichen Organismus aus den Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin sowie aus pflanzlicher Mevalonsäure gebildet werden, wird aber auch über die Nahrung (täglich ca. 5–10 mg) aufgenommen, und durch Kochen zerstört. Coenzym Q10 wird in jeder Zelle benötigt und ist über die oxidative Phosphorylierung an der ATP-Energiegewinnung beteiligt, die in der Atmungskette der Mitochondrien abläuft. Für diese Erkenntnisse wurde dem britischen Wissenschaftler Peter D. Mitchell 1978 der Nobelpreis für Chemie verliehen.
Die höchsten Konzentrationen an Coenzym Q10 finden sich in Organen mit hohem Energiebedarf wie Herz, Leber, Lunge, Gehirn und Skelettmuskulatur. Es ist in der Membran der Mitochondrien verankert. Ab dem 40. Lebensjahr verringert sich die körpereigene Synthese von Coenzym Q10. Einen erhöhten Bedarf haben Senioren, Menschen mit oxidativem Stress, Krankheiten wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf- und neurodegenerativen Erkrankungen, Muskelerkrankungen und Sportler. Bei chronischer Herzinsuffizienz korreliert der Schweregrad der Erkrankung mit der Erniedrigung des Coenzym-Q10-Spiegels. Bereits vor über zehn Jahren haben Forschungen des dänischen Kardiologen Svend Aage Mortensen et al. mit der Q-Symbio-Studie ergeben, dass Menschen mit Herzinsuffizienz mit einer Coenzym-Q10-Supplementierung eine geringere Sterblichkeitsrate aufwiesen und ihr Risiko eines schweren kardiovaskulären Ereignisses um 43 % abnahm.
Hausärzte, Internisten und Kardiologen verschreiben immer häufiger Statine als Cholesterinsenker gegen den vermeintlichen Hauptrisikofaktor für Herzerkrankungen. Tatsächlich haben etwa 50 % der Menschen mit Hypercholesterinämie ein gesundes Herz, und man findet bei bis zu 70 % aller Patienten mit einem Herzinfarkt normale Cholesterinspiegel. Unter einer Statintherapie können Muskelschmerzen und -schwäche auftreten. Die Einnahme von Statinen führt durch Hemmung des Enzyms HMG-CoA-Reduktase zu einer Senkung des Cholesterinspiegels, vermindert aber gleichzeitig die Ausgangsstoffe für die Biosynthese von Coenzym Q10. Dadurch kann ein Mangel an Coenzym Q10 entstehen und sein Plasmaspiegel sinkt.
Deshalb sollte, meiner Meinung nach, jeder Arzt bei einer Verordnung von Statinen seinen Patienten die Substitution mit Coenzym Q10 empfehlen. Ich habe Kollegen, die es drastischer formulieren: Wer ein Statin benötigt, muss auch Coenzym Q10 einnehmen! Zwei Studien beobachteten eine Reduzierung der Muskelsymptome nach Q10-Einnahme (hier und hier).
Ein niedriger Coenzym-Q10-Plasmaspiegel ist auch assoziiert mit Krankheiten wie rheumatoider Arthritis, Osteoporose, die mit Bisphosphonaten behandelt wird, und Fibromyalgie. Auch hier empfiehlt sich eine entsprechende Supplementierung. Eine Studie von Ben-Meir et al. von 2015 lässt vermuten, dass sich eine mitochondriale Dysfunktion in Eizellen durch eine Coenzym-Q10-Einnahme verbessern lässt und die Fruchtbarkeit von Frauen ab 30 erhöht. Auch auf die Spermatogenese hat es einen günstigen Einfluss durch Anstieg von Spermienkonzentration und -motilität. Bei der Therapie von Mitochondriopathien, die durch Defekte der Atmungskette verursacht werden, wird Coenzym-Q10 eingesetzt – allerdings gibt es keine flächendeckende Evidenz für den Nutzen dieser Therapie, außer beim primären bzw. sekundären Q10-Mangel.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit stellt fest, dass Ubichinon/Ubiquinon Q10 in Dosierungen bis zu 100 mg pro Tag angeboten werden kann. Eine Überschreitung dieser Empfehlung erhöht das Risiko von Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Appetitmangel, Übelkeit, Durchfall, Reizbarkeit und Hautausschlag.
Studien haben ergeben, dass Sportler einem erhöhten oxidativen Stress ausgesetzt sind und mehr Substitution benötigen. Die Dosierung kann bei Leistungssportlern kurzfristig auf 200–300 mg/Tag erhöht werden, wie eine Untersuchung an Olympiateilnehmern ergeben hat. Ihre körperliche Fitness, gemessen auf dem Fahrradergometer, verbesserte sich signifikant um 11 %. Studien bestätigen Coenzym Q10 antioxidative, entzündungshemmende und neuroprotektive Wirkungen (hier und hier).
Im Handel wird es als Nahrungsergänzungsmittel in zwei Formen frei angeboten: Ubiquinon als normales, oxidiertes Coenzym Q10 (inaktiv) und Ubiquinol als reduziertes, biologisch aktives Coenzym Q10 mit höherer Bioverfügbarkeit. Bei der Auswahl des richtigen Produkts sollten Faktoren wie Herstellungsverfahren, Sicherheit der Zusammensetzung und Bioverfügbarkeit berücksichtigt werden. Patienten sollten sich in der Apotheke beraten lassen und Kapseln mit einer Einzeldosierung von 100 mg bevorzugen. Eine morgendliche Einnahme zum Frühstück ist wegen der fettlöslichen Eigenschaft von Coenzym Q10 zu empfehlen. Eine mittägliche oder abendliche Einnahme ist nicht angeraten, da das Mittel eine aufputschende Wirkung haben und somit den Nachtschlaf stören kann.
Eine Substitution mit Nahrungsergänzungsmitteln wird immer wieder kritisiert, was aber meist von einer grundsätzlichen Haltung herrührt. Es finden sich stets Befürworter und Gegenstimmen. Daher ist auch bei Coenzym Q10 eine differenzierte Betrachtung sinnvoll. Die internationale Studienlage enthält Hinweise für einen Einsatz von Coenzym Q10 bei bestimmten Personengruppen, wie dargelegt wurde. In der heutigen Zeit, mit immer älteren und multimorbiden Patienten, benötigen Menschen eine gute medizinische Begleitung von Ärzten, die sinnvolle Nahrungsergänzungsmittel kennen und bei Bedarf zu einer Unterstützung raten können.
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